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Arzneimittelzulassung: Verstößt deutsche Nachzulassung gegen EU-Recht?

BONN (hst). Die Kommission der Europäischen Union hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nachzulassung der vor 1978 bereits in Verkehr befindlichen Arzneimittel eingeleitet. In einem Schreiben an die Bundesregierung bemängelt die Kommission, daß mit den sogenannten 2004-Produkten Päparate vertrieben werden dürfen, die nicht auf ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft wurden, daß die im EG-Recht vorgesehenen Fristen nicht eingehalten wurden und daß für die zur Nachzulassung anstehenden Produkte keine Nachweise zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erbracht werden müssen.

Das Schreiben, mit dem der Bundesregierung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, bildet den ersten Schritt in dem Vertragsverletzungsverfahren. Die Bundesregierung hat Gelegenheit, sich zu den Ausführungen der EU-Kommission bis Ende Januar zu äußern. Danach entscheidet die Kommission unter Berücksichtigung der Stellungsnahme der Bundesregierung, ob das Nachzulassungsverfahren in Deutschland gegen EU-Recht verstößt und in welchen Punkten es ggf. geändert werden muß. Kommt die Bundesregierung der Entscheidung der Kommission nicht nach, kann die Kommission die Bundesrepublik vor den Europäischen Gerichtshof verklagen und empfindliche Bußgelder gegen die Bundesrepublik verhängen lassen.

Zeitaufwendiges Nachzulassungsverfahren Bei der Nachzulassung werden die vor Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes am 1. Januar 1978 in Verkehr befindlichen Fertigarzneimittel auf ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft. Dazu wurden in den achtziger Jahren beim damaligen Bundesgesundheitsamt Aufbereitungskommissionen eingerichtet, die das zu einzelnen Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen verfügbare Erkenntnismaterial in Aufbereitungsmonographien zusammenstellten. Hersteller konnten ihre Nachzulassungsanträge zur Dokumentation der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf diese Monographien stützen. Das Aufbereitungsverfahren erwies sich jedoch als zeitaufwendiger als erwartet. Obgleich für eine Vielzahl von Wirkstoffen und vor allem Wirkstoffkombinationen noch keine Monographien erarbeitet werden konnten, wurde die Aufbereitung mit dem 5. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, das am 17. August 1994 in Kraft trat beendet. Zur Effektivierung der Nachzulassung wurde die Beweispflicht der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei den Produkten, für deren Inhaltsstoffe keine Monographien vorliegen, auf den Hersteller übertragen.

Die 2004-Regelung Außerdem sollten Hersteller mit der sogenannten 2004-Regelung bewegt werden, zur Entlastung der Zulassungsbehörde Anträge aus der Nachzulassung zurückzuziehen. Produkte, auf deren Nachzulassung der Hersteller verzichtet, können bis zum 31. Dezember 2004 wieterhin vertrieben werden. Hiervon ausgenommen sind Produkte mit unvertretbaren Arzneimittelrisiken. Von dieser Möglichkeit hatten Hersteller bis November letzten Jahres für mehr als 6700 Nachzulassungsanträge Gebrauch gemacht.

Was die EU bemängelt Die EU-Kommission weist in ihrem Schreiben darauf hin, daß das Nachzulassungsverfahren nach der einschlägigen EU-Bestimmung bis zum 20. Mai 1990 hätte abgeschlossen sein müssen. Das in § 105 des Arzneimittelgesetzes geregelte Nachzulassungsverfahren erfülle im übrigen nicht die Erfordernisse einer Nach- oder Neuzulassung, da der Unternehmer zwar Zulassungsunterlagen wie bei einer Neuzulassung vorlegen müsse, nicht jedoch die Ergebnisse pharmakologisch-toxikologischer und klinischer Studien. Die EU-Kommission stellt fest, daß Nachzulassungsentscheidungen für auf dem deutschen Markt befindliche Arzneimittel nicht in jedem Fall alle Zulassungsvoraussetzungen der maßgeblichen EU-Richtlinie erfüllen. Weiter führt die EU-Kommission aus, die 2004 Regelung stehe im krassen Widerspruch zu geltendem EU-Recht. Diese Sonderregelung gestatte es nämlich, daß Altarzneimittel aufgrund fiktiver Formalzulassungen bis zum Jahr 2005 auf dem deutschen Markt vertrieben werden könnten, obwohl bereits seit 1990 alle Zulassungen für Arzneimittel auf der Beurteilung eines voll dokumentierten Zulassungsantrag basieren sollten.

Entscheidung der EU in Kürze In Bonn hat sowohl die kurze Fristsetzung von zwei Monaten für die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorwürfen der EU-Kommission als auch die für derartige Schreiben ungewöhnlich deutliche Darstellung der EU-Kommission überrascht. Beobachter schließen daraus, daß die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren zügig vorantreiben wird und schon in Kürze eine Entscheidung trifft. Spekulationen einzelner betroffener Hersteller, daß bis zu einer endgültigen Entscheidung Jahre vergehen können, erscheinen daher eher unbegründet. Im ungünstigsten Fall könnte die Kommission nach Einschätzung von Beobachtern binnen Jahresfrist eine rechtswirksame Entscheidung herbeiführen. Die Bundesregierung befindet sich für den Fall, daß die EU-Kommission bei ihrer Auffassung bleibt, in einem Dilemma, wie mit der Nachzulassung weiterverfahren werden soll: Bei einer Aufhebung der 2004-Regelung würden Hersteller wahrscheinlich Ersatzansprüche gegen die Bundesrepublik geltend machen. Die Hersteller haben sich auf die Gültigkeit der Regelung verlassen und ihre Entscheidungen darauf abgestellt. Eine Aufhebung wird vielfach als Vertrauenbruch angesehen. Eine Wiedereingliederung in das Nachzulassungsverfahren ist nur dann möglich, wenn das Verfahren ansonsten unverändert fortgeführt werden kann. Weitere Erleichterung bei den Nachzulassungsanforderungen erscheinen eher unwahrscheinlich, da die EU-Kommission das jetzige Verfahren als nicht mit dem EU-Recht vereinbar ansieht. Außerdem würde damit der Abschluß der Nachzulassung um Jahre verzögert.

Einwände gegen EU-Schreiben Gegen das EU-Schreiben bestehen nach Darstellung betroffener Hersteller vor allem folgende Einwände: 1.Die deutsche Nachzulassungsregelung in ihrer jetzigen Form sei durch die im EU-Recht nicht verankerte verfassungsrechtliche Notwendigkeiten gekennzeichnet. Genannt werden das Übermaßverbot, das Rechtsstaatlichkeitsgebot und die Besitzstandswahrung. Das nationale Recht sei daher vorrangig anzuwenden. 2.Bei dem Vorwurf, daß nicht in jedem Fall pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Studien zur Dokumentation der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorgelegt werden müssen, habe die Kommission übersehen, daß der Antragsteller nach §105 Absatz 4c Arzneimittelgesetz entsprechende Nachweise vorlegen muß, wenn für den Inhaltsstoff keine Aufbereitungsmonographie vorliegt. 3.Eine Vorlage von pharmakologisch-toxikologischen Studien dürfte aufgrund einer Ausnahmeregelung in der Richtlinie 65/65/EG bei Altarzneimitteln in der Regel entfallen. Auch verfassungsrechtliche Gründe wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Tierschutzrecht stünden derartigen Forderungen entgegen. 4.Die EU-Kommission habe ihr Recht auf Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens verwirkt, da sie trotz Kenntnis der Neuregelung in 1994 und des Standes der Nachzulassung in Deutschland erst jetzt tätig werden.

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