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Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?

MÜNSTER (was). Die Diskussion um Nahrungsergänzungsmittel ist extrem polarisiert. Befürworter meinen, Nahrungsergänzungsmittel könnten die Nährstoffversorgung verbessern und verschiedenen Krankheiten vorbeugen. Gegner behaupten, eine ausgewogene Ernährung liefere alle notwendigen Nährstoffe. Nahrungsergänzungsmittel seien daher nutzlos und überflüssig. Hochschuldozent Dr. Andreas Hahn (Institut für Lebensmittelwissenschaften am Zentrum für Angewandte Chemie der Universität Hannover) erläuterte die Thematik aus ernährungsphysiologischer Sicht auf einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe am 8. September 1998 in Münster.


Der Begriff Nahrungsergänzungsmittel ist gesetzlich nicht definiert. Lediglich in der Apothekenbetriebsordnung taucht der Begriff auf. Nahrungsergänzungsmittel werden zu den Lebensmitteln gerechnet. Eine ernährungsphysiologische Definition könnte so aussehen:
JNahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die ernährungsphysiologisch bedeutsame Nahrungsinhaltsstoffe in dosierter, meist arzneilicher Darreichungsform liefern. Sie gleichen Mängel in der Ernährung aus, decken einen erhöhten Nährstoffbedarf und besitzen auch krankheitspräventive Eigenschaften.

Abgrenzung der Nahrungsergänzungsmittel


Abzugrenzen sind Nahrungsergänzungsmittel von folgenden Produkten:

  • Functional foods; hier gibt es bislang nur die probiotischen Joghurts.
  • Nährstoffangereicherten Lebensmitteln.
  • Diätetischen Lebensmitteln; sie dienen einem besonderen Ernährungszweck, wie beispielsweise Reduktionsdiäten.
  • Produkten aus der orthomolekularen Medizin; sie sind meist höher dosiert und verfolgen einen therapeutischen Zweck.
  • Arzneimitteln vergleichbarer Zusammensetzung.

Besonders schwierig: Abgrenzung zum Arzneimittel


Besonders schwierig ist in vielen Fällen die Abgrenzung zum Arzneimittel (siehe auch DAZ 1998/32, S. 36ff.).
Entscheidend für die Einordnung eines Produktes als Lebensmittel oder Arzneimittel ist einerseits seine Zweckbestimmung: Dient das Produkt der Ernährung oder dem Genuß, gilt es als Lebensmittel. Beeinflußt es Körperfunktionen oder kann es Krankheiten heilen, lindern oder verhüten, so gilt es als Arzneimittel. (Diese Unterscheidung ist aus ernährungswissenschaftlicher Sicht falsch, denn auch Lebensmittel können Körperfunktionen beeinflussen und krankheitspräventiv wirken.)
Andererseits ist die allgemeine Verkehrsauffassung vom Verwendungszweck für die Einordnung maßgeblich. So gelten Dragees aus Knoblauch-Trockenpulver nach deutscher Rechtsauffassung grundsätzlich als Arzneimittel.

Beurteilungskritierien für die Einordnung


Bei der Einordnung eines Produktes als Lebensmittel oder Arzneimittel wenden die Gerichte vor allem folgende Beurteilungskriterien an:

  • Art der Inhaltsstoffe,
  • Dosierung (mehr als das Dreifache des von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tagesbedarfs wird meist als Arzneimittel eingestuft),
  • Gesundheitswerbung,
  • Darreichungsform (eine arzneiliche Darreichungsform weist aber nicht zwingend auf ein Arzneimittel hin),
  • Vorprägung.


Im Einzelfall entzündet sich die Einordnungsdiskussion häufiger an den Werbeaussagen als an den Inhaltsstoffen der Präparate. §§17 und 18 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes regeln die Werbung für Lebensmittel und damit auch für Nahrungsergänzungsmittel. Insbesondere dürfen die Hersteller keine falschen Heilerwartungen wecken und nicht krankheitsbezogen werben. Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist hier nach Ansicht von Dr. Hahn eine Liberalisierung erstrebenswert: Wenn man konkrete Aussagen zur Krankheitsprävention erlaubt, nimmt man den Produkten zugleich die Aura der Omnipotenz.

Was können Nahrungsergänzungsmittel leisten?


