Klinische Pharmazie

Klinische Pharmazie 10. Folge: Klinische Studien (Fortsetzung)

Die Transparenz der Verantwortlichkeiten und geplanten Maßnahmen im Vorfeld einer klinischen Prüfung sowie die korrekte und vollständige Dokumentation des Studienablaufs sind essentielle Grundprinzipien qualitativ hochwertiger klinischer Studien. Bei ihrer Durchführung ist auf seiten des pharmazeutischen Unternehmers ein professionelles Projektmanagement zur Planung, Bereitstellung von Kapazitäten und Budgets sowie eine kontinuierliche Überwachung des Verlaufs unverzichtbar. Nach Abschluß der Studie folgen die Auswertung und ein Abschlußbericht.

Prüfärzte Vorraussetzungen zur Mitarbeit als Prüfarzt in einer klinischen Prüfung sind neben der ärztlichen Approbation Erfahrungen mit der Durchführung klinischer Studien, wissenschaftliches Interesse an der Arzneimittelforschung sowie ausreichende Kenntnisse in dem betreffenden Indikationsgebiet. Laut Arzneimittelgesetz (AMG) ist ein Prüfarzt grundsätzlich zur GCP-konformen Durchführung der klinischen Studie und zur vollständigen Beachtung des Prüfplanes verpflichtet. Er ist ebenfalls dafür verantwortlich, daß die Teilnahme eines Patienten bzw. Probanden an einer klinischen Studie mit der notwendigen Vertraulichkeit unter Berücksichtigung des gesetzlichen Datenschutzes gehandhabt wird. Der als Leiter der klinischen Prüfung oder Prüfungsleiter benannte Arzt trägt eine besondere Verantwortung und muß in Deutschland gemäß den Anforderungen des AMG §40 eine mindestens zweijährige Erfahrung in der klinischen Prüfung von Arzneimittteln aufweisen. Üblicherweise übernimmt er die leitende Koordinierungsfunktion für die klinische Durchführung.

Ethische Aspekte klinischer Studien Ethikvotum Vor Beginn einer klinischen Studie muß ein zustimmendes Votum einer zuständigen (in Deutschland nach Landesrecht gebildeten), kompetenten und unabhängigen Ethikkommission vorliegen (§40 Abs.1 (8) AMG und Berufsordnung der Landesärztekammern). Falls kein uneingeschränkt positives Ethikvotum vorgelegt werden kann, darf die Studie nur nach Ablauf einer Einspruchsfrist von 60 Tagen nach Einreichung bei der zuständigen Bundesoberbehörde begonnen werden. Größere multizentrische Studien sollten zusätzlich durch unabhängige Sachverständigenkommissionen (Steering Committees, Peer Review Committees, Safety Committes u.a.) begleitet werden, die den Auftraggeber bei der Planung, Durchführung und Auswertung einer klinischen Prüfung beraten (EG-GCP).

Aufklärung und Einwilligung der Studienteilnehmer Die zur Teilnahme an einer klinischen Prüfung vorgesehenen Personen sind umfassend in mündlicher und schriftlicher Form über Ziele, Nutzen, Ablauf, Risiken und Unannehmlichkeiten der klinischen Prüfung aufzuklären. Die Inhalte dieser Patienten-/Probanden-Information vor der Einwilligung zur Studienteilnahme sind vom Grundsatz her in nationalen Gesetzen und internationalen Richtlinien vorgeschrieben und werden im Einzelfall von der Ethikkommission geprüft. Die Einverständniserklärung zur Teilnahme an einer klinischen Prüfung ist grundsätzlich vor Studienbeginn einzuholen, wobei den betreffenden Personen ausreichend Zeit für ihre Entscheidung zur Studienteilnahme eingeräumt werden muß. Bei Einschränkungen der Fähigkeit eines Patienten, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer klinischen Prüfung zu verstehen, gelten abweichende Bestimmungen (siehe §41 AMG). In besonderen Situationen kann auch ein bei der Aufklärung des Patienten anwesender Zeuge anstelle des Patienten gegenzeichnen.

