Arzneimittel und Therapie

Neue Schlankheitsmittel vor der Markteinführung

Demnächst sollen der Lipasehemmer Orlistat (Xenical®) und das ursprünglich als Antidepressivum entwickelte Sibutramin (Reductil®) zur Behandlung von Übergewicht in Deutschland auf den Markt kommen.


Übergewicht gilt als Wegbereiter für Leiden wie Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose, Gicht und vorzeitigen Gelenkverschleiß. Die Folgen der Völlerei verschlingen zwischen 3 und 7% des gesamten Gesundheitsbudgets: 100 Milliarden US$ sollen es jährlich in den Vereinigten Staaten sein.
Deshalb wird intensiv nach Arzneimitteln gesucht, welche die Körperfülle wirksam begrenzen können. Allerdings haben sich die Schlankmacher der Vergangenheit, als Appetitzügler allesamt Verwandte des Amphetamins, als risikoreich und wenig wirksam erwiesen. Welche Gefahren von diesen Mitteln ausgehen, zeigt das Verbot von Dexfenfluramin und Fenfluramin im Jahr 1997: Beide Präparate scheinen die Herzklappen zu schädigen, es kam zu Todesfällen.

Orlistat hemmt die Lipase


Neue Arzneimittel, die jetzt auf diesen umsatzträchtigen Markt drängen, könnten erstmals seit Jahrzehnten einen Fortschritt einläuten: Orlistat (Xenical®), eine Entwicklung von Hoffmann-La Roche, soll mit einem neuartigen Wirkprinzip die Kalorienflut senken: Anders als die gescheiterten Amphetamine, die die Wahrnehmung von Hunger im Gehirn unterdrücken, hemmt Orlistat die fettspaltenden Verdauungsenzyme, die Lipasen. Diese zerlegen im Dünndarm die Fette in Bruchstücke, die der Körper verwerten kann. Bei der Einnahme von Orlistat werden etwa 30% des Nahrungsfetts unverdaut wieder ausgeschieden und belasten das Kalorienkonto nicht. Orlistat nutzt auch das Prinzip von Belohnung und Strafe: Nur wer fettreiche Kost konsequent meidet, kann mit einer beschwerdefreien Verdauung rechnen; Disziplinlose müssen sich dagegen auf schmierige Durchfälle einstellen; sogenannte Fettstühle.
Trotz des innovativen Wirkprinzips hat Orlistat bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde zunächst kritische Fragen ausgelöst: Der Verdacht kam auf, daß die Substanz Brustkrebs fördern könne. In der Basler Konzernzentrale von Hoffmann-La Roche stoßen solche Bedenken auf Unverständnis. Orlistat wird nämlich aus dem Darm nicht resorbiert und sollte schon deshalb vergleichsweise risikoarm sein.

Markteinführung im September


Dennoch hat Orlistat jetzt die Zustimmung der EU-Kommission gefunden und wird im September auch in deutsche Apotheken kommen, in Neuseeland ist das Mittel bereits seit einigen Wochen auf dem Markt. Insbesondere Übergewichtige mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 kg/m2 oder mehr und Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und erhöhten Cholesterinspiegeln sollen von der neuen Therapie profitieren. Allerdings müssen die Kandidaten erst ihren Willen zum Abnehmen beweisen. Nur wer bereits mit einer herkömmlichen Diät in vier Wochen 2,5 kg verloren hat, soll das Medikament erhalten. Nach 12 Wochen Orlistat-Therapie stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit: 5% Gewichtsverlust ist das Ziel. Wer dieses verfehlt, sollte das Mittel absetzen.
Im Vorfeld der Markteinführung hat Orlistat bereits ein lebhaftes Medienecho ausgelöst: Das angesehene Medizinjournal -The Lancet publizierte die Ergebnisse einer zweijährigen Studie und sprach in einem Kommentar von einem -Meilenstein in der Behandlung der Adipositas. Bei soviel Vorschußlorbeeren bahnt sich auch in den USA ein Umdenken an: die Arzneimittelbehörde hat kürzlich die Zulassung in Aussicht gestellt - trotz anhaltender Kontroversen.
Bei manchen Patienten dürfte Orlistat wegen der Fettstühle, die es verursachen kann, wenig Anklang finden. Auch der Vitaminhaushalt kann aus dem Lot geraten, denn Orlistat beeinträchtigt die Resorption der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K.

Sibutramin dämpft das Hungergefühl im Gehirn


Eine therapeutische Alternative kommt von der BASF-Tochter Knoll in Ludwigshafen: Ihr Wirkstoff Sibutramin, ursprünglich als Mittel gegen Depressionen entwickelt, hat im November 1997 die hohen Zulassungshürden in Amerika genommen und ist dort seit Februar 1998 unter dem Warenzeichen Meridia verfügbar. Deutsche Kunden müssen allerdings noch warten, ehe sie mit Reductil®, wie Sibutramin in Deutschland heißen wird, abnehmen können. Die ursprünglich für den Frühsommer geplante Markteinführung ist verschoben worden. Sibutramin