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Qualitätssicherung von peptidartigen Wirkstoffen

Am 8.Oktober 1998 fand unter der Moderation von Prof. Dr. Hamacher, Tübingen, in Frankfurt am Main ein Workshop der Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik der DPhG zum Thema "Ziele und Strategien bei der Qualitätssicherung von peptidartigen Wirkstoffen" statt. Wirkstoffe mit peptid- oder proteinartiger Struktur haben als Arzneimittel inzwischen einen erheblichen Stellenwert erlangt. Angesichts der Fortschritte in der Gentechnologie und der daraus resultierenden Möglichkeiten für Diagnostik und Therapie dürfte ihre Bedeutung noch deutlich ansteigen.

Besondere Qualitätsbewertung von Peptiden


Die inzwischen weltweit anerkannten beiden ICH-Richtlinien zur Reinheit neuer Wirkstoffe (CPMP/ICH 142/95) und deren Abbauprodukte in neuen
Zubereitungen (CPMP/ICH 282/95) klammern Peptide explizit aus. Dies bedeutet, daß der Interpretationsspielraum für den Reinheitsanspruch an Peptidwirkstoffe und deren Zubereitungen erfreulicherweise noch beträchtlich ist, führt aber zugleich auch zu Unsicherheiten sowohl bei der Entwicklung von Qualitätsunterlagen durch die pharmazeutische Industrie als auch bei deren Beurteilung durch die Zulassungsbehörde. Da letztere aber, wie die Erfahrung in konkreten Zulassungsverfahren zeigt, zu einer restriktiven Auslegung des verbleibenden Interpretationsspielraumes führt, besteht gerade hier dringender Diskussionsbedarf.
Nach der Einführung in die Thematik durch den Vorsitzenden der Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik, Prof. Dr. Hamacher, stellte Prof. Dr. Göber (Humboldt-Universität zu Berlin) anhand von Beispielen die Vielfalt therapeutisch genutzter synthetischer oder aus natürlichen Ressourcen bzw. gentechnologisch gewonnener Peptide und Proteine vor und führte damit gleichzeitig in die Problematik ihrer Qualitätssicherung ein.
Entwicklungstendenzen in den Monographien der Ph.Eur., die der Routineanalytik dienen, zeigte Apotheker Spiesser (Europäische Arzneibuchkommission, Straßburg) auf. So soll in Zukunft nach Möglichkeit auf Prüfungen an Tieren verzichtet werden. Generelles Ziel sei die weltweite Harmonisierung der Monographien. Einen Schwerpunkt legte er auf den Nachweis von prozeß- und produktspezifischen Verunreinigungen mit physikalisch-chemischen Methoden. Spiesser betonte, daß die Methoden der Ph.Eur. validiert sind.
Dr. Jannasch (BfArM, Berlin) referierte über besondere Aspekte der Qualtätsbewertung von Peptidarzneimitteln im Rahmen der Zulassung. Grundlage der Bewertung seien die Arzneimittelprüfrichtlinien und die ICH-Guidelines. Das Arzneibuch sei für diese Stoffgruppe nicht anwendbar. Jedes Peptid stelle jedoch ein individuelles Problem dar. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen standen die Besonderheiten von Peptiden im Blick auf Struktur, Herstellung, analytische Entwicklung, Verunreinigungsprofil und prozentualen Gehalt im Endprodukt sowie analytische Methoden, die diesen Besonderheiten gerecht werden und behördlicherseits akzeptiert werden.
Dr. Scharf (Asta Medica AG, Frankfurt a.M.) betonte in seinem Vortrag über behördliche Anforderungen bei der Qualitätskontrolle von synthetisch hergestellten Peptiden, daß die von der FDA und ICH als Richtlinie gesetzten 0,1% an zulässigen Verunreinigungen nicht fix zu betrachten, sondern in Abhängigkeit von Größe und Herstellungsverfahren des Peptids sowie der Unbedenklichkeit der Verunreinigungen anzuwenden seien.

