Arzneimittel und Therapie

Diätetische und medikamentöse Strategien gegen Dickdarmkrebs

Das Kolorektalkarzinom ist weltweit die dritthäufigste Krebserkrankung. Allein in Deutschland müssen sich jährlich 50 000 Patienten mit dieser Diagnose auseinandersetzen, 35 000 sterben daran. Trotz Fortschritte in der Krebstherapie hat sich die Überlebensrate bei Dickdarmkrebs in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. Um so wichtiger ist die Prävention. Diätetische und medikamentöse Strategien stehen im Mittelpunkt der Diskussion.


Keine Frage: Eine genetische Disposition fördert das Auftreten eines kolorektalen Karzinoms. Aber auch exogene Faktoren mischen bei der Pathogenese kräftig mit. So steigern hohes Körpergewicht, sitzende Lebensweise und Zigarettenkonsum das Dickdarmrisiko nachweislich. Der Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln ist dagegen komplizierter. Übermäßiger Verzehr von rotem Fleisch, beispielsweise Tartar, wirkt sich ungünstig aus. Weshalb das so ist, ist noch offen. Der hohe Fettgehalt scheint dafür zumindest nicht maßgeblich verantwortlich zu sein.
Wer dagegen reichlich Obst und Gemüse ißt, kann sich bis zu einem gewissen Maß vor dem Kolorektalkarzinom schützen. Doch auch hier gibt es noch Ungereimtheiten. Der hohe Ballaststoffgehalt spielt sicher eine Rolle, doch, so das Ergebnis von Fall-Kontroll-Studien, die Fasern von Getreideprodukten wirken sich weniger günstig aus als die pflanzlicher Produkte. Auch hier heißt es also: weitersuchen. Neuere Untersuchungen betonen außerdem den Stellenwert von Vitaminen, insbesondere der Folsäure, als protektive Parameter.

Ursodeoxycholsäure bringt Tumorzellen den Tod


Wer sich vor einem Kolonkarzinom schützen will, sollte deshalb in erster Linie seine Lebensgewohnheiten überprüfen und regelmäßig zur Krebsvorsorge gehen. Bei Patienten mit Colitis ulcerosa oder familiärer adenomatöser Polyposis (genetisch bedingter Neigung zu Dickdarmpolypen), die ein erhöhtes Risiko für ein Kolonkarzinom haben, ist darüber hinaus eine medikamentöse Intervention in Betracht zu ziehen. Hier werden derzeit eine ganze Palette von Substanzen untersucht. Für Ursodeoxycholsäure gibt es erste positive Hinweise: Die tertiäre Gallensäure reduzierte bei Ratten das Auftreten azoxymethaninduzierter Kolorektaltumoren deutlich. Ähnlich günstig war der Effekt eines Vitamin-D3-Derivats. Als Wirkungsmechanismus wird eine Verstärkung der Apoptose-Aktivität in den Kolonkarzinomzellen vermutet.

Risikoreduktion durch Acetylsalicylsäure und Sulindac


Einen deutlichen Schritt weiter ist die Forschung zur Präventivwirkung nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR). In Tierversuchen erweist sich die gesamte Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika als geeignet, das Karzinomrisiko zu reduzieren. Acetylsalicylsäure und Sulindac gelten jedoch bisher als die einzigen nichtsteroidalen Antirheumatika, die auch beim Menschen entsprechend wirken.
Die meisten Ergebnisse epidemiologischer Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Acetylsalicylsäure und Kolorektalkarzinom beleuchtet wird, stimmen darin überein: Acetylsalicylsäure wirkt sich bei einer langfristigen Einnahme positiv auf das Karzinomrisiko im Dickdarm aus. In neun von zwölf Untersuchungen verringerte die regelmäßige Einnahme von Acetylsalicylsäure das Risiko für ein Kolorektalkarzinom statistisch signifikant. Acetylsalicylsäure greift in die Pathogenese von Dickdarmpolypen ein, die als kanzerogene Vorstufen gelten. So läßt sich bei familiärer adenomatöser Polyposis durch die kombinierte Gabe von Acetylsalicylsäure und Ascorbinsäure eine vollständige Regression der Polypen erreichen.
Auch Sulindac stellte seine Wirksamkeit bei der Reversion kolorektaler Adenome unter Beweis. 200 bis 450 Milligramm pro Tag senkten für die Zeit der Einnahme Zahl und Größe der Adenome um bis zu 50 Prozent. Bei rektaler Applikation konnte sogar eine vollständige Remission erreicht werden. Wird Sulindac in niedrigen Dosen (50 mg täglich) weitergegeben, kann die Remission aufrecht erhalten werden. Dagegen reagierten Adenome im oberen Gastrointestinaltrakt nur schlecht auf die Therapie. Unter der Behandlung kam es zu den typischen Nebenwirkungen nichtsteroidaler Antirheumatika. Bei rektaler Anwendung waren die Nebenwirkungen erwartungsgemäß deutlich geringer. Insgesamt gilt eine Therapie jedoch als vertretbar.

COX-2-Hemmung und Apoptose-Induktion


Welche Mechanismen hinter der chemopräventiven Wirkung von nichtsteroidalen Antirheumatika stecken, wird derzeit intensiv untersucht. Bislang konnte erst ein Teil des Geheimnisses gelüftet werden. Nichtsteroidale Antirheumatika induzieren die Apoptose in Zelllinien von Kolonkarzinomen, allerdings über einen anderen Mechanismus als klassische Chemotherapeutika. Für Sulindac gilt dies nachweislich auch für Kolonadenome. Die normale Mukosaschleimhaut scheint dagegen nicht angegriffen zu werden.
Ein weiterer Schlüssel für die Wirksamkeit könnte die Hemmung der Cyclooxygenase vom Typ 2 (COX-2) sein. Immerhin wird COX-2 in Kolon-Neoplasien übermäßig exprimiert und, so die bisherigen Befunde, hochselektive COX-2-Inhibitoren beugen in Tiermodellen Dickdarmkrebs vor. Allerdings wirken auch solche nichtsteroidalen Antirheumatika chemopräventiv, die keinen Einfluß auf die Cyclooxygenase besitzen.

Mesalazin: das Aspirin für den Darm


Deutlich erhöht ist das Risiko für ein kolorektales Karzinom auch bei Patienten mit Colitis ulcerosa. Diese chronische Entzündung wird häufig mit Sulfasalazin oder Mesalazin behandelt. In einer kontrollierten Fallstudie konnte gezeigt werden, daß Sulfasalazin das Krebsrisiko bei diesen Patienten senkt, wenn es länger als drei Monate eingenommen wird. In klinischen Studien wird derzeit überprüft, ob Mesalazin, das "Aspirin für den Darm", der Entstehung von Adenomen und kolorektalen Karzinomen entgegenwirken kann. Eine in Deutschland mit 600 Risikopatienten laufende plazebokontrollierte Untersuchung brachte zumindest erste ermutigende Beobachtungen.
Quelle
Gastrointestinalwoche Titisee: "Kolorektales Karzinom: molekulare Mechanismen, prämaligner Status und Prävention", Titisee, 14. bis 15. Oktober 1998, veranstaltet von Falk Foundation, Freiburg.
Dr. Beate Fessler, München

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