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Gesundheitspolitik: Grüne: Für Demokratisierung des Gesundheitswesens

BONN (daz). Wir haben die Gesundheitsexperten der einzelnen Bundestagsfraktionen um Statements gebeten, wie sie sich das künftige Gesundheitswesen vorstellen. Den Auftakt hatte in der vergangenen Woche Klaus Kirschner von der SPD gemacht. In dieser Ausgabe erläutert Marina Steindor, gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/die Grünen, ihre Vorstellungen von einer Demokratisierung des Systems. Ihrer Ansicht nach sind grundlegende Reformen nötig, wobei es allerdings bei dem Solidar- und Sachleistungsprinzip bleiben solle. Zuzahlungen und mehr Eigenbeteiligungen der Bürger lehnt sie ab, da sie die Eigenverantwortung nicht förderten. Vielmehr sollten die Patienten vermehrt in Planung und Kontrolle des Systems einbezogen werden. Konkret spricht sich Steindor für eine Positivliste sowie eine Liste für naturheilkundliche Präparate aus.

Die Belange der Patientinnen müssen im Zentrum einer mutigen Gesundheitspolitik stehen Das Deutsche Gesundheitsweisen ist im internationalen Vergleich gut, effizient und kostengünstig. Dennoch braucht es grundlegende Reformen. Eine emanzipatorische Gesundheitspolitik, wie wir sie wollen, erfordert eine Krankenversicherung, die auf dem Solidar- und Sachleistungsprinzip beruht. Das bedeutet unabhängig von Einkommen, Geschlecht und sozialer Stellung, bekommen alle Versicherten die Leistungen, die zur Erhaltung von Gesundheit und zur Überwindung von Krankheit notwendig sind. Sie haben Ansprüche an die Krankenkassen unabhängig von ihren eingezahlten Beiträgen.

Bündnisgrüne Gesundheitspolitik ist einem ganzheitlichen Menschenbild verpflichtet Der Mensch und seine Würde stehen im Mittelpunkt des Handelns. Die Selbstbestimmung der Kranken und Versicherten muß gestärkt werden, ohne Gesundheit zur reinen Privatsache zu machen. Zuzahlungen und finanzielle Eigenbeteiligungen innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung dagegen fördern die Eigenverantwortung des Einzelnen nicht und werden von uns daher radikal abgelehnt. Für eine Demokratisierung des Gesundheitssystems müssen schon in der Planung, Ausgestaltung und Kontrolle die PatientInnen und Versicherten mehr miteinbezogen werden.

Die Bundesregierung betreibt eine unsolidarische Gesundheitspolitik Zukunftsweisende Vorhaben haben bei der aktionistischen Gesundheitspolitik der Bundesregierung keinen Platz. Sie macht das Gesundheitswesen zur Manövriermasse im Standortwettbewerb. Durch die umfassende Deregulierung wird das Gesundheitswesen markt- und wettbewerblichen Mechanismen unterworfen und die Solidarität ausgehöhlt. Dies hat Leistungsausgrenzung und die qualitative Verschlechterung der Versorgung zur Folge. Gesundheit ist keine Ware für den Wettbewerb.

Ausbau der solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung Die "Kostenexplosion" im Gesundheitswesen ist eine Mär: Seit Mitte der 70er Jahre entwickelt sich der Anteil der Ausgaben der GKV am Bruttosozialprodukt nahezu konstant und weitgehend synchron zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Erhöhung der Beitragssätze ist in erster Linie nicht auf einen Anstieg der GKV-Ausgaben oder auf einzelne Ausgabensektoren zurückzuführen. Sie geht zurück auf die anhaltend hohe Massenerwerbslosigkeit und die relativen Einkommensverluste durch das Sinken der Lohnquote. Eine zusätzliche Belastung für die GKV sind verschiedene politische Maßnahmen der Bundesregierung aus der jüngsten Vergangenheit. Hierzu zählt im wesentlichen der Mißbrauch der GKV als "Verschiebebahnhof" für andere Sozialversicherungsträger. Beispielsweise sind die Beiträge aus der Krankenversicherung der RentnerInnen sowie der Arbeitslosenversicherung an die Krankenkassen durch gesetzliche Eingriffe beschnitten worden und haben allein im Jahre 1995 zu Mehrbelastungen der GKV in Höhe von etwa 7 Milliarden DM geführt. Wir fordern ein Globalbudget, das sich am Bruttoinlandsprodukt orientiert und in dem die gesamten Ausgaben der GKV festgelegt werden. Diese Maßnahme ist erforderlich, um die Beitragssätze stabil zu halten und für eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren zu sorgen. So sollen die bestehenden Rationalisierungsreserven besonders zwischen ambulanter und stationärer Versorgung mobilisiert werden. Zur Verbesserung der Finanzbasis der GKV muß das Solidarprinzip ausgebaut werden. Die Beitragsbemessungsgrenze und Versicherungspflichtgrenze für die Krankenversicherung (bislang 75 Prozent) soll analog der Rentenversicherung angehoben werden. Die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenversicherung müssen wieder die Höhe vor der Rentenreform erreichen.

Senkung der Ausgaben durch Qualität Prävention und Gesundheitsförderung müssen wieder in den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen werden, da ihre Vernachlässigung langfristig zu einer Erhöhung der Ausgaben im Bereich der chronisch-degenerativen Krankheiten führt. Noch immer ist Gesundheit nicht in allen sozialen Schichten gleich verteilt. Durch die Vermeidung von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit könnte die Wirtschaft um bis zu 8 Milliarden DM entlastet werden. Um das durchzusetzen, müssen Gesundheitsförderung und Prävention erneut im Sozialgesetzbuch (SGB V, §20) verankert und ausgebaut werden. Bündnisgrüne Gesundheitspolitik ist qualitätsorientiert. Die am Menschen orientierte Medizin muß dringend ausgebaut und vor allem auch bei der ärztlichen Honorierung beachtet werden. Dabei müssen Verfahren der besonderen Therapierichtungen als gleichberechtigte Verfahren anerkannt werden und in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden; ebenso die Psychotherapie.

Arzneimittel - ein aktiver Posten im Gesundheitswesen Zuzahlungen zu Medikamenten sind in den letzten Monaten drastisch gestiegen. Sie benachteiligen kranke, alte und behinderte Menschen und belasten sie einseitig. Viele Medikamente müssen allein von den Kranken getragen werden. Einen kostensteuernden Effekt hat das nicht. Mit dem Prinzip der Solidarität der GKV sind Zuzahlungen nicht vereinbar. Die Versicherten müssen sicher sein können, qualitativ hochwertige und wirksame Arzneimittel zu bekommen. Deshalb brauchen wir eine Liste verordnungsfähiger Arzneimittel (Positivliste). Eine gesonderte Liste ist zudem erforderlich für naturheilkundliche Medikamente. Daß die Festbetragsregelung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen weggefallen ist und es keine bevorzugte Abgabe mehr von preisgünstigen importierten Arzneimitteln in Apotheken gibt, bringt keine qualitative Verbesserung für die PatientInnen. Es bedeutet allerdings Mehrkosten für die GKV.

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