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Expertengespräch: Phytopharmaka und Festbeträge - ein lösbares Problem?

KÖLN. Ab 1.Januar 1998 sollten Festbeträge für Johanniskraut-Präparate gelten. Sie wurden allerdings nicht eingeführt. Die Gründe, die in diesem Fall dafür ausschlaggebend waren, sind nachrangig gegenüber den dahinter stehenden Grundsatzfragen: Nach welchen Kriterien sollen überhaupt Phytopharmaka bewertet werden, auf welcher Basis ist ein rationaler Vergleich möglich, welche Gesichtspunkte müßten vernünftigerweise beachtet werden, wenn man Phytopharmaka zu Festbetragsgruppen zusammenfaßt? Die Deutsche Apotheker Zeitung lud Experten u.a. von Pharmaverbänden, Hochschulen und Krankenkassen zu einem Gespräch nach Köln ein, um diese Frage zu diskutieren und den Stand des Wissens zusammenzutragen.

Rechtliche Rahmenbedingungen In der rechtswissenschaftlichen Lehre und Praxis - so erläuterte Rechtsanwalt Dr. Ulrich Reese aus dem Düsseldorfer Büro der Sozietät Bruckhaus Westrick Heller Löber - setze sich immer mehr die Auffassung durch, daß das Festbetragssystem in seiner jetzigen Ausgestaltung sowohl verfassungs- als auch europarechtswidrig sei. Das Bundessozialgericht habe sich in einer Entscheidung vom 14. Juli 1995 dieser Auffassung inhaltlich angeschlossen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die in § 35 SGB V den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingeräumte Befugnis, für Arzneimittel Festbeträge festzusetzen, mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Vereinfacht gesprochen, bestehe die verfassungsrechtliche Problematik darin, daß die Festbeträge - obwohl de jure nur eine Erstattungsobergrenze - de facto regelmäßig zugleich eine Preisobergrenze setzten. Die hiervon betroffenen Pharmaunternehmen, Ärzte und Apotheker stünden rechtlich und organisatorisch außerhalb der Krankenkassen. Der hiermit verbundene Eingriff in Rechte Dritter sei daher von der Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen nicht gedeckt, sondern könne nur durch den Staat selbst, nicht aber von den Spitzenverbänden oder dem Bundesausschuß vorgenommen werden. Aus europarechtlicher Sicht beinhalte die den Spitzenverbänden eingeräumte Befugnis, verbandsübergreifend die Erstattungsobergrenzen und damit zugleich die Marktpreise festzulegen, ein unzulässiges "Nachfragekartell". Vor dem Hintergrund der massiven verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken stelle sich deshalb bereits grundsätzlich die Frage, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt - bis zu endgültigen Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof - überhaupt noch Festbeträge neu festgesetzt bzw. "nach unten" angepaßt werden dürfen. In der sozialgerichtlichen Praxis habe sich der den betroffenen Unternehmen gewährte Rechtsschutz als unzureichend erwiesen. So hätten Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen gem. § 35 Abs. 7 SGB V grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Zwar habe die sozialgerichtliche Rechtsprechung mittlerweile akzeptiert, daß aus verfassungsrechtlichen Gründen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Einzelfall möglich sein müsse. Allerdings habe sich die Praxis der Sozialgerichte als gänzlich unzureichend erwiesen. Faktisch werde ein Eilantrag nur bei einer "Existenzgefährdung" des Klägers oder aber einer "evidenten Rechtswidrigkeit" der Festbetragsfestsetzung erfolgreich beschieden. Klagegegenstand könne dabei stets nur die Festbetragsfestsetzung selbst, nicht aber isoliert