Verunreinigungen auf der Spur


Prof. Dr. Lee (Universität Erlangen) referierte über Möglichkeiten zur Bestimmung physikalischer Instabilitäten, insbesondere von Denaturierung, Aggregatbildung durch Assoziation sowie Adsorption an Oberflächen, die bei der Herstellung und Lagerung von Peptiden und Proteinen als Arzneimittel zur parenteralen, nasalen und pulmonalen Applikation auftreten können. Hierbei kommen bevorzugt spektroskopische (UV-, Fluoreszenz-, CD- und FT-IR-Spektroskopie sowie Lichtstreuung), chromatographische (RP-HPLC, Größenausschlußchromatographie), elektrochemische (Gelelektrophorese) und thermische (Differential Scanning Calorimetry) Methoden zum Einsatz.
Qualitätsaspekte, die bei der Synthese von Peptiden zu beachten sind, erörterte Dr. Jonzcyk (Merck KGaA, Darmstadt) am Beispiel der Synthese eines kleinen zyklischen Pentapeptids. Synthetische Fragestellungen waren auch Inhalt des Beitrags von Dr. Uhmann (Hoechst Marion Roussel, Frankfurt a.M.), der die prospektive Synthese von potentiellen Nebenprodukten (Parallelsynthese) bei der Entwicklung neuer peptidartiger Wirkstoffe erläuterte. Diese ermöglicht neben Zeitersparnis und Erkenntnissen zur Verfahrensoptimierung auch die frühe toxikologische Qualifizierung der Nebenprodukte, die immer in synthetischen Peptiden enthalten sind. Er hält dabei Reinheitsforderungen von >99% für nicht vertretbar. Wenn das Nebenproduktprofil reproduzierbar und die toxikologische Unbedenklichkeit gewährleistet sei, sollte auch eine Reinheit kleiner 99% akzeptiert werden.
Frau Barnes (Novartis Pharma AG, Basel) stellte die N-terminale Peptid- und Proteinsequenzierung vor. Mit diesem semiquantitativen Verfahren lassen sich die Ergebnisse der MS-Analytik absichern, des weiteren können Glykosylierungs- und Deamidierungsstellen erkannt werden.

Elektrophorese


Die Anwendung der Kapillarelektrophorese (CE) in der stereoselektiven Analytik von Peptiden erklärte Priv.-Doz. Dr. Scriba (Universität Münster) anhand der Abbau- und Epimerisierungsprodukte von Aspartam. Durch Variation des pH-Wertes können die unterschiedlichen Diastereomeren, durch Zugabe chiraler Selektoren (z.B. Derivate des b-Cyclodextrins) die Enantiomeren getrennt und durch interne Standards identifiziert werden.
Vor- und Nachteile der kapillarisoelektrischen Fokussierung (cIEF), eine der CE verwandte Analysenmethode, arbeitete Dr. Gittel (Ferring Pharmaceuticals, Kiel) heraus. Voraussetzung zur Trennung sind Unterschiede im isoelektrischen Punkt der amphoteren Verbindungen. Beide Verfahren kommen mit äußerst geringen Probenvolumina im ml-Bereich aus.
Über die Eignungskriterien Sensitivität und Präzision der Phast-Gelelektrophorese am Beispiel der Identitätsprüfung von Interferon beta-1b im Endbehältnis sprach Dr. Gerbling (Schering AG, Berlin). Dieses hydrophobe synthetische Zytokinanalogon aggregiert bevorzugt an Humanserumalbumin, was zur Wirkminderung führt. Mit Hilfe der Phast-Gelelektrophorese kann Humanserumalbumin neben freiem Interferon selektiv nachgewiesen werden.

Massenspektrometrie


Dr. Klessen (Boehringer Mannheim, Mannheim) entwickelte Strategien zur Charakterisierung eines monoklonalen Antikörpers. Zur Bestimmung der Molekularmasse biete die MALDI-TOF-MS (Matrixunterstützte Laserdesorptions/Ionisations-time-of-flight-Massenspektroskopie) große Vorteile gegenüber anderen Methoden. Neben Zeitersparnis, geringem Probenbedarf und hoher Massegenauigkeit ist zu erwähnen, daß besonders niedermolekulare Hilfsstoffe nicht stören. Jedoch ist diese Methode deshalb nicht zur Reinheitsprüfung geeignet. Die Mikroheterogenität läßt sich u.a. mit der Kapillarzonenelektrophorese (CZE) bestimmen. Genannt seien noch Kombinationen verschiedener Methoden, beispielsweise chemische Derivatisierung gefolgt von einer LC-Trennung und
anschließender Peptidisolierung bzw. MALDI-MS-Detektion.
Über die massenspektrometrische Charakterisierung von Peptiden (Molmasse, Sequenz, Konformation) sprach Dr. Krause (Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie, Berlin). Als
Ionisierungstechniken seien lediglich die ESI (Elektrosprayionisation) und MALDI von Interesse. Vor- und Nachteile beider Techniken wurden herausgearbeitet: So können mit der MALDI-MS auch komplexe Gemische analysiert werden, während durch die ESI-MS eine bessere Sequenzierung möglich ist.
Dr. Ermer (Hoechst Marion Roussel, Frankfurt a.M.) erläuterte ein Qualitätskonzept für Nebenprodukte in Peptidwirkstoffen. Zur Charakterisierung kommt eine HPLC-MS-Kopplung zur Anwendung, wobei innerhalb der HPLC zur Erhöhung der Selektivität ein System mit Fließmitteln aus flüchtigen Puffern und eines mit nicht flüchtigen Puffern und Entsalzungssäule kombiniert wurden.

