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Agni casti fructus bei prämenstruellem Syndrom

Die Anwendungsgebiete für Arzneipflanzenpräparate aus Früchten von Vitex agnus-castus L. (Mönchspfeffer) wurden in Deutschland von der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes in einer Monographie festgelegt. Danach gab es während langer Zeit wenig neue Erkenntnisse rund um die Droge und ihre Zubereitungen. Dies änderte sich, als an der Universität Basel und an der ETH Zürich zwei Dissertationen zum Thema angefertigt wurden. Ihre und andere jüngere Forschungsergebnisse wurden am 20. November auf einem Workshop an der ETH in Zürich vorgestellt. Der Workshop fand anlässlich des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Willi Schaffner, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische Biologie an der Universität Basel, statt.


Von den durch die Kommission E in der revidierten Monographie vom 27. Oktober 1992 festgelegten Anwendungsgebieten von Agnus castus,
-Regeltempoanomalien (Zyklusstörungen),
-prämenstruelle Beschwerden und
-Mastodynie,
ist letzteres durch eine Reihe von Anwendungsbeobachtungen und durch zwei nach neuesten Richtlinien der GCP durchgeführte klinische Doppelblindstudien am besten belegt. Innerhalb von drei Zyklen reduzierten sich die Brustschmerzen nach Einnahme von Mastodynon(r) signifikant gegenüber der Placebogruppe, obwohl diese auch hohe Ansprechraten aufwies. Die flüssige Form führte zu einem etwas schnelleren Wirkungseintritt als die feste Form, insgesamt waren aber beide Zubereitungen gleich wirksam.
Regulierend wirkten beide Prüfpräparate bei erhöhten Prolactinwerten, und zwar in ähnlichem Ausmaß wie der synthetische Arzneistoff Bromocriptin. Erhöhte Prolactinwerte führen insbesondere zu den Beschwerden der Mastodynie. Auch bei Zyklusstörungen wurden mit beiden Präparaten klinisch belegte Erfolge registriert.

Behandlung des prämenstruellen Syndroms


Weniger gut dokumentiert war bisher die Anwendung von Zubereitungen aus Agni casti fructus beim prämenstruellen Syndrom (PMS), dem in der Anwendungspraxis wohl die größte Bedeutung zukommt, zumal keine der Therapien mit synthetischen Arzneistoffen allgemein anerkannt wird.
Die Prävalenz des PMS ist erstaunlich hoch: Eine mit Pharmaziestudentinnen durchgeführte Studie in Basel ergab einen Wert von 70%. Das Auftreten war unabhängig davon, ob orale Kontrazeptiva eingenommen wurden oder nicht. Doch unterschied sich das Spektrum der Symptome: Psychische Beschwerden dominierten bei Frauen mit oraler Kontrazeption, während ohne orale Kontrazeption physische Beschwerden häufiger genannt wurden. Knapp die Hälfte der Befragten erachtete es als notwendig, die Beschwerden zu behandeln. Schmerzmittel wurden zur Behandlung am häufigsten eingesetzt, Arzneitees und Phytopharmaka dagegen nur selten verwendet. Dabei ist allerdings zu beachten, dass in der Schweiz, anders als in Deutschland, der Mönchspfeffer als Phytopharmakon noch nahezu unbekannt ist.
Eine auf dem Workshop erstmals vorgestellte, nach GCP-Richtlinien durchgeführte prospektive Anwendungsbeobachtung (n = 43) mit dem ethanolischen Extrakt (60% m/m) Ze440 führte zu interessanten Ergebnissen. Mit verschiedenen, validierten, prospektiv erfassten Fragebogen wurde eine statistisch signifikante Abnahme der Beschwerden von im Durchschnitt annähernd 50% während einer dreimonatigen Medikationsphase festgestellt. Dieselben Beschwerden hatten sich vorher in einer zweimonatigen Run-in-Phase nicht verändert. Die Reduktion der Beschwerden während der Medikation war kontinuierlich. Die meisten Beschwerden nahmen innerhalb von drei Monaten in der Nachkontrollphase ohne Medikaton wieder zu. Bei knapp zwei Dritteln der Patientinnen reduzierten sich die aufgezeichneten Beschwerdescores um mehr als 50%, was als klinisch relevant betrachtet wird. Deutlich gebessert waren emotionale Beschwerden, Veränderungen im Verhalten und Unterleibsbeschwerden. Die Verträglichkeit wurde generell als gut beurteilt. Die von den Patientinnen gemeldeten unerwünschten Ereignisse wurden als schwach eingestuft und traten nur kurzzeitig vor allem am Anfang der Therapie auf. Die meisten der genannten Symptome gehörten zum Komplex des prämenstruellen Syndroms.
Noch steht der Wirkungsnachweis mit einer kontrollierten, klinischen Studie aus, die Evidenz der vorgelegten Studie darf jedoch als beachtlich bezeichnet werden.