die Gruppenbildung oder andere Zwischenschritte auf dem Weg zur Festbetragsfestsetzung sein. Eine rechtswidrige Gruppenbildung könne daher stets nur inzident, d. h. im Wege einer Klage gegen die Festbetragsfestsetzung selbst angegriffen werden. Für den Ausgang gerichtlicher Verfahren von großer Bedeutung sei weiterhin die Frage, inwiefern die Festbetragsfestsetzungen und vorangegangenen Gruppenbildungen überhaupt gerichtlich überprüfbar sind bzw. ob und inwieweit dem Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen und den Spitzenverbänden der Krankenkassen Beurteilungsspielräume zustehen. Reese vertrat die - unwidersprochen gebliebene - Auffassung, daß der Bundesausschuß bei der Gruppenbildung nicht beliebig wählen könne, ob er eine Gruppe nach Stufe 1, Stufe 2 oder Stufe 3 bilde. Vielmehr sei bereits aus allgemeinen rechtssystematischen Erwägungen stets der spezielleren Zuordnung der Vorzug zu geben. Gleiches folge auch aus dem - Verfassungsrang beanspruchenden - Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wenn die betroffenen Präparate "denselben Wirkstoff" aufweisen, sei eine Zuordnung nach der spezielleren Stufe 1 zwingend oder - anders ausgedrückt - eine Zuordnung in den allgemeineren Gruppen nach Stufe 2 oder 3 unzulässig. Es bestehe also eine Art "Stufenprinzip": Bei Präparaten mit unterschiedlichen Wirkstoffen, bei denen eine Gruppe nach Stufe 1 nicht gebildet werden könne, komme eine Gruppenbildung nach Stufe 2 in Betracht, sofern die jeweiligen Präparate tatsächlich "pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe" enthalten. Erst wenn auch dies nicht zutreffe, sei die Möglichkeit einer Gruppenbildung nach Stufe 3 zu prüfen. Nur im Zusammenhang mit diesem "Stufenprinzip" mache die gesetzliche Vorgabe verschiedener Festbetragsstufen überhaupt Sinn; anderenfalls hätte der Gesetzgeber von vornherein auf die Stufen 1 und 2 verzichten und sich auf die weiteste Form der Gruppenbildung nach Stufe 3 beschränken können. Auch nach Auffassung des Pharmakologen und Toxikologen Prof. Dr. Dr. Nils-Peter Lüpke, der u.a. Mitglied des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ist, ist der Bundesausschuß nicht völlig frei, ob die Gruppenbildung nach Stufe 1, 2 oder 3 erfolge. Ein relevantes Kriterium für die Gruppenbildung sei jedoch auch, daß der Bundesausschuß dem Ziel verpflichtet sei, Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, so daß auch speziellere Gruppen der Stufen 1 und 2 in eine allgemeine Gruppe nach Stufe 3 zusammengefaßt werden könnten. Dem wurde von Reese entschieden widersprochen. Aus der gesetzlichen Systematik des § 35 SGB V ergebe sich eindeutig, daß die "Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven" nur - als einer von mehreren Faktoren - bei der Festbetragsfestsetzung durch die Spitzenverbände der Krankenkassen berücksichtigt werden dürfe (§ 35 Abs. 5 SGB V). Die Gruppenbildung selbst müsse sich demgegenüber ausschließlich an den in § 35 Abs. 1 SGB V genannten fachlichen Kriterien orientieren, zu denen die "Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven" gerade nicht gehöre. Darüber hinaus betonte Peter Marx, Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, daß auch innerhalb einer Stufe - z. B. für Präparate mit denselben Wirkstoffen (Stufe 1) - weitere Differenzierungen vorzunehmen seien, d. h. also gegebenenfalls unterschiedliche Gruppen wie etwa für unterschiedliche Darreichungsformen (z. B. Aciclovir mit Gruppen jeweils für Ophthalmika, topische und orale Formulierungen) zu bilden seien.

