DAZ aktuell

Kassen wollen andere Apothekenstruktur

BONN (im). Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen wollen künftig nicht mehr für die Leistung aller Ärzte oder Krankenhäuser aufkommen. Auch im Apothekenbereich plädieren sie für radikale Änderungen wie die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots. Am 10. September stellten sie gemeinsame Positionen vor der Bundestagswahl in Bonn vor. Scharfe Kritik kam unterdessen von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Pharmaverbänden sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Vorstellungen der Kassen


Die Krankenkassen fordern Strukturreformen im Gesundheitswesen und für sich selbst mehr Gestaltungsspielräume. Wenn sie Kapazitäten, Menge und Qualität von Gesundheitsleistungen steuern könnten und die Finanzierungsgrundlagen der GKV gesichert würden, könnten die Beitragssätze in der kommenden Legislaturperiode stabil bleiben, sagte Wolfgang Schmeinck vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen.
Seiner Ansicht nach sind die stukturellen Probleme der GKV wie zum Beispiel Überkapazitäten in fast allen Versorgungsbereichen in den vergangenen vier Jahren nicht gelöst worden. Daueraufgabe bleibe die Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven. Allenfalls kurzfristige Ad-hoc-Maßnahmen zur Erschließung neuer Einnahmen seien ungeeignet und belasteten einseitig die Patienten.

-Atomistische Struktur der Apotheken


Der Arzneimittelmarkt sollte in unverzichtbare, unumstrittene und sonstige Arzneimittel dreigeteilt werden, so die Forderungen der Kassen für die nächste Wahlperiode. Daran sollten sich Richtgrößen und Zuzahlungen der Patienten orientieren. Erneut werden Wünsche artikuliert, die Struktur bei den Apotheken völlig umzukrempeln. Die -kostentreibenden Angebotsstrukturen im Apothekenbereich müßten modernisiert werden, meinen die Kassenstrategen. Das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz sollte fallen, da es -eine ineffiziente und atomistische Struktur im Arzneimittelhandel konserviere, glauben die Vertreter der GKV. Die Festbeträge möchten sie allerdings, da bewährt, beibehalten. Über Medikamentenpreise wollen sie mit Herstellern zumindest im Nichtfestbetragsmarkt verhandeln.
Etwas moderater als in der Vergangenheit fällt der Satz im Positionspapier zu den Vertriebswegen aus. Wurde in der Vergangenheit regelmäßig der Versandhandel oder das ärztliche Dispensierrecht gefordert, fehlen diese Begriffe jetzt, allerdings sollen -sinnvolle Vertriebswege auf die wirtschaftliche Versorgung hin -diskutiert werden. Der Automatismus von steigenden Beitragssätzen und wachsenden Selbstbehalten sollte aufgehoben werden.

Preisverordnung


Die seit Juli geltende Änderung der Arzneimittelpreisverordnung mit den geänderten Spannen bei teuren Präparaten wollte der Vorstandsvorsitzende des BKK-Bundesverbands nicht positiv hervorheben. Von der DAZ gefragt, ob diese nicht die Diskussion um hochpreisige Medikamente beendet habe, antwortete Schmeinck unter Hinweis auf die Zahl der Apotheken: Er habe den Eindruck, mit der Verordnung solle Mittelstandspolitik betrieben werden, dafür sei sie jedoch nicht da.

Kartelle aufheben


Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands forderte die Möglichkeit, direkt mit einzelnen Ärzten oder Arztgruppen anstelle der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Verträge abzuschließen. Der Wettbewerb innerhalb der Versorgungsbereiche sei gering und werde durch korporatistische Verhaltensweisen, weitgehende Werbeverbote und kartellierte Preisbildung gebremst, meinte Dr. Hans Jürgen Ahrens. Neue Versorgungskonzepte seien nur über Wettbewerb einzuführen, allerdings sei dies den KVen zu progressiv. Schwierig sei beispielsweise, mit Hausärzten einen Vertrag zu schließen, wenn die Fachärzte die Mehrheit in der KV besäßen. Nach dem Gesetz müssen mindestens 50 Prozent der Mediziner einer KV etwa Praxisnetzen zustimmen. Auf die KVen könne man - aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten - gleichwohl nicht völlig verzichten, sagte Ahrens. Die gesetzlich mögliche Bedarfsplanung solle zum Abbau von Überkapazitäten bei Ärzten umgesetzt werden, verlangte er. Auch sei es nötig, von der Einzelvergütung ärztlicher Leistungen hin zu pauschalierten Honorierungen zu kommen.

Kostenerstattung aufheben


Ahrens plädierte zudem dafür, von der Kostenerstattung wieder grundsätzlich zum Sachleistungsprinzip zurückzukehren. Das Beispiel Zahnersatz habe gezeigt, daß die Kostenerstattung fehlgeschlagen sei.

