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1. Europäischer Ginseng-Kongreß

Seit 1986 ist Ginsengwurzel im Deutschen Arzneibuch monographiert. Der Jahresumsatz von Ginsengpräparate beträgt in Deutschland etwa 110 Mio. DM zu Endverkaufspreisen. Seit einigen Jahren wird Ginseng sogar bei uns angebaut. Die Ginseng-Forschung, vom Anbau der Stammpflanzen bis hin zur klinischen Prüfung der Extrakte, findet jedoch überwiegend in Übersee statt. Um den internationalen Forschungsstand in Deutschland publik zu machen und den wenigen Ginseng-Spezialisten hierzulande mehr Gehör zu verschaffen, um Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft miteinander in Kontakt zu bringen, fand vom 6. bis 11. Dezember an der Universität Marburg der 1. Europäische Ginseng-Kongreß statt. Initiator und Organisator war Prof. Dr. Hans Christian Weber vom Lehrstuhl für Spezielle Botanik und Mykologie in Marburg.

Historischer Abriß


Ginseng war seit jeher ein Bestandteil der chinesischen Medizin, deren Geschichte sich an Hand literarischer Quellen bis in das 2. Jh. v. Chr. zurückverfolgen läßt. Die "menschenähnliche" Wurzel - so die Übersetzung des chinesischen Namens - gilt in Ostasien als Mittel zur Steigerung der Lebenskraft "qi" und der Abwehrkraft "wei", also als allgemeines Stärkungsmittel, als Mittel zur Erhaltung der Gesundheit, zur Förderung der Rekonvaleszenz und nicht zuletzt auch als Potenzmittel (Behebung der "yang"-Schwäche).
Um 1650 gelangte die Droge auch nach Europa, wo sie wegen ihres sagenhaften Rufs und wohl auch wegen ihres kuriosen Aussehens anfangs mit Gold aufgewogen wurde. Ginseng bürgerte sich allmählich in der medizinischen Praxis ein, so daß er im 18. Jahrhundert auch in vielen deutschen Pharmakopöen vertreten war. Allerdings dürfte damals auch viel verfälschte Ware importiert worden sein.
Im Zuge der allgemeinen Sichtung des Arzneischatzes nach rationalen Gesichtspunkten wurde Ginseng in Europa um 1800 obsolet. Erst ab etwa 1950 weckte Ginseng wieder das Interesse westlicher Arzneimittelhersteller und Mediziner, insbesondere der Gerontologen, und es begann die wissenschaftliche Erforschung der Extrakte und ihrer Inhaltsstoffe in chemischer und pharmakologischer Hinsicht

Biologie


Ginseng ist eine Staude, die die arzneilich genutzte Speicherwurzel ausbildet. Die zweigeteilte, "zweibeinige" Erscheinung der Wurzel ist eher die Ausnahme. Der doldenförmige Fruchtstand des Ginseng ähnelt dem des Efeu - beide Pflanzen gehören zur Familie Araliaceae -, doch hat man erst kürzlich festgestellt, daß es sich bei den leuchtend roten Früchte nicht um Beeren, sondern um Steinfrüchte handelt.
Wenn die Früchte reif sind, sind die in den Samen ruhenden Embryonen noch sehr rudimentär, so daß sie noch nicht keimen können. Sie benötigen noch eine weitere Entwicklungszeit von 10 bis 14 Monaten, dann eine Frostperiode und keimen etwa vier Monate danach. Eine Aussaat ist also erst im zweiten Jahr nach der Ernte der Früchte möglich.
Ginseng lebt in Symbiose mit einem vesikulär-arbuskulären Mykorrhiza-Pilz der Gattung Glomus. Die Symbiose ist der Grund dafür, daß früher die meisten Versuche scheiterten, Ginseng zu kultivieren. Da Ginseng den Pilz während des Winters verdaut, ist es notwendig, ihn zu Beginn der Vegetationsperiode wieder neu zuzuführen. Es gibt jedoch andere Pflanzenarten, in denen der Pilz "überwintern" kann. Je nach geographischer Region eignen sich verschiedene solche "Ammenpflanzen", um den Anbau von Ginseng zu erleichtern. In Deutschland z.B. kommt hierfür das Schmalblättrige Weidenröschen (Epilobium angustifolium) in Frage.
Die genetische Erforschung des koreanischen Ginseng wird insbesondere in Wladiwostok betrieben, weil im dortigen Hinterland noch verhältnismäßig viel wilder Ginseng wächst.
Verschiedene Versuche, mit Zellkulturen aus Ginsengwurzel die als Hauptwirkstoffe angesehenen Ginsenoside zu produzieren, sind noch nicht zur ökonomischen Reife gelangt.

Anbau und Vermarktung


Angebaut werden derzeit drei Ginseng-Arten:

  • Panax ginseng, vor allem in Nordostchina (Mandschurei), Nord- und Südkorea;
  • Panax notoginseng in Südchina;
  • Panax quinquefolius, vor allem in Kanada und in den USA.