Festbetragsgruppen für Phytopharmaka Für Phytopharmaka sind derzeit bereits Festbeträge für einige Festbetragsgruppen in Kraft. Wirkstoffgruppen nach Stufe 1 (für Präparate mit denselben Wirkstoffen) gibt es für Präparate mit
• Ginkgo-biloba-Trockenextrakt (seit 1991, danach zweimal revidiert)
• Sägepalmenfrüchte (seit 1996)
• Saccharomyces boulardii (seit 1996)
• Nachtkerzensamenöl (seit 1997). Drei weitere Gruppen für Phytopharmaka nach Stufe 1 sind bereits vom Bundesausschuß verabschiedet worden, wurden aber vom Bundesgesundheitsministerium beanstandet und sind deshalb nicht in Kraft getreten. Dies gilt für Präparate mit
• Kava-Kava-Wurzelstockextrakt
• Mariendistelfrüchte-Trockenextrakt
• Roßkastaniensamen-Trockenextrakt. Gruppen nach Stufe 3 waren vom Bundesausschuß für Johanniskraut-Trockenextrakt und Purpursonnenhutkraut Preßsaft vorgesehen. Die Festbetragsgruppen für diese Wirkstoffe wurden ebenfalls vom Bundesgesundheitsministerium beanstandet. Für Johanniskraut-Trockenextrakte wurde ursprünglich (standardisiert auf Hypericin) die Bildung einer Gruppe nach Stufe 1 vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht beschlossen.

Spezifische Probleme bei der Bildung von Festbetragsgruppen für Phytopharmaka Probleme bei der Bildung von Festbetragsgruppen für Phytopharmaka haben ihren Ursprung u. a. darin, daß die Vorgaben für die Gruppenbildung offensichtlich mit Blick auf Präparate mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen entwickelt wurden. Die bisher verwendeten Kriterien zur Gruppenbildung differenzieren bei Arzneimitteln der Phytotherapie nicht nach qualitativen Aspekten der Extrakte. Eine unkritische Anwendung der bisherigen Kriterien zur Gruppenbildung führt bei Phytopharmaka unweigerlich zu Problemen. Die erste Frage ist, was bei einem Phytopharmakon der "Wirkstoff" ist. Hierauf gibt es in der Regel nur eine Antwort: Es ist der Extrakt. Daran schließen sich für die Wahl der Festbetragsstufe weitere Fragen an, so zum Beispiel die Frage, wann man bei Phytopharmaka von "demselben Wirkstoff" sprechen kann - mit der Konsequenz, daß solche Präparate ggf. in eine Gruppe nach Stufe 1 gehören würden. Aufgrund der Vorgehensweise bei Johanniskrautpräparaten sieht es so aus, als ob aus Sicht der Spitzenverbände der Krankenkassen die Festbetragsstufe 3 als "Auffangstufe" dienen muß für solche Präparategruppen, die nicht eindeutig zuzuordnen sind. Ein anderer Trend scheint zu sein, ohne Zwang auf Stufe 3 auszuweichen, weil man umsatzstarke "Jumbogruppen" wünscht oder die Schwierigkeiten scheut festzulegen, für welche Präparate hinreichende Identität bzw. therapeutisch-pharmakologische Vergleichbarkeit gegeben ist. Das Beispiel des Versuchs, Festbeträge für Johanniskrautpräparate festzusetzen, macht dies deutlich: Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen schlug diese Präparate zunächst für die Festbetragsstufe 1 ("Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen") vor. Als Wirkstoff wurde "Johanniskraut-Trockenextrakt (standardisiert auf Hypericin)" angegeben. In die Gruppe sollten alle Präparate in oralen Darreichungsformen einbezogen werden. Es gab Bedenken gegen diese Gruppenbildung. Beim zweiten Anlauf ordnete der Bundesausschuß alle Präparate mit "Johanniskraut-Trockenextrakt" einer Gruppe nach Stufe 3 zu (Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen) - ebenfalls unter Einbeziehung aller oralen Darreichungsformen. Die GKV-Spitzenverbände unterbreiteten auf dieser Basis Festbetragsvorschläge, die allerdings nicht festgesetzt wurden. Das BMG beanstandete diese Gruppe mit der "formalen" Begründung, daß die notwendigen Anhörungen von Experten der besonderen Therapierichtungen unterblieben seien. Ob auch inhaltliche Gründe eine Ablehnung gerechtfertigt hätten, blieb dabei offen.

