Fachliteratur

Auswirkungen des Cannabis-Konsums


Expertise zu den pharmakologischen und psychosozialen Konsequenzen. Von Dieter Kleiber und Karl-Artur Kovar. VIII, 316 Seiten. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1998. DM 68,-.
ISBN 3-8047-1555-9
Das Buch beruht wesentlich auf den Arbeiten von Kleiber, der die Ergebnisse einer großen Umfrage in diesem Jahr an anderer Stelle publiziert hat. Das Buch bietet eine Zusammenfasung wichtiger Informationen über das Cannabisproblem. Das Buch faßt wesentliche Ergebnisse früherer Untersuchungen auch aus dem angloamerikanischen Sprachraum zusammen und bezieht die Kleibersche Studie mit ein. Es enthält eine ganze Reihe von Tabellen, die der Übersicht über das Problem dienen. Die Ergebnisse sind nicht überraschend, sondern spiegeln den bekannten Stand der Dinge wider, wie er etwa auch im bekannten Haschischbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom März 1994 wiedergegeben ist. Zwar ist es mißlich, daß ein vorwiegend medizinisch-soziales Problem wie der Cannabiskonsum ausgerechnet von Juristen zusammengefaßt wird und sich Mediziner später auf derartige Zusammenfassungen stützen müssen, aber die Dinge liegen nun einmal so, ob uns das gefällt oder nicht.
Das Gericht war ja bekanntlich zu dem Ergebnis gekommen, daß die Gefährlichkeit des Haschischkonsums zwar geringer als zehn Jahre davor einzuschätzen ist, daß aber gleichzeitig eine ganze Fülle von Gefahrenmomenten bestehen bleibt, die einer Freigabe der Substanz zum Konsum entgegenstehen. Das Gericht sah es auch als erwiesen an, daß ein strafbewehrtes Verbot des Umgangs mit Haschisch bestehen bleiben muß, andererseits seien jedoch die kleinen Konsumenten möglichst schonend zu behandeln. Daß dies alles gerechtfertigt ist, geht auch aus dem vorliegenden Buch hervor. Die Auswirkungen des Cannabiskonsums werden dort als geringer bezeichnet, als dies überwiegend noch angenommen werde. Die Toxizität von Cannabis sei gering. Das war immer klar. Daß Toleranz gegen einige der Wirkungen entsteht, war ebenfalls stets bekannt. Die psychopathologischen Wirkungen sind in früheren Veröffentlichungen ausführlich beschrieben worden. Hier gibt es für die Autoren nichts Neues zu berichten. Störungen des Denkens und der Psychomotorik unter der Wirkung von Haschisch hingegen werden ausdrücklich betont, auf das eingeschränkte Fahrvermögen und die herabgesetzte allgemeine Leistungsfähigkeit unter Haschischkonsum wird hingewiesen.
Wenn die Autoren meinen, Cannabis führe nicht zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit, so muß freilich entgegengehalten werden, daß die Vielzahl von cannabisinduzierten Psychosen in den psychiatrischen Kliniken diese Aussage relativiert, wenn nicht widerlegt. Das Problem der sogenannten Doppeldiagnosen steht dem entgegen. Das Abhängigkeitspotential wird realistisch eingeschätzt. Es könne zur Ausbildung von Abhängigkeiten kommen, so die Autoren. Hingegen wird die sogenannte Schrittmacherfunktion verneint, desgleichen das sogenannte amotivationale Syndrom. Beim letzteren können wir nicht zustimmen. Die Wirklichkeit stimmt damit nicht überein. Wer demotivierte junge Menschen, die Cannabis konsumieren, in großer Zahl an Schulen oder in Kliniken gesehen hat, der wird dem Rezensenten zustimmen, daß hier offensichtlich Demotivierungsprozesse durch Drogenkonsum - übrigens nicht nur durch Cannabiskonsum - in Gang gesetzt werden. Auch der Leistungsabfall ist nicht immer hirnorganisch bedingt, sondern beruht auf Demotivationsphänomenen.
Bei den therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis bzw. seinen Inhaltsstoffen lassen sich die Autoren von Optimismus, manchmal sogar von Euphorie davontragen, etwa wenn sie von grundsätzlichen therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten als Antiemetikum sprechen, zugleich aber darauf hinweisen, daß das Rauchen von Marihuanazigaretten besser wirkt als die orale Einnahme von THC-Kapseln. Zugleich weisen sie nämlich darauf hin, daß das schädliche Rauchen in der Klinik als medizinische Anwendungsform naturgemäß nicht zu vertreten ist. Bei der Appetitsteigerung war keine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen, das steht einer Verwendung als Pharmakon naturgemäß im Wege.
Die Anwendung beim Glaukom zeigte deutlich nachlassende Wirkungen, auch dies ist ein grundsätzlicher Einwand gegen die Verwendung der Substanz als Medikament. Zugleich wird von herben Nebenwirkungen gesprochen. Bedenkt man, daß es gut wirksame Antiglaukommittel bereits gibt, so fragt man sich, warum wir uns mit schlecht wirksamen und unzuverlässigen Substanzen beschäftigen müssen.
Auch die Bronchodilatation beim Asthma kann vor allem durch Rauchen von Haschisch herbeigeführt werden, hier ist der gleiche Einwand wie zuvor zu machen. Sichere klinisch-empirisch begründete Aussagen zum Einsatz als Antiepileptikum, als Muskelrelaxans oder als Analgetikum werden nicht gemacht. Immer wieder ist von Nebenwirkungen die Rede, und nirgendwo wird auf bereits bekannte Pharmaka hingewiesen, die bei allen genannten Indikationen in zuverlässiger Weise zur Verfügung stehen. Gerade bei diesem Abschnitt des Buches hätten wir uns etwas mehr kritische Distanz gewünscht. Ansonsten enthält das Buch - wie schon erwähnt - eine Fülle von Informationen und Literaturhinweisen, die zu einem vertieften Studium des Problems anregen.
Prof. Dr. Karl-Ludwig Täschner, Stuttgart

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