Datenschutz Der Datenschutz bei klinischen Prüfungen wird in den GCP-Richtlinien und den entsprechenden nationalen Gesetzen und Bestimmungen geregelt, z.B. in Deutschland im AMG, im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und in der Berufsordnung für Deutsche Ärzte. Letztere schreibt ganz allgemein vor, vertraulich zu behandeln, was in der Eigenschaft als Arzt anvertraut wurde oder bekanntgeworden ist (§3 Abs.1). Die Weitergabe von Daten muß durch die Einwilligung der betreffenden Person gedeckt sein und darf nur unter Berücksichtigung der Wahrung der Anonymität des Betroffenen erfolgen (§3 Abs.4, 5, 7). Dabei ist die Datenüberprüfung mittels Einsichtnahme in Originalunterlagen durch Monitoren und Überwachungsbehörden und die Weitergabe studienbezogener, anonymisierter Daten an den Auftraggeber einer klinischen Studie mit der vorherigen Zustimmung des Patienten rechtlich unbedenklich. Seit geraumer Zeit können unter bestimmten, streng definierten Bedingungen auch nicht-anonymisierte Studiendaten weitergegeben werden, z.B. in besonderen Notfällen. In diesem Fall müssen die entsprechenden Studienteilnehmer informiert werden.

Qualität klinischer Prüfmuster Hinsichtlich der regulativen Anforderungen an die Herstellung und Qualität klinischer Prüfmuster gelten analoge Anforderungen wie beim Vertrieb von zugelassenen Arzneimitteln, d.h., die in einer Studie verwendeten Prüfpräparate müssen gemäß der Pharmazeutischen Inspections-Convention und dem Leitfaden der Good Manufacturing Practice (GMP) hergestellt worden sein. Auch die Beschriftung der für die Anwendung am Probanden/Patienten vorgesehenen Prüfmedikation sind gesetzlich detailliert geregelt. Aus pharmazeutischer Sicht kommt der verabreichten Arzneiform eine besondere Bedeutung zu, da ihr Einfluß auf die Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels von hoher Relevanz sein kann. Eigenschaften wie z.B. die Geschwindigkeit des Wirkungseintritts, die Wirkdauer und die Intensität der Wirkung bzw. möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen sind in hohem Maße abhängig von der Galenik des Arzneimittels.

Beispiel: Glibenclamidpräparate Ein prägnantes Beispiel für den Einfluß der pharmazeutischen Eigenschaften der Arzneiform auf die Bioverfügbarkeit und auf relevante pharmakodynamische Parameter ist in den Abbildungen 1 bis 3 gegeben. Verschiedene, auf dem deutschen Markt verfügbare, schnell-freisetzende Glibenclamid-Darreichungsformen zeigten relevant voneinander abweichende In-vitro-Freisetzungsprofile (Abb.1a). In einer vergleichenden Bioverfügbarkeitsuntersuchung wurden die sechs Präparate (A-D, F, G) und ein Placebo (Präparat E) in einem siebenfachen Crossover-Design gesunden Probanden als Einzeldosen appliziert. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede im Konzentrations-Zeit-Verlauf zwischen den Produkten. Die in vitro am stärksten voneinander abweichenden Präparate B und D wiesen auch in vivo die deutlichsten Unterschiede im Konzentrations-Zeit-Verlauf auf (Abb.1b). Die als pharmakodynamische Parameter zur Charakterisierung der Wirksamkeit mitbestimmten Insulin- und Glucosekonzentrationen zeigten nach Applikation der Produkte B und D ebenfalls deutliche Unterschiede (Abb.2). Als therapeutisch relevante Zielgröße wurde die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve von Glibenclamid während der ersten drei Stunden nach Applikation berechnet, da anhand der Glucose- und Insulinkonzentrationen gezeigt werden konnte, daß der Einfluß der Medikation auf diese beiden pharmakodynamischen Parameter nach drei Stunden als abgeschlossen angesehen werden konnte. Die Größe dieses pharmakokinetischen Parameters korrelierte linear mit dem in vitro innerhalb der ersten 10 min aus der Darreichungsform freigesetzen Anteil des Arzneistoffs (In- vivo-/In-vitro-Korrelation, s. Abb.3). Der Nachweis des Zusammenhangs beider Größen bestätigte somit die prädiktive Potenz der In-vitro-Untersuchung sowie deren therapeutische Relevanz. Dieses Beispiel macht deutlich, daß im Vorfeld zu klinischen Prüfungen die Arzneimittelqualität nicht nur hinsichtlich Identität und Reinheit, Wirkstoffgehalt, Dosierungsgenauigkeit (Gleichförmigkeit der Masse) sowie Stabilität von Wirkstoff und Arzneiform geprüft werden muß, sondern daß auch die Untersuchung der Zerfallsgeschwindigkeit der Arzneiform und der In-vitro-Freisetzung der Wirkstoffe zur Beurteilung der biopharmazeutischen Qualität hohe Bedeutung für den Ausgang einer klinischen Prüfung hat. Chargenhomogenität und Chargenkonformität sind ebenfalls relevante Fragen, gerade hinsichtlich des Aspektes der Übertragbarkeit der im Rahmen einer klinischen Studie erhobenen Daten zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf später produzierte Chargen. Eine besondere Bedeutung haben Untersuchungen zur pharmazeutischen Qualität verschiedener Darreichungsformen, wenn deren Bioäquivalenz mit dem Ziel der bezugnehmenden Zulassung von Generika geprüft werden soll. Hier muß im Vorfeld der klinischen Prüfung eine umfassende In-vitro- Charakterisierung sowohl des Test- als auch des Referenzproduktes vorgenommen werden, um abschätzen zu können, ob eine Untersuchung am Menschen mit dem Ziel des Nachweises der Bioäquivalenz zweier Darreichungsformen überhaupt Aussicht auf Erfolg hat und demzufolge unter ethischen Gesichtspunkten gerechtfertigt werden kann. Essentielle Grundvoraussetzung für die Bezugnahme ist ferner, daß die in die Studie einbezogenen Chargen von Test- und Referenzprodukt repräsentativ für das zuzulassende Generikum und das auf dem Markt befindliche Produkt des Originalanbieters sind. Demzufolge kommt dem Nachweis der Chargenkonformität in entsprechend konzipierten und umfassenden In-vitro-Freisetzungsuntersuchungen, d.h. unter unterschiedlichen und hinsichtlich der diskriminierenden Eigenschaften optimierten Bedingungen, besondere Bedeutung zu.

