Bericht

Anxiolytika: Wenn Angst zur Krankheit wird

Angst als behandlungsbedürftiges Syndrom tritt bei etwa 10 Prozent der Bevölkerung auf. Prof. Dr. Thomas Hohlfeld, Institut für Pharmakologie der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, informierte auf dem Pharmacon Davos über die Pharmakotherapie von Angst- und Panikstörungen.

Angst ist an und für sich eine normale und sinnvolle Reaktion auf Erlebnisse oder Situationen mit bedrohlichem Charakter. Einer normalen Angstreaktion liegt immer eine für Außenstehende nachvollziehbare Ursache zugrunde. Mit Entfernung dieser Ursache klingt in der Regel auch die Angst wieder ab.
Fehlen diese Zusammenhänge, wird die Angst zu einer Angst ohne Ursache, so gewinnt sie Krankheitscharakter. Sie wird zur sogenannten pathologischen Angst oder Angststörung. Diese führt zu psychischen Symptomen wie innerer Unruhe, Spannung, Gefühl des Ausgeliefertseins, hektischer Scheintätigkeit, psychomotorischen Störungen wie Hemmung oder Agitiertheit, ziellosem Weglaufen, Vermeidungsverhalten, auffälliger Mimik und Gestik und zu individuell unterschiedlichen psychosomatischen Symptomen wie z. B. Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Herzjagen, Atemnot.
Bei der pathologischen Angst oder der Angststörung unterscheidet man Phobien, die durch bestimmte Objekte oder Situationen ausgelöst werden (z. B. Angst vor Spinnen, Flugangst, Platzangst), von objekt- und situationsunabhängigen Ängsten. Letztere können akut und unerwartet in Form von Panikstörungen auftreten oder chronisch als generalisierte Angsterkrankung vorhanden sein.

Biochemie der Angst
Bei der Entstehung der Angst spielen lernpsychologische und neurobiologische Ursachen eine Rolle. Man geht inzwischen davon aus, daß Angststörungen mit klar definierbaren biologischen Vorgängen im zentralen Nervensystem einhergehen, die wissenschaftlich nachweisbar und einer Pharmakotherapie zugänglich sind. Eine Reihe von zentralnervösen Rezeptorsystemen sind an der Angstvermittlung beteiligt. So wird Angst z. B. durch Ausschüttung von Noradrenalin, Serotonin und Cholecystokinin und die entsprechende Wirkung an den Rezeptoren verstärkt. GABAerge und Alpha2-Rezeptoren vermitteln dagegen eine angstdämpfende Wirkung.

Die Angst bekämpfen
Die Behandlung von Angststörungen sollte auf der Basis einer eingehenden körperlichen und psychischen Untersuchung zum Ausschluß organischer Ursachen erfolgen. Eine medikamentöse anxiolytische Therapie ist nur im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes sinnvoll, der eine Kombination aus Psychotherapie, Psychopharmakotherapie, Bewegungstherapie und psychohygienischen Maßnahmen umfassen sollte.
Als Wirkstoffgruppen für die medikamentöse anxiolytische Therapie stehen trizyklische Antidepressiva, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sowie Benzodiazepine zur Verfügung.
Einschleichend dosiert, eignen sich trizyklische Antidepressiva für generalisierte Angststörungen sowie für Panikstörungen mit ausgeprägter Tendenz zur Vermeidung angstauslösender Situationen gut. Bei begleitenden, psychiatrisch relevanten, Persönlichkeitsstörungen sind sie dagegen weniger erfolgreich. Für die Beurteilung der Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva ist wichtig, daß der therapeutische Effekt erst mit einer zeitlichen Latenz von zwei bis drei Wochen zu erwarten ist. Hierüber sollte der Patient in jedem Fall informiert werden. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die ebenfalls bei der generalisierten Angststörung und bei Panikstörungen erfolgreich eingesetzt werden können, zeichnen sich gegenüber den trizyklischen Antidepressiva durch ein besseres Wirkungs-/Nebenwirkungsverhältnis aus. Auch für sie gilt jedoch, daß der Wirkeintritt erst mit einer zeitlichen Latenz eintritt. Diesem Nachteil der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und der trizyklischen Antidepressiva steht der Vorteil gegenüber, daß sie vor allem bei längerfristiger Einnahme nicht zu Abhängigkeitserscheinungen führen.

Benzodiazepine bei Panikattacken
Bei einer akuten Panikattacke sind Benzodiazepine wegen ihres schnellen Wirkungseintritts Mittel der ersten Wahl. Hier hat sich vor allem Alprazolam bewährt, das speziell für die Behandlung von Angststörungen in der Bundesrepublik zugelassen ist und dessen angstlösende Wirksamkeit in verschiedenen Studien gut belegt wurde. Alprazolam zeichnet sich durch einen schnellen Wirkeintritt und eine hohen Bioverfügbarkeit aus. Mit einer Halbwertszeit von elf Stunden zählt es zu den mittellang wirksamen Benzodiazepinen. Im Gegensatz zu anderen Vertretern der Benzodiazepine führt Alprazolam nicht zur Bildung lang wirksamer Metaboliten mit dem Risiko der Kumulation.
Ein wesentliches Problem aller Benzodiazepine ist die Entstehung von physischer Abhängigkeit mit Entzugssymptomen wie Unruhe, Schlaflosigkeit und Angstzuständen nach Absetzen der Therapie. Wie Hohlfeld betonte, eignen sich Benzodiazepine daher für eine längerfristige Behandlung von Angststörungen nicht. Die Hauptnebenwirkung der Benzodiazepine ist eine starke Sedierung, vor allem zu Beginn der Therapie. Um diese Nebenwirkung zu minimieren und das Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil der Benzodiazepine zu verbessern, wurden und werden neue Wirkstoffe entwickelt. Zu diesem Substanzen zählt unter anderen Zolpidem, das eine gewisse Selektivität auf einen Benzodiazepinrezeptorsubtyp aufweist und somit spezifischer im ZNS wirkt. Ein Nachfolgeprodukt - Alpidem - befindet sich derzeit in klinischer Prüfung und hat sich durch eine ausgeprägte anxiolytische Wirkung ausgezeichnet. Eine weitere Substanz, die sich in der Entwicklung befindet, ist Bretazonil. Bretazonil wirkt als Partialagonist am Benzodiazepinrezeptor. Es zeichnet sich durch eine krampflösende, anxiolytische Wirkung bei vergleichsweise wenig Nebenwirkungen aus.

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