Dopaminerge Wirkung von Inhaltsstoffen


Pharmakologisch ist die dopaminerge Wirkung von Extrakten aus Agni casti fructus, die sich am Prolactinspiegel zeigt, schon seit längerer Zeit bekannt. Bei Ratten, die mit dem Extrakt behandelt wurden, stiegen unter Stress die Prolactinspiegel deutlich schwächer an als bei der Kontrollgruppe. An in vitro kultivierten Hypophysenzellen verminderten dieselben Extrakte sowohl die basale als auch die durch thyreoides Hormon stimulierte Prolactinsekretion signifikant. Der Effekt wird durch
Dopaminagonisten wie Haloperidol aufgehoben. Aus diesen und weiteren Versuchen wurde geschlossen, dass Bestandteile des Extraktes an den D2-Rezeptor binden.
Das Wirkprinzip wurde vorerst in der hydrophilen Phase des Extraktes gesucht. Dort ließen sich jedoch nur schwache und wenig stabile Aktivitäten finden. Beachtliche Verdrängungsraten von 3H-Spiroperidol am D2-Rezeptor zeigten in jüngsten Untersuchungen neu isolierte lipophile Diterpene, so unter anderem Rotundifuran und 6b,7b-Diacetoxy-13-hydroxy-labda-8,14-dien. Obwohl die Diterpene insgesamt in einem Konzentrationsbereich von < 5% in den geprüften Extrakten Ze440 enthalten waren, zeigte keine der Substanzen eine größere Aktivität als die Gesamtextrakte. Die IC50-Werte lagen für Extrakte und Reinstoffe zwischen 30 und 80 mg/ml. Interessanterweise wurden sehr ähnliche Beobachtungen sowohl in den Kooperationen des Kompetenzzentrums Pharmazie der Universität Basel (pharmakologische Prüfungen) und der ETH Zürich (Analytik und Isolierung der Diterpene) als auch in einer Kooperation der Universität Göttingen mit der Firma Bionorica gemacht. Zytotoxische Wirkungen durch den Extrakt wurden nicht beobachtet.
Die Wirksamkeit von Extrakten aus Agni casti fructus kann über die dopaminerge Aktivität zufriedenstellend begründet werden. Erhöhte Prolactinspiegel bzw. eine latente Hyperprolactinämie hat pathologische Bedeutung. Für Zyklustempoanomalien wie sekundäre Amenorrhö, Oligomenorrhö, Polymenorrhö infolge Corpus-luteum-Insuffizienz, anovulatorische Zyklen und damit verbundene Galaktorrhö sowie die zyklisch auftretende Mastodynie stellt eine Hyperprolactinämie eine der häufigsten Ursachen dar. Da sich auch im Zentralnervensystem dopaminerge Systeme befinden (das nigrostriatale System regelt extrapyramidale Motorik, das mesolimbische System steuert Emotionen), sind auch positive Wirkungen beim prämenstruellen Syndrom mit seinen typischen psychischen, motorischen und somatischen Symptomen erklärbar, obwohl dessen Ätiopathogenese noch nicht geklärt ist.

Aktivität an Opioid-Rezeptoren


In letzter Zeit hat sich gezeigt, dass Phytopharmaka im allgemeinen die Potenz haben, nicht nur einen, sondern gleich mehrere biochemische Prozesse zu beieinflussen. Da dürfte der Mönchspfeffer keine Ausnahme sein. An der Universität Basel (Pharmazie) wurde die Aktivität verschiedener Extrakte und Extraktfraktionen unter anderem an Opioid-Rezeptoren untersucht. Dabei wurden an den m- und k-Rezeptoren des Systems mit IC50-Werten von < 50 mg/ml für Ze440 sowie für methanolische Extrakte und verschiedene Fraktionen beachtliche Hemmungen der Bindung der zu verdrängenden Radioliganden gemessen.
Diese Aktivitäten weiter zu verfolgen ist insofern von Interesse, als bei Frauen, die am prämenstruellen Syndrom leiden, beobachtet werden konnte, dass der Abfall des Östrogens und des Progesterons in der spätlutealen Phase mit einer übermäßig starken Konzentrationsabnahme des zentralen Endorphins verbunden ist. Diese abrupte Abnahme führt zu Symptomen, wie sie nach einem Morphinentzug bei Opiatabhängigen und ähnlich beim prämenstruellen Syndrom beobachtet werden können (Stimmungslabilität, Kopfschmerzen, Wasserretention).