Der amerikanische Ginseng P. quinquefolius war den Europäern seit dem frühen 18. Jahrhundert bekannt; die Ernte aus Wildsammlung und Anbau wird seither größtenteils nach Ostasien exportiert, wo er mittlerweile ebenfalls angebaut wird.
Der koreanische Ginseng P. ginseng wird seit einigen Jahrhunderten kultiviert, während seine Wildvorkommen im Grenzgebiet der Mandschurei zum russischen Ussuri-Gebiet sehr stark zusammengeschrumpft sind. Der Südginseng P. notoginseng wurde erst zu Beginn unseres Jahrhunderts entdeckt und spielt im internationalen Markt noch keine Rolle.
Ob weitere verwandte Arten wie der Vietnamesische Ginseng P. vietnamensis und die von Indien bis Polynesien verbreitete Fiederaralie Polyscias fruticosa sich für den Anbau und die Vermarktung eignen, wird derzeit noch untersucht.
In Nordamerika werden jährlich knapp 3000 t Ginsengwurzel geerntet. Größter internationaler Umschlagplatz für asiatische und amerikanische Ginsengwurzeln ist Hongkong mit insgesamt 3800 t (1996). Bei einer Tagesdosis von 1 g entspricht dies 3,8 Mrd. Tagesdosen.
Ginseng wird jedoch keineswegs nur zu Arzneimitteln verarbeitet, sondern auch zu Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln (z.B. Salate, Suppen, Gelee, Honig, Süßigkeiten, Kaugummi), zu Soft Drinks und alkoholischen Getränken, zu Genußmitteln (Zigaretten) und sogar zu Kosmetika (Shampoo, Seife, Hautcreme).

Pharmazie und Pharmakologie


Offizinell ist in Deutschland nur die Wurzel des koreanischen Ginseng, nicht aber die Wurzel der anderen kultivierten Arten, obwohl deren Inhaltsstoffmuster sehr ähnlich sind. Während Ginsengwurzel in Ostasien teils roh gekaut wird, teils als Tee zubereitet wird, wird sie als Ganzdroge in deutschen Apotheken kaum angeboten (sie ist aber im Buch "Teedrogen" von Wichtl aufgeführt).
Auf dem Markt (siehe Rote Liste, Hauptgruppe 73. Roborantia-Tonika) sind hauptsächlich Kapseln und Dragees mit gepulverter Droge, Extrakt oder Trockenextrakt sowie flüssige Zubereitungen. Gängiges Lösungsmittel ist ein Ethanol-Wasser-Gemisch. Einige Hersteller begründen eine magensaftresistente Zubereitungsform mit der Behauptung - die allerdings im Gegensatz zur ostasiatischen Tradition steht -, es sei für die Wirksamkeit von Ginseng wichtig, daß er nicht mit der Magenflüssigkeit in Kontakt kommt.
Die Kommission E des ehemaligen BGA hat 1991 eine Tagesdosis von 1 bis 2 g Droge empfohlen. Als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe von Ginsengwurzel (Gehalt nach DAB mindestens 1,5%) gelten die Ginsenoside; es sind Triterpenglykoside mit Saponineigenschaften, von denen mittlerweile über 20 Vertreter entdeckt worden sind; ihre Struktur ist mehrheitlich tetrazyklisch, ansonsten pentazyklisch.
Eine leistungssteigernde Wirkung von Ginseng(-präparationen) ist sowohl in isolierten Zellen als auch im Tierversuch nachgewiesen worden. Die adaptogene Wirkung, die besagt, daß Ginseng bei kontinuierlicher Anwendung die Funktionsfähigkeit des Immunsystems optimiert, ist allerdings in empirischen Studien schwer nachzuweisen.
Wie Ginseng seine Wirkung auf das Zentralnervensystem entfaltet - er ist ja auch bei Konzentrationsschwäche indiziert -, ist bisher ungeklärt. Die Ginsenoside sind zwar nicht imstande, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, doch ist nicht auszuschließen, daß ihnen dies mit Hilfe von Carriern gelingt, die bisher noch nicht identifiziert wurden.

Diskussion


Viele der überwiegend ausländischen Kongreßteilnehmer brachten ihre Verwunderung über die deutsche Gesetzgebung zum Ausdruck, die nur den koreanischen, nicht aber den amerikanischen Ginseng als Arzneidroge zuläßt und Ginsengpräparate als Nahrungsergänzungsmittel ("health food") gar nicht erlaubt. Nachdem ihnen die Gesetzeslage erklärt war, meinten sie einhellig: "So you must change the rools!" Dabei schwang viel Selbstbewußtsein mit, was sich auch daher erklärt, daß die Ginsenganbauer und -vermakter in Nordamerika ein starke Lobby haben.
Daß in Zukunft bei uns diverse Lebensmittel mit Ginsengzusatz auf den Markt kommen, dürfte jedoch auch unter den Zwängen der Globalisierung eher unwahrscheinlich sein.W. Caesar
Nach Referaten von William G. Bailey, Burnaby, B.C., Kanada; Wolfgang Caesar, Stuttgart; Josef Hölzl, Marburg; Jurij Schurawlew, Wladiwostok; Hans Christian Weber, Marburg; Gesine Wischmann, Walsrode.

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