Unerwünschte Ereignisse Voraussetzung für die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses eines Arzneimittels ist neben dem gesicherten Nachweis der Wirksamkeit dessen Verträglichkeit und Unbedenklichkeit. Zur Untersuchung des Risikoprofils neuer Arzneimittel sind in klinischen Studien entsprechende Verträglichkeitsparameter mitzuerfassen. Nach der Zulassung werden Daten zur Verträglichkeit eines Arzneimitttels systematisch gesammelt, um eine aktuelle Bewertung von Risiko und Nutzen vornehmen zu können. Ein Kernelement ist dabei die Erfassung und Bewertung "unerwünschter Ereignisse" (Adverse Events). Unter unerwünschten Ereignissen werden alle Befindlichkeitsstörungen, subjektive und objektive Krankheitssymptome (einschließlich Laborwertveränderungen) sowie interkurrente Krankheiten und Unfälle, die einer in eine klinische Prüfung einbezogenen Person widerfahren, zusammengefaßt, unabhängig von einem möglichen ursächlichen Zusammenhang mit der Studienmedikation. Sie werden grundsätzlich danach eingeteilt, ob sie schwerwiegend, nicht schwerwiegend oder unerwartet sind: - Als schwerwiegend werden Tod, Ereignisse, die lebensbedrohlich sind, eine Hospitalisation erfordern oder verlängern oder einen Dauerschaden bewirken, sowie kongenitale Anomalien bezeichnet. - Ein unerwartetes unerwünschtes Ereignis liegt vor, wenn es in Art, Schweregrad oder Häufigkeit des Auftretens bisher weder in Prüfarztinformation, Prüfplan noch an anderer Stelle berichtet wurde. Aus Gründen der Sicherheit der Studienteilnehmer ist eine zeitnahe Erfassung und die Weitermeldung aufgetretener unerwünschter Ereignisse von großer Bedeutung. Für das Auftreten schwerwiegender unerwünschter Ereignisse gelten besondere Bestimmungen hinsichtlich der zu informierenden Institutionen (Behörden, Ethikkommissionen, Auftraggeber) und der Meldefristen.

Qualitätssicherung Ziel der Qualitätssicherung im Rahmen klinischer Studien ist die Etablierung von Systemen und Vorgehensvorschriften, die die Durchführung der klinischen Prüfung selbst sowie die Erhebung und Dokumentation der Daten in Übereinstimmung mit den GCP-Richtlinien und den jeweils gültigen Vorschriften gewährleisten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Etablierung und Umsetzung entsprechender Standard Operating Procedures (SOPs), in denen Anweisungen zum Beispiel zur Planung, Organisation, Durchführung, Überwachung und Dokumentation einer klinischen Studie, zur Validierung und Verarbeitung der Daten, zum Erstellen des Abschlußberichtes und zur Archivierung gegeben werden. Grundsätzlich umfaßt das System zur Qualitätssicherung klinischer Studien drei unterschiedliche Ebenen: - interne Qualitätssicherung durch das Studienpersonal, - Qualitätskontrolle durch Monitoren, - unabhängige Qualitätsüberwachung durch Auditoren und Inspektoren staatlicher Überwachungsbehörden. Während die Monitoren die Verbindung zwischen Studienpersonal und Auftraggeber darstellen, sind Auditoren und Inspektoren nicht an der Studiendurchführung beteiligt. Entsprechend wird zwischen In-Prozeß- und Post-Prozeß-Qualitätssicherung unterschieden.