Pharmazeutische Qualität


Zur Charakterisierung von Extrakten aus Agni casti fructus wurden bisher verschiedene Substanzen verwendet. Im HPLC-Fingerprintchromatogramm dominieren die Peaks von 4-Hydroxybenzoesäure (PHBA), Isoorientin, Agnusid und Casticin. Casticin ist von den aufgezählten Substanzen die lipophilste, und aufgrund der Beobachtung, dass pharmakologisch aktive Substanzen in den lipophilen Extraktfraktionen stecken, ist ihre Bedeutung als Leitsubstanz gestiegen. Als mehrfach methyliertes und nicht glykosidiertes Flavonol weist Casticin ein für diese Substanzklasse typisches UV-Spektrum auf, dank dem quantitative Messungen selektiv vorgenommen werden können.
Die Konzentration an Casticin in der Droge liegt bei ca. 0,2%, was bei einer Tagesdosis von 40 mg Droge, wie sie von der Kommission E vorgegeben ist, 80 mg entspricht. Je nach Arzneiform reduziert sich diese Menge, so dass die Analytik problematisch ist. Dies hat Folgen, wenn bezüglich der Konzentration dieser Leitsubstanz Zulassungsrichtlinien eingehalten werden müssen. So könnten Zulassungsanträge daran scheitern, daß an die Präzision der Analytik Anforderungen gestellt werden, welche diese nicht zu leisten vermag. Das auf dem Workshop vorgestellte Verfahren zur Bestimmung von Diterpenen ist noch nicht so weit entwickelt, als dass es schon standardmäßig zur Charakterisierung von Extrakten verlangt werden könnte. Insbesondere sind die nötigen Referenzsubstanzen derzeit nicht in den nötigen Mengen verfügbar.
Der Fingerprint der getrockneten Mönchspfeffer-Früchte kann ein sehr unterschiedliches Bild zeigen. Es gibt Drogen, in denen Casticin dominiert, in anderen fällt der Agnusid-Peak besonders auf. Korrelationen im Verhältnis der analysierten Inhaltsstoffe konnten bisher nicht beobachtet werden, so dass das Ausgangsmaterial je nach ausgewählter Leitsubstanz definiert werden muss. Die Früchte zeigen zudem recht große Unterschiede im Extraktivstoffgehalt, so dass es schwierig ist, das in der Phytotherapie in Dosierungsfragen beliebte Droge-Extrakt-Verhältnis beizuziehen. Da die Droge erst während der letzten drei Jahre phytochemisch wieder vermehrt untersucht wurde, liegen noch keine Daten darüber vor, ob die Differenzen möglicherweise von der mehr oder weniger großen Akkumulation von Reservestoffen in den Früchten abhängen. Für die Zubereitung von Trockenextrakten ist es jedenfalls von Vorteil, den Extraktivstoffgehalt in die Spezifikation für die Droge aufzunehmen.

Anbau: Erste Erfahrungen


Zum Anbau der Pflanze Vitex agnus-castus liegen in der Literatur bisher praktisch keine Angaben vor. Problematisch ist die Reifung der Früchte, kann doch am selben Fruchtstand ein eigentlicher Reifegradient beobachtet werden. Die reifen Früchte fallen jeweils rasch ab. Es ist deshalb von Vorteil, die Fruchtstände vor der Reifung der ersten Früchte zu ernten. Nach bisherigen Erkenntnissen führt die Nacherntereifung zu keinen Veränderungen in den chromatographischen Fingerprints, die auf der Stufe der Droge auch das ätherische Öl umfassen.
Der mit 100 interessierten Teilnehmern schon Wochen vor dem Termin ausgebuchte Workshop an der ETH Zürich machte deutlich, dass der während der letzten Monate erfolgte Erkenntnisgewinn zur Arzneidroge Agni casti fructus sowohl klinisch als auch pharmakologisch beachtlich ist. Parallel hat sich auch die phytochemische Datenlage deutlich verbessert, wobei sich die Droge in die Reihe von Baldrian, Hopfen, Johanniskraut und anderen stellt, die keinen eindeutigen Wirkstoff preisgeben wollen. Somit bleibt der Extrakt der Wirkstoff.
Prof. Dr. Beat Meier, Romanshorn
Workshop Agni casti fructus - Pharmazeutische Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit am 20. November an der ETH in Zürich. Organisation: ETH Zürich, Departement Pharmazie; Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA); Schweizerische Gesellschaft für Pharmazeutische Wissenschaften (SGPhW); Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP). Nach Referaten von PD Dr. G. Abel, Neumarkt; Dr. D. Berger, Basel; R. Bruggisser, Basel; I. Göhler, Neumarkt; Dr. C. Gorkow, Neumarkt; E. Hoberg, Zürich; Prof. Dr. H. Jarry, Göttingen; Prof Dr. B. Meier, Romanshorn; Prof Dr. W. Wuttke, Göttingen.
Die Tagung wurde finanziell unterstützt durch Bionorica Arzneimittel GmbH, Neumarkt/Opf., Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA), Phytochem, Referenzsubstanzen, GbRmbH, Ichenhausen, und Zeller AG, Pflanzliche Heilmittel, Romanshorn.

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