Rebscher: Das ist unanständig


Die Krankenkassen fordern darüber hinaus echte Mitbestimmung für den Kliniksektor. Der Staat solle sich auf die Rahmenplanung zurückziehen und den Versorgungsauftrag in die Hände der Vertragspartner legen. Scharf kritisierte Herbert Rebscher die derzeitige Lage der Krankenhausplanung. Daß Bundesländer Planungsinstanz, Aufsicht und zugleich Träger von Kliniken seien, nannte der Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassenverbände -unanständig und wettbewerbswidrig.

GKV-Prinzipien stärken


Zu den tragenden Säulen zählen die Kassen neben dem Solidaritätsprinzip (Gesunde zahlen für Kranke, Gutverdienende für Geringverdiener und Familien) und den einheitlichen Leistungskatalog die paritätische Finanzierung des medizinisch Notwendigen in gemeinsamer Verantwortung von Arbeitgebern und Versicherten.

ABDA warnt vor Verschlechterung


Gegen den Angriff der Krankenkassen auf die Arzneiversorgung durch Apotheken hat sich Hans-Günter Friese verwahrt. Es sei völlig unverständlich, warum die Kassen das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz wieder in Frage stellten, sagte der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Er warnte vor Verschlechterungen, die dann einträten, wenn beispielsweise Kettenapotheken kämen. Kettenapotheken hätten den Zwang zur Gewinnmaximierung. Beispiele aus dem Ausland hätten gezeigt, daß in Kettenapotheken bestimmte Produkte von der Herstellerstufe regelrecht durchverkauft würden, was die Arzneimittelvielfalt schmälere. Kettenbildung zöge Konzentration der Apotheken nach sich und gefährde so die wohnortnahe, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung. Wie der ABDA-Präsident weiter sagte, sei in Ländern mit Ketten die Qualität der Versorgung schlechter, zudem werde dort durch den massiven Marketingansatz der Arzneimittelmehrverbrauch angeheizt. Er warnte davor, Teile der bewährten Apothekenstruktur herauszubrechen und so das ganze System zu gefährden.

Ablehnung in der Industrie...


Kategorisch lehnten auch Verbände der pharmazeutischen Industrie das Kassen-Strategiepapier ab. Die geforderte Dreiteilung des Marktes kritisierte der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn, da Listenmedizin zu Mehrklassenmedizin führe. Aus diesem Grund sei sie medizinisch nicht vertretbar, gefährde die Therapiesicherheit und -freiheit und leiste auch keinen Beitrag zur Qualitätssicherung der Versorgung. Der BAH erinnerte an die Ausführungen des Bundessozialgerichts zu Zuzahlungen im Juni dieses Jahres, eine Einteilung des Arzneimarktes nach Art und Schweregrad der Erkrankung werfe unlösbare Abgrenzungsprobleme auf. Preisverhandlungen im Nichtfestbetragsbereich lehnt dieser Verband, der überwiegend die Selbstmedikationsindustrie vertritt, ab, da über ein provoziertes Scheitern der Verhandlungen der Einstieg in Einkaufsmodelle realisiert werde.
Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) kritisierte Überlegungen der Kassen zu Ketten- und Versandapotheken (obwohl das Papier den Versandhandel nicht expressis verbis erwähnt). Für den BPI bleibe die Apotheke Garant für eine hochwertige flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten. Die heutige Vertriebsstruktur sei gerade für Arzneimittelhersteller mittlerer Größe unverzichtbar, sagte der Hauptgeschäftsfüher Dr. Wolfgang Weng. Er nannte die geforderte Dreiteilung des Arzneimarktes patientenfeindlich und willkürlich. Dann drohe die vermehrte Verschreibung von Präparaten mit hoher Erstattung, auch wenn sie medizinisch noch nicht angemessen seien. Die Kassen irrten, wenn sie glaubten, damit sparen zu können, so der Hauptgeschäftsführer des BPI, der überwiegend mittelständische Unternehmen repräsentiert.

...und bei den Ärzten


Die niedergelassenen Ärzte warnten vor der Forderung der Krankenkassen nach -Einkaufsmodellen, also den direkten Verträgen mit einzelnen Ärzten oder Arztgruppen. -Wer das Einkaufsmodell sät und damit die Stabilisierungsfunktion der KVen untergräbt, der wird nicht nur die völlige Zersplitterung der Versorgung, sondern auch die Ausgrenzung und Stigmatisierung der Kranken und Behinderten ernten, sagte Dr. Winfried Schorre, erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Köln. Er wertete den zunehmenden Wettbewerb der Kassen um -gute Risiken im Sinn von gesunden Versicherten als äußerst bedenklich.l
Zitate
Wir sollten nicht den Leistungskatalog in den Wettbewerb geben nach dem Motto: Die eine Kasse zahlt für Viagra, die andere nicht.
Wolfgang Schmeinck,BKK-Bundesverband

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