Ausweichen auf Stufe 3 ist problematisch Grundsätzlich ist davon ausgehen, daß die Verkehrsfähigkeit von Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz nichts mit der Verordnungsfähigkeit oder gar mit der Möglichkeit zu tun hat, Festbetragsgruppen zu bilden. Arzneimittelgesetz und Sozialgesetzbuch V sind unterschiedliche Rechtssysteme, die voneinander getrennt zu betrachten sind und nichts miteinander zu tun haben. Aus der Verkehrsfähigkeit zweier Produkte läßt sich z.B. nicht ableiten, daß diese ohne weiteres in eine Festbetragsgruppe gesteckt werden dürfen. Ebenso wenig darf man aus der Tatsache, daß ein Produkt nicht verordnungsfähig ist (oder nicht in eine Festbetragsgruppe hineinpaßt) folgern, daß seine Verkehrsfähigkeit in Zweifel zu ziehen ist. Eine gewisse Aufweichung dieser klaren Trennung bringt lediglich das 2. Neuordnungsgesetz, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß Arzneimittel, die zum Verkehr außerhalb der Apotheke freigegeben sind, nicht verordnet werden können. Das SGB V gibt eine Leistung vor, auf die der Versicherte Anspruch hat, und grenzt davon das ab, was in die Eigenverantwortung des Versicherten fällt. Phytopharmaka sind grundsätzlich gleichrangig verordnungsfähig. Aus pharmakologischer Sicht ist die Gruppenbildung nach Stufe 3 kritisch zu sehen - so Prof. Dr. Lüpke. Mitglied des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen. Da es um "Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere Arzneimittelkombinationen" gehe, die dort miteinander zu vergleichen seien, sei pharmakologischer Sachverstand hier nicht mehr gefragt, kritisierte Lüpke. Gefordert werde ja nur noch die "therapeutische Vergleichbarkeit", nicht jedoch die therapeutische und pharmakologische Vergleichbarkeit. Theoretisch könnte man hier auch die Einnahme eines Kamillenpräparates mit der Eradikationstherapie bei Magenbeschwerden therapeutisch vergleichen - was aber in der Sache absurd wäre. Bei der Eingruppierung von Phytopharmaka in bestimmte Stufen geht der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen davon aus, daß alle auf dem Markt zugelassenen Arzneimittel grundsätzlich als wirksam zu betrachten sind. Die Versuchung, über Festbetragsstufen und Gruppen "nur sinnvolle Phytos" herauszufiltern, wäre ein Eingriff in den Markt, der dem Bundesausschuß nicht erlaubt sei, meinte Lüpke. Prof. Dr. Adolf Nahrstedt, pharmazeutischer Biologe aus Münster, wies darauf hin, daß ja kein Zwang bestehe, Phytopharmaka in Festbetragsstufen einzugruppieren. Wenn es keine Daten zur Vergleichbarkeit gebe - und dies gilt für etliche Phytopharmaka - kann man auch keine gemeinsame Festbetragsstufe für alle Fertigarzneimittel aus derselben pflanzlichen Droge bilden. Dieser Meinung stimmte Reese mit Nachdruck zu. Prof. Dr. Henning Blume, früherer Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL), Eschborn, kritisierte die jüngste Vorgehensweise des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen bei der Einstufung von Johanniskraut-Präparaten. Nach seiner Ansicht ist es ein "Salto mortale" gewesen, die zunächst für Stufe 1 vorgesehenen Präparate nun in eine Gruppe nach Stufe 3 zu stecken. Als man gemerkt habe, daß nicht alle Johanniskraut-Extrakte so einfach miteinander vergleichbar seien (von einer Identität ganz abgesehen), daß man also viele unterschiedliche Festbetragsgruppen hätte beanspruchen müssen, versuchte man, Johanniskraut-Präparate in der Stufe 3 unterzubringen - mit dem Hinweis, alle Johanniskraut-Trockenextrakte seien schließlich im Sinn von Stufe 3 therapeutisch vergleichbar. Lüpke räumte ein, daß gerade