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Gesundheitspolitik: SPD - Höchste Zeit für echte Strukturreformen

BONN (daz). Die Bundestagswahl Ende September wirit ihre Schatten voraus, vieles auf der Bonner Bühne findet zur Zeit bereits unter dem Motto Vorwahikampf. statt. Wir haben die Gesundheitsexperten der einzelnen Bundestagsfraktionen um Statements zum Gesundheitswesen gebeten. Den Auftakt unserer Kurzserie macht Klaus Kirschner, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Nach seiner Auffassung ist es jetzt höchste Zeit für echte Strukturreformen . Mit einem 100-Tage-Programm will seine Partei versuchen, die GKV finanziell zu stabilisieren. Hier sein Statement:

Das Herumdoktern an Symptomen ist kein wirklicher Fortschritt. Halbherzige Reformen sind nur eine unheilvolle Ausflucht auf Zeit, die den Handlungsspielraum beengen. Nicht nur trotz, sondern gerade wegen der sogenannten 3. Stufe der Gesundheitsreform brauchen wir wirkliche Wege aus der Krise. Um den Effizienzmängeln abzuhelfen, sind tiefgreifende Umstrukturierungen und neue innovative Lösungen unentbehrlich. Gerade dadurch läßt sich das bewährte System unserer solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf Dauer retten, ohne durch Leistungseinschnitte ihr Fundament, die Leistungsgerechtigkeit, zu zerstören und weitere Arbeitsplätze zu vernichten.

Das alles ist nicht in einem einzigen gesetzgeberischen Kraftakt zu bewältigen. Das SPD-Programm muß daher auf einer Zeitschiene mit einem "100-Tage-Programm", einem mittelfristigen und einem langfristigen Gesetzeswerk umgesetzt werden. Das ist die Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.

Was sofort getan werden müßte

Im "100-Tage-Programm" geht es zunächst darum, die GKV finanziell zu stabilisieren. Deshalb ist es von existenzieller Bedeutung, direkt ein Globalbudget für den Gesundheitsmarkt, auf dem die gesetzlichen Krankenkassen agieren, einzuführen. Die globale Ausgabensteuerung folgt dabei der Erkenntnis, daß der Gesundheitsmarkt grundsätzlich ein Markt ohne Sättigungsgrenze ist.

Gleichzeitig ist zum Erhalt des Solidarcharakters der GKV erforderlich, die neu eingeführten systemwidrigen Privatisierungselemente Beitragsrückgewähr, Wahltarife und Kostenerstattung wieder abzuschaffen. Revidiert werden muß zudem die völlig widersinnige Koppelung von Beitragssatzerhöhungen mit Zuzahlungserhöhungen des 1. NOG. Die Patienten werden mit dieser Politik von CDU/CSU und FDP in finanzielle Haftung für die eigenen Verhältnisse genommen.

Weitere Geißelwerkzeuge für die Patienten wie die Streichung des Zuschusses zum Zahnersatz für Versicherte, die nach dem 31.12. 1978 geboren sind, müssen revidiert werden. Die erhöhte Arzneimittelzuzahlung ist zunächst in einem ersten Schritt für chronisch Kranke spürbar zurückzuführen. Die erhöbten Zuzahlungen insgesamt sowie die 10%ige Krankengeldkürzung werden dann im Rahmen der in Stufe II und Stufe III des SPD-Programms freigesetzten Sparvolumina Schritt für Schritt zurückgeführt.

Die entstehenden Mehrausgaben der Krankenkassen in Folge des Sofortprogramms schlagen kurzfristig mit einem Kostenvolumen von rd. 2,5 Mrd. DM zu Buche. Diese Mehrausgaben sind aufgrund der Einführung der globalen Ausgabensteuerung und weiteren effizienzsteigernden Maßnahmen innerhalb des Globalbudgets beitragsneutral zu finanzieren.

Eckpunkte für echte Reformen

Die Globalbudgetierung ist unabdingbar, um die GKV auf längere Sicht mit einem vertretbaren finanziellen Aufwand zu lenken. Allerdings würde die Budgetierung allein nur immer stärkere Anreizfinanzierungen schaffen. Daher müssen Vertragssysteme und Versorgungsformen innerhalb des Gesamtbudgets geschaffen werden, die tatsächlich flexibel und verläßlich sind. Die ambulante und stationäre Behandlung, Prävention, Rehabilitation und Langzeitpflege sind organisatorisch enger zu verzahnen und die Informationsweitergabe ist als erste Stufe eines neuen Gesundheitsnetzwerkes zu verbessern.

Die Schlüsselfunktion bei den notwendigen Vernetzungen wird dem Hausarzt als Gatekeeper zukommen. Auch für den Patienten kann er eine "Schlüsselrolle" im echten Wortsinn einnehmen. Er hat durch seine Nähe zum Patienten die besten Informationen über den Behandlungsbedarf und ist dessen erster Ansprechpartner.

Für den Arzneimittelbereich sind effektive preis- und qualitätssteuernde Regelungen einzuführen, z. B. über Preisverhandlungen, durch eine Positivliste und über qualitätsorientierte Zuzahlungsregelungen, die dann zu einer nachhaltigen Entlastung chronisch Kranker führen. Insbesondere die Positivliste bringt eine Qualitätsverbesserung, die gleichzeitig Einsparungen von 2 Mrd. DM jährlich zur Folge hat. Einsparungen von rd. 1 Mrd. DM sehe ich auch in der mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) eingeführten und zwischenzeitlich jedoch von CDU/ CSU wieder gestrichenen Patentschutzregelungen nur für Erstpatente und bei Arzneimittel-Reimporten, deren konsequente Anwendung ebenfalls rd. eine halbe Mrd. DM Einsparungen bringen kann.

Was die Position der Apotheker konkret betrifft, so steht für die SPD die Beibehaltung und die Sicherung des Vertriebsweges nicht zur Disposition. Wir wollen auch keine Handelsketten, dies gebietet die Arzneimittelsicherheit und der Beratungsbedarf, den der Patient beim Apotheker hat und deshalb sprechen wir uns auch gegen den Fremd- und Mehrbesitz bei Apotheken aus.

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