Immunoassays


Dr. Schulze-Forster (Intec Berlin) stellte immunologische Sicherheitsprüfungen vor. Heute spielen fast nur noch Enzymimmunoassays eine Rolle, die in vielfältiger Weise modifizierbar sind. Vorteile dieser Methode bei der Identitätsprüfung sind die Spezifität und Sensivität, des weiteren ist eine quantitative Auswertung ohne vorherige Isolierung möglich; außerdem gelingt mit Hilfe von Enzymimmunoassays der Nachweis von Fremdprotein.
Über ein immunologisches Verfahren in Kombination mit der Dünnschichtchromatographie berichtete Dr. Ise (Byk Gulden, Konstanz): Die Immuno-TLC findet beim Nachweis von Wirtszellproteinen aus E.coli bei der Reinigung des hydrophoben rekombinanten Surfactantproteins SP-C Anwendung. Schwierig zu entscheiden sei, zu welcher Zeit der Entwicklung die Antigene zur Herstellung von Antikörpern gewonnen werden sollen.
Priv.-Doz. Dr. Werner (Paul-Ehrlich-Institut, Langen) referierte über Besonderheiten bei Reinheitsforderungen an gentechnologisch hergestellte Produkte. Insbesondere ging er auf die
Minimierung des TSE/BSE-Übertragungsrisikos, die virale Sicherheit, die Kontrolle der genetischen Stabilität der Expressionskonstrukte in Produktionszellinien, die Charakterisierung der Produktionszelle und die Charakterisierung der (End-)Produkte hinsichtlich Kontamination mit Wirtszellkomponenten und Fremd-DNA sowie der biologischen Aktivität ein.

"Empfehlendes Papier" geplant


In der abschließenden ausführlichen Plenumsdiskussion wurden weitere Fragen zur Qualitätssicherung von Peptidwirkstoffen erörtert. Konsens bestand darüber,

  • daß ein empfehlendes Papier der DPhG nützlich sein könnte, die bestehenden Unsicherheiten in pharmazeutischer Industrie und Behörde hinsichtlich eines angemessenen Qualitätsanspruchs sowie sinnvoller Strategien zu dessen Sicherstellung zu beseitigen, und
  • daß solche Empfehlungen sich auf Wirkstoffe mit peptidartiger Struktur beschränken sollten und niedermolekulare Verbindungen, welche unter anderem (!) Peptidbindungen enthalten, wie Lactamantibiotika, Ergotalkaloide oder ACE-Hemmer, nicht Gegenstand des Papiers sein sollten.


Hingegen wurde die Frage, inwieweit Makroproteine berücksichtigt werden sollten, kontrovers diskutiert. Da hinsichtlich der Anforderungen an biotechnologisch hergestellte Produkte bereits EU-Richtlinien vorliegen, wurde es für sinnvoll erachtet, das Augenmerk vorläufig auf vollsynthetisch hergestellte Wirkstoffe, ungeachtet deren Molekülgröße, zu konzentrieren.
Konsens bestand aber auch darüber, daß das vorhandene Regelwerk betreffend biotechnologische einschließlich gentechnische Produkte dringend einer Präzisierung bedarf. Experten wiesen darauf hin, daß die von der Zulassungsbehörde signalisierte Intention, die Reinheitsforderungen der ICH-Richtlinie für neue synthetische Wirkstoffe pauschal auf Peptidwirkstoffe zu übertragen, aus wissenschaftlicher Sicht nicht hingenommen werden könne, sondern daß vielmehr eine differenzierte produktspezifische Betrachtung geboten sei.
Der Trend, biologische Aktivitätsbestimmungsverfahren, vor allem solche am Ganztier, durch instrumentelle Verfahren zu ersetzen, ist unverkennbar und wird auch aus Tierschutzgründen für sinnvoll erachtet. Dennoch sind biologische Tests noch nicht unverzichtbar, wobei In-vitro-Verfahren in Form von Immunoassays an Bedeutung gewinnen.
Insgesamt hat dieses Expertengespräch ermutigt, die Bemühungen um eine rational begründete und effektive Qualitätssicherung peptidartiger Arzneimittel fortzusetzen.
Der Firma Asta Medica AG dankt die Tagungsgruppe für die Bereitstellung der Räume und die hervorragende Bewirtung. Ein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Scharf für die Organisation.
Thomas Vorwerk, Berlin

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