die Johanniskraut-Präparate sehr schwierig zu beurteilen seien. Während zunächst vieles dafür sprach, Hypericin als Wirk- und Leitsubstanz anzunehmen, so zeigten neuere Untersuchungen, daß dies nicht oder zumindest nicht allein der wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoff sei. Blume sprach sich deutlich gegen den bequemen Weg aus, alle "Phytos" in der Festbetragsstufe 3 unterzubringen, um eventuell aufgetretenen wissenschaftlichen Differenzen auszuweichen: "Dies ist nicht sauber". Er bezeichnete es als "entsetzliches Szenario", wenn zunächst einmal alle Phytopharmaka in Gruppe 3 eingestuft würden und wenn man z.B. erst dann über Festbeträge der Stufe 1 nachzudenken bereit sei, wenn die Wirk- und Inhaltsstoffe aufgeklärt seien. Auch Dr. Gerd Glaeske, Leiter der Abteilung für medizinisch-wissenschaftliche Grundsatzfragen bei der Barmer Ersatzkasse, Wuppertal, machte deutlich, daß er wenig Sinn darin sehe, niedrigdosierte und hochdosierte Phytopharmaka in einen Topf zu werfen. Er kritisierte, daß auch von Herstellerseite zu wenig getan werde, um zu differenzieren, was an Phytopharmaka im Markt sei. Er plädierte dafür, Kriterien einzuführen, die es erlauben, Hersteller zu belohnen, die sich darum bemühten, sauber zu analysieren und die Wirksamkeit zu belegen. Schön wäre es, so Glaeske, wenn man über diese Kriterien eine Bereinigung des Marktes vornehmen könnte. Gerade der Zuschnitt der Festbetragsgruppen sollte den Ärzten helfen, die Anforderungen an eine wirtschaftliche und zweckmäßige Verordnung mit Arzneimitteln zu erfüllen. Die Gruppenbildung müsse Präparate mit vergleichbarer Effizienz und Effektivität zusammenfassen. Prof. Dr. H. P. T. Ammon, Pharmakologe aus Tübingen, machte deutlich, daß sich auch für ihn die simple Zuordnung von Phytopharmaka zur Festbetragsstufe 3 als "absoluter Schwachsinn" darstelle. Er stellte noch einmal klar, daß Phytopharmaka Arzneimittel aus einer oder mehreren Drogen sind, bei denen der oder die (nicht immer im einzelnen bekannten) Wirkstoffe zusammen mit den bei der Herstellung anfallenden Begleitstoffen im Extrakt z. T. synergistisch/antagonistisch zusammenwirken. Die Art des Extrakts hänge davon ab, mit welchem Lösungsmittel (z. B. Wasser, Ethanol oder Chloroform) extrahiert wurde. Die Standardisierung auf einen einzelnen Wirkstoff oder Leitstoff selbst sei vor diesem Hintergrund äußerst problematisch und nur annäherungsweise möglich. Auch die Wirkstoffgehalte seien abhängig vom Herstellungsverfahren (Extraktion), von der Lagerung und von der Herkunft der Drogen. Deshalb seien nicht alle Extrakte aus gleichen Drogen wirklich vergleichbar. In der Praxis spiele auch die persönliche Erfahrung des einzelnen Arztes mit einem bestimmten Produkt eine große Rolle; und die Auswahlkriterien sollten nicht durch Preisvorschriften beeinträchtigt oder gar ersetzt werden.

Stufenweises Vorgehen bei der Beurteilung Ammon schlug folgende Vorgehensweise bei der Beurteilung von Phytopharmaka vor: Ist die Wirkung und die Wirksamkeit eines Phytopharmakons erwiesen, dann kann je nach Stand der Forschung standardisiert werden - im schlechtesten Fall auf das Extrahierungsverfahren bzw. Extraktionsmittel, auf den Extraktgehalt (Droge/Extrakt-Verhältnis); die weiteren Stufen wären ein Fingerprint, die Standardisierung auf Leitsubstanzen, auf eine Wirksubstanz bzw. auf mehrere Wirksubstanzen - Vorschläge, für die sich bereits Professor Nahrstedt ausgesprochen hatte - und schließlich auf ein annähernd gleiches prozentuales Verhältnis der Wirksubstanzen untereinander, was den nur schwer zu realisierenden Idealfall darstelle.