Wie der Begriff schon sagt, sollen Nahrungsergänzungsmittel die Nahrung ergänzen. Einerseits sollen sie kon-krete Mangelerscheinungen vermeiden (Deckung des Energie- und Stoffbedarfs), andererseits aber auch die Gesundheit langfristig erhalten (Prävention von Krankheiten).
Die Ernährung in der breiten Bevölkerung ist längst nicht optimal. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) stellte in ihrem Ernährungsbericht 1996 für mehrere Vitamine, Mengen- und Spurenelemente eine rechnerische Unterversorgung fest. Eine solche Diskrepanz zwischen empfohlener und tatsächlicher Nährstoffzufuhr scheint insbesondere für Vitamine mit antioxidativen Eigenschaften (vor allem Vitamin E) vorzuliegen, aber auch unter anderem für Folsäure, Calcium, Eisen, Zink und Iod. Für Vitamin C wird die bislang empfohlene Tageszufuhr von 75 mg im allgemeinen erreicht. Zur Krankheitsprävention werden in Zukunft möglicherweise 130 bis 150 mg als Tageszufuhr empfohlen. Diese Menge wird in der breiten Bevölkerung durch die Ernährung nicht abgedeckt.

Besteht bei Anwendung


von Nahrungsergänzungsmitteln
die Gefahr einer Überdosierung?
Die Gefahr einer Überdosierung und damit von toxischen Nebenwirkungen ist für die meisten Nährstoffe relativ gering. Dies hängt mit dem biphasischen Verlauf der Dosis-Wirkungs-Kurve für Nährstoffe zusammen: Ein breiter Indifferenzbereich trennt den Nährstoff-Wirkbereich vom pharmakologischen Wirkbereich. Außerdem ergaben Untersuchungen zum "No observed adverse effect level" (NOAEL) und "Lowest observed adverse effect level" (LOAEL) für die meisten klassischen Nährstoffe eine große therapeutische Breite. Ausnahmen sind allerdings die Vitamine A und D, Calcium, Eisen und Zink.

Der Nährstoffbedarf


ist individuell unterschiedlich
Der Nährstoffbedarf ist eine sehr individuelle Größe. Empfehlungen für die tägliche Nährstoffzufuhr dienen dazu, nahezu die gesamte Bevölkerung vor Gesundheitsstörungen durch Ernährungsfehler zu schützen. Sie haben nur orientierenden Charakter und eignen sich nicht dazu, die Bedarfsdeckung des einzelnen zu beurteilen. Vor allem gelten solche Angaben nur für Gesunde. In manchen Bevölkerungsgruppen, beispielsweise bei Personen mit schwerer körperlicher Belastung, mit Erkrankungen und/oder Arzneimitteleinnahme, ist der Nährstoffbedarf höher.

Für welche Bevölkerungsgruppen sind Nahrungsergänzungsmittel unter Umständen sinnvoll?


Risikogruppen für Nährstoffdefizite sind bisher kaum definiert. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß abgesehen von Krebspatienten und Alkoholikern die meisten Betroffenen keine klinischen, sondern nur subklinische Mangelerscheinungen aufweisen. Diese äußern sich in so unspezifischen subklinischen Befindlichkeitsstörungen wie Müdigkeit, Depressivität und Leistungsabfall.
Grundsätzlich kommen Nahrungsergänzungsmittel in Frage für:

  • Personenkreise mit unausgewogener Ernährung. Hierzu zählen Senioren, aber auch Jugendliche.
  • Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Nährstoffbedarf. Dies sind unter anderem Schwangere und Stillende.
  • Chronisch Kranke. Sie nehmen über viele Jahre Arzneimittel ein, die die Nährstoffversorgung beeinträchtigen können, und haben häufig auch einen erhöhten Nährstoffbedarf. Dies sind beispielsweise Epileptiker, Karzinompatienten, HIV-Infizierte, Rheumakranke, psychisch Kranke, Alkoholiker sowie Patienten mit Malabsorptions- oder Maldigestionserkrankungen.
  • Personen, die langfristig Arzneimittel einnehmen. Hierzu zählt unter anderem die Einnahme oraler Kontrazeptiva, die einen schlechten Folsäure- und Vitamin-B6-Status induzieren kann. Auch die unkontrollierte Selbstmedikation, zum Beispiel mit Laxanzien, Antazida oder Analgetika, birgt Risiken für die Nährstoffversorgung.


Aus ernährungsphysiologischer Sicht können Nahrungsergänzungsmittel in den erwähnten Situationen und zur Krankheitsprävention sinnvoll sein. Ersetzen können sie eine gesunde Ernährung jedoch nicht. Dies liegt unter anderem daran, daß die Nahrung neben den bekannten Nährstoffen eine Fülle weiterer bioaktiver Substanzen enthält, beispielsweise sekundäre Pflanzenstoffe, die erst nach und nach identifiziert werden.
Auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel sind unbedingt klare gesetzliche Regelungen notwendig. Es besteht ein hoher Bedarf an kompetenter Beratung, die die Apotheker leisten können.l

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