Arzneimittel und Therapie

Zanamivir: neues Virostatikum gegen Influenza

Moderne Virostatika haben in jüngster Zeit die therapeutischen Perspektiven bei vielen Viruserkrankungen beträchtlich verbessert. Doch gegen die weitverbreitete Influenza, bei der schon seit Jahren eine weltweite Pandemie mit einem neuen Virusstamm erwartet wird, fehlen derartige Arzneistoffe bisher. Noch ist die Impfung der einzige Schutz gegen die Virusgrippe, aber bald soll mit der neuen Substanz Zanamivir auch gegen diese Erkrankung ein Virostatikum zur Prophylaxe und Therapie zur Verfügung stehen.


Die Virusgrippe ist für immunkompetente Erwachsene ohne Vorerkrankungen zumeist eine unangenehme, aber nicht lebensbedrohliche Erkrankung, da sie bei diesen Patienten im allgemeinen selbstlimitierend verläuft. Da erfolgreiche kausale Therapien bisher nicht zur Verfügung stehen, unterbleibt zumeist eine genaue Diagnostik, so daß die Kenntnisse zur Epidemiologie der Influenza lükkenhaft sind. Doch bei Kindern, Älteren, Immungeschwächten und Patienten mit Vorerkrankungen der Atemwege kann die Influenza durch vielfältige mögliche Komplikationen tödlich enden. Hierzu gehören Pneumonien, Myokarditis, Perikarditis, Verschlechterungen chronischer Erkrankungen des Respirationstraktes, das Guillain-Barré-Syndrom sowie speziell bei Kindern Myositis und das Reye-Syndrom.
Ein großer Teil der etwa eine Million Kinder, die jährlich weltweit an Infektionen des Respirationstraktes sterben, dürften Opfer der Influenza sein. Dies unterstreicht den dringenden Bedarf einer wirksamen Therapie.

Grippeschutzimpfung


Bisher besteht der beste Schutz in der Grippeschutzimpfung, die gut wirksam ist, aber zumindest zwei entscheidende Nachteile aufweist:

  • Wegen der Variabilität des Virus sind jährlich neue Impfungen gegen immer wieder andere Virusstämme erforderlich, und
  • die Impfung schützt erst nach einer Latenzzeit von zwei bis vier Wochen.


Außerdem werden Amantadin und Rimantadin als Virostatika in Prophylaxe und Therapie eingesetzt, in Deutschland ist jedoch nur Amantadin zugelassen. Beide Substanzen wirken nur gegen Influenza-A-Viren, aber nicht gegen B-Typen. Zudem haben sie unerwünschte zentralnervöse Effekte, wie Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwäche, und in vielen Fällen entstehen kurzfristig resistente Influenzaviren.

Gezielter Angriff auf Grippeviren


Einen ganz anderen therapeutischen Ansatz verfolgt die neue Substanz Zanamivir, die durch Molecular modelling gezielt als Hemmstoff der viralen Neuraminidase entwickelt wurde. Dieses virale Enzym zählt zu den wichtigsten Oberflächenantigenen der Influenzaviren und bildet damit auch eine der Zielstrukturen der Grippeimpfungen.
Neuraminidasen katalysieren die Auflösung des Mucins an den Schleimhäuten und haben zudem eine entscheidende Funktion bei der Virusvermehrung. Nachdem in einer Wirtszelle neue Virusbestandteile gebildet wurden, heften sich diese an die Zellwand. Anschließend spaltet die Neuraminidase Sialinsäure aus Glykoproteinkonjugaten innerhalb der Zellwand ab, so daß die Virionen aus der Wirtszelle freigesetzt werden und sich die Infektion ausbreiten kann. Durch Blockierung der Neuraminidase wird dieser Ablauf unterbunden, was die antivirale Wirkung von Zanamivir erklärt. Dabei bindet Zanamivir selektiv an virale Neuraminidasen, beeinflußt aber weder die Neuraminidasen des menschlichen Wirtsorganismus noch die entsprechenden bakteriellen Enzyme. Im Gegensatz zu den bisher eingesetzten Virostatika wirkt Zanamivir sowohl gegen Influenza-A-Viren als auch gegen die B-Typen.