Nicht alle Phytopharmaka in einen Topf werfen Prof. Dr. Theo Dingermann, pharmazeutischer Biologe vom Biozentrum Frankfurt, monierte, daß erhebliche Defizite bei der Transparenz und Kontrolle der pharmazeutischen und therapeutischen Qualität von Phytopharmaka bestünden. Es gelte, die hochwertigen Präparate zu identifizieren und von den minderwertigen zu trennen. Unter der Intransparenz litten Präparate, die sich vom Durchschnitt abheben und chemisch definierten Wirkstoffen nicht nachstünden. Zwar habe die Zulassungsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Transparenzregeln erarbeitet und in Kraft gesetzt, diese Regeln werden allerdings nach wie vor für eine große Anzahl von Phytopharmaka nicht befolgt. Und sie würden von einigen "Arzneimittelfachleuten" (Ärzte genauso wie Apotheker und Vertreter der Krankenkassen) nicht adäquat zur Kenntnis genommen. Schon die Aufteilung der Phytopharmaka in zwei Gruppen, nämlich in "traditionelle Phytopharmaka" (§§ 109 und 109a, 5.AMG-Novelle vom 9.8.1994) und "rationale Phytopharmaka" (§22 AMG; §105 Abs. 4c, 5.AMG-Novelle vom 9.8.1994), ist nach seiner Einschätzung eine äußerst wichtige Regelung. Hierdurch werde der überflüssig große Phytopharmakamarkt sehr formal, aber auch sehr klar aufgeteilt Jeinerseits in Präparate, die ihre Existenzberechtigung aus der Gewohnheit, aus der Tradition heraus ableiten, wobei praktisch zeitnahe wissenschaftliche Erkenntnisse weitgehend fehlen bzw. schlicht ignoriert werden, Jandererseits in Präparate, die sich harten Auswahl- und Kontrollkriterien stellen. Diese Zweiteilung des Marktes sei leider auch innerhalb von Fachkreisen viel zu wenig bekannt und werde zu wenig beachtet. Aber selbst in dem Segment "rationale Phytopharmaka" gebe es heute noch unhaltbare Transparenzdefizite, die den wirklich seriösen und guten Medikamenten schaden. Professor Dingermann machte dies am Beispiel der in der Roten Liste aufgeführten Johanniskraut-Präparate deutlich. Den Arzneimittelfachleuten würden zum Teil wichtige Informationen vorenthalten, statt dessen werde häufig mit seiner Ansicht nach weniger relevanter Information, wie z. B. einer Standardisierung allein auf Hypericin, gearbeitet, so daß eine Bewertung nicht oder nur schwer möglich sei und daher eine ausreichende pharmazeutische Qualität bezweifelt werden könne. Bereits an der Deklaration der Menge des Extraktes erkennt man bei einigen Johanniskraut-Präparaten, so Dingermann, erstaunliche Defizite. Fünf Präparate der in der Roten Liste aufgeführten Johanniskraut-Phytopharmaka machen keine Angabe zur Wirkstoffmenge. Auch Dingermann hob noch einmal die Bedeutung des Extraktionsmittels für die Beurteilung eines Extraktpräparates hervor. Denn: Extrakte, die mit unterschiedlichen Lösungsmitteln extrahiert wurden, repräsentieren unterschiedliche Wirkstoffe. Nach wie vor wird dies meist viel zu wenig beachtet, selbst Fachleute assoziieren mit einem bestimmten Präparat nicht einen definierten Extrakt, sondern eine Arzneipflanze. Man spricht beispielsweise von Johanniskraut-Präparaten, ohne kritisch zu hinterfragen, wie der Extrakt hergestellt wurde.