Auswertung Nach Abschluß der Datenverifizierung wird die statistische Auswertung gemäß Prüfprotokoll vorgenommen. Darüber hinaus können weiterführende Subgruppenanalysen zur Beantwortung zusätzlicher Fragen oder zur Formulierung von Hypothesen für zukünftige Studien durchgeführt werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit und/oder Notwendigkeit, im Prüfplan nicht vorgesehene Auswertungsmethoden anzuwenden, wenn z.B. in der Zeit zwischen Prüfplanerstellung und Auswertung der Studie neue Verfahren entwickelt wurden oder die den geplanten Methoden zugrundeliegenden Annahmen in praxi nicht erfüllt wurden. Die Datenanalyse multizentrischer Studien umfaßt neben dem Vergleich der untersuchten Behandlungsgruppen und der zentrumsspezifischen Darstellung der Ergebnisse die Prüfung von Unterschieden zwischen den Zentren, d.h. der Abweichungen von der Homogenität der Ergebnisse in allen Zentren. Im Abschlußbericht sind alle Analysen detailliert und reproduzierbar zu beschreiben. Dabei sind die geplanten und tatsächlich durchgeführten Auswertungen zu verdeutlichen. Abweichungen von der vorgesehenen Auswertung müssen explizit angegeben und begründet werden.

Studienbericht Die Berichterstellung einer klinischen Prüfung hat, unabhängig davon, ob die Studie prüfplangemäß abgeschlossen oder vorzeitig beendet wurde, unter Berücksichtigung der im Prüfplan definierten Vorgaben, der realisierten Abläufe während der klinischen Durchführung sowie der dabei erzielten Ergebnisse und statistischen Auswertungen zu erfolgen. Struktur und Inhalt des Abschlußberichtes sollten sich an den Vorgaben von ICH E3 (Structure and Content of Clinical Study Reports, 1995) orientieren. Der integrierte Bericht soll die vollständige Bewertung der Studie ermöglichen. Bei der Dokumentation und Berichterstellung einer klinischen Studie hat die Aufarbeitung von Prüfplan-Abweichungen ein besonderes Gewicht. Die wesentlichen Ergebnisse sollten in einer Synopsis zusammengefaßt werden. Die medizinische Bewertung der Ergebnisse einer klinischen Studie im Abschlußbericht obliegt zunächst dem Leiter der klinischen Prüfung. Dieser ist verantwortlich für die wissenschaftlich angemessene Darstellung und Interpretation der Studienergebnisse unter Berücksichtigung möglicher Problempunkte wie z.B. der Frage, ob die Randomisierung für alle Behandlungen eine repräsentative Auswahl der Studienteilnehmer gewährleistet hat und ob durch die Verblindung z.B. psychologische oder andere Einflüsse ausgeschlossen werden konnten. Des weiteren hat eine Bewertung der statistischen Auswertung zu erfolgen, z.B. hinsichtlich Zentrumseffekten bei multizentrischen Studien, geschlechtsspezifischen Unterschieden bei gemischt-geschlechtlichen Studien oder der Frage, ob aufgrund der Studienanlage eine Verallgemeinerung der Ergebnisse für ein Gesamtkollektiv zulässig ist.

Archivierung und Dokumentation Während des Ablaufes einer klinischen Studie werden alle studienrelevanten Daten und Dokumente bei dem Prüfarzt/Leiter der klinischen Prüfung in einem Prüfarztordner (Trial Master File, TMF) zusammengeführt und archiviert. Üblicherweise wird dieser TMF vom Auftraggeber der Studie zu Beginn bereitgestellt und von dem betreffenden Prüfarzt über den Verlauf der Studie ergänzt. Die Dokumentation der Studienunterlagen hat beim Prüfarzt über mindestens 15 Jahre zu erfolgen, wohingegen der Sponsor zur Dokumentation sämtlicher Studienunterlagen über die Laufzeit des betreffenden Produktes verpflichtet ist. Die Unterlagen sind den Behörden auf Verlangen vorzulegen. Literatur bei den Verfassern. Anschriften der Verfasser: Dr. Dago Mazur, McKnight Laboratories GmbH, Osterstr. 86, 20259 Hamburg Dr. Barbara Schug, Berger Str. 338, 60385 Frankfurt Martina Elze, Pharmaceutical Research Associates GmbH, Besselstr. 2-4, 68219 Mannheim Prof. Dr. Henning Blume, BioChem GmbH, Daimlerstr. 5B, 76185 Karlsruhe

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