Zanamivir: gut verträgliches Virostatikum


Klinische Untersuchungen haben bei oraler Anwendung von Zanamivir nur eine geringe Wirkung auf die Virusvermehrung im Respirationstrakt gezeigt. Gute Wirkungen zeigen sich bei intranasaler und insbesondere bei inhalativer Anwendung, was durch den direkten Zugang zum Ort der Virusreplikation erklärt wird. Daher ist der inhalative Einsatz mit einem Diskhaler, ähnlich wie bei diversen Antiasthmatika, vorgesehen.
Die bisherigen Untersuchungen haben keine Hinweise auf systemische Toxizität und gegenüber Plazebo keine erhöhte Nebenwirkungsrate gezeigt. Zanamivir weist eine lineare Kinetik auf und wird weitgehend unverändert über die Nieren ausgeschieden, so daß Wechselwirkungen im Rahmen der Metabolisierung nicht zu erwarten sind. Die Halbwertszeit beträgt 1,6 bis 3,4 Stunden.

Einsatz zur Prophylaxe ...


Die Substanz befindet sich derzeit in Studien der Phase III, wobei die Einsatzmöglichkeiten als Prophylaktikum und als Therapeutikum untersucht werden. Zur Prophylaxe werden einmal täglich zwei Inhalationsdosen mit jeweils 5 mg Wirkstoff angewendet. Bisher liegen für den Einsatz über bis zu 28 Tage gute Ergebnisse vor. Die Substanz kann so bei einer verspäteten Impfung über die Latenzzeit bis zum Aufbau der Immunität hinweghelfen. Es wird auch angestrebt, Zanamivir ungeimpften Personen im Falle einer Epidemie bis zu deren Abklingen zu verabreichen, so daß mit einer Anwendung über maximal sechs Wochen zu rechnen ist.

... und zur Therapie


Als Therapeutikum zeigt Zanamivir Erfolge bei einer Anwendung innerhalb von 48 Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome. Dabei werden über einen Zeitraum von fünf Tagen zweimal täglich jeweils zwei Inhalationsdosen à 5 mg eingesetzt. Die Grippe verläuft dann milder und kürzer. Ersten Studien zufolge werden die Patienten 1,5 Tage früher symptomfrei und zwei Tage eher fieberfrei, nach neueren Studien endet die Krankheit sogar drei Tage früher. Dies bedeutet eine erhebliche Erleichterung für die Patienten und hat auch ökonomische Vorteile, da die Erkrankten früher wieder arbeitsfähig werden. Außerdem dürfte durch den milderen Verlauf das Risiko gefährlicher oder gar lebensbedrohlicher Komplikationen bei Risikopatienten vermindert werden. Doch scheint der frühzeitige Einsatz der Substanz eine entscheidende Bedeutung für die Wirksamkeit zu haben, so daß eine gesicherte Diagnose nicht abgewartet werden kann.

Latenzzeit bis zum vollständigen Impfschutz überbrücken


Als Prophylaktikum wird Zanamivir dagegen mit der Impfung konkurrieren müssen. Daher dürfte die Überbrückung der Latenzzeit bis zur Wirkung der Impfung eine der vielversprechendsten Indikationen des neuen Präparates werden.
Die Zulassungsunterlagen für das neue Arzneimittel sollen im September 1998 in Schweden eingereicht werden. Für Deutschland wird dann eine bezugnehmende Zulassung angestrebt, so daß die neue Substanz hier in der Wintersaison 1999/2000 erstmals verfügbar sein dürfte. Quelle
Prof. Dr. Gottfried Mauff, Hamburg, Dr. Martina Muttke, Hamburg, Pressekonferenz "HIV, Hepatitis und Influenza - Neue Virustatika von Glaxo Wellcome", Eisenach, 15. September 1998, veranstaltet von Glaxo Wellcome, Hamburg. Thomas Müller-Bohn, Süsel

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