Das Problem der Standardisierung Ein Problem bei Johanniskraut-Präparaten stellen, so Dingermann, nach wie vor Angaben zur Standardisierung auf Hypericin bzw. Gesamthypericin dar. Entsprechend einer EU-Richtlinie sei jedoch derzeit die Deklaration von Standardisierungen auf Hyericin bzw. Gesamthypericin bei Johanniskrautpräparaten auf der Verbraucherinformation untersagt. Der Hintergrund: Zunächst nahm man an, daß Hypericin der wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoff von Hypericum ist. Die Hersteller stellten ihre Hypericumpräparate auf eine bestimmte Hypericinkonzentration ein, was zunächst einmal sicher positiv war, da die Präparate zumindest bezüglich des Hypericingehaltes vergleichbar wurden, außerdem eine Chargenkonformität bezüglich des Hypericingehaltes belegt werden konnte. Neuere Präparate, die auf den Markt kamen, zeichneten sich durch ständig steigende Hypericinmengen pro Dosis aus. Damit sei suggeriert worden, daß diese Hypericinpräparate besser seien als hyericinärmere Präparate. Mittlerweile jedoch gibt es Studien, die belegen, daß auch hypericinfreie Johanniskrautpräparate wirksam zu sein scheinen, was den Schluß nahe legt, daß es sich bei Hypericin nicht um den relevanten wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoff handeln kann. Eine Normierung bzw. Standardisierung auf Hypericin ist demnach nicht sinnvoll. Ein hoher Hypericingehalt läßt nach heutigem Wissen also nicht auf eine bessere Wirksamkeit schließen. {zt}Die korrekte Deklaration könnte entscheidend sein {te}Dingermann faßte seine Auswertung der in der Roten Liste aufgeführten Hypericumpräparate zusammen: Von 37 Präparaten seien nur 6 korrekt deklariert. Nur diese ermöglichen es dem Arzneimittelfachmann, eine Bewertung auf einer zwar noch formalen, aber dennoch sehr wichtigen Ebene vorzunehmen. Allein vor diesem Hintergrund ist es absurd, so Dingermann, alle Phytopharmaka im Rahmen der Bildung von Festbetragsgruppen in einen Topf zu werfen und damit zu suggerieren, daß alle diese Präparate gleichwertig seien. Es sind dramatische Unterschiede festzustellen - selbst innerhalb einer Gruppe von rationalen Phytopharmaka. Nach Dingermanns Auffassung sollten Anstrengungen unternommen werden, diese Unterschiede noch weiter herauszuarbeiten, vielleicht auch durch das Instrumentarium "Erstattungsfähigkeit". Dingermann betrachtet es als Unding, daß bei dem Vorschlag für eine Festbetragsgruppe Stufe 3 Präparate mit 40 mg Hypericumextrakt Einzeldosis solchen mit 300 mg Einzeldosen in Wirksamkeit und Preissetzung gleichgesetzt werden. Die in der Packungsbeilage angegebene Menge von sechs Dragees sei ein Viertel der Dosis, die für Hypericumextrakte als notwendig erachtet wird, um die nachgewiesene therapeutische Dosis zu erreichen. Damit würden unterdosierte, und damit wahrscheinlich wenig wirksame Präparate aufgrund eines günstigen Preises dem Arzt empfehlenswert erscheinen. Dieser Auffassung könnte sich Glaeske aus der Sicht der Barmer Esatzkasse durchaus anschließen: Wenn bei Arzneimitteln nicht deklariert sei, was nach dem Stand des wissenschaftlich Möglichen deklariert sein müßte, könnte die Krankenkasse dies durchaus als Kriterium nehmen, ein solches Präparat als nicht verordnungsfähig einzustufen. Lüpke betrachtete den Hinweis Glaeskes kritisch und bezweifelte, daß die Deklaration ein Kriterium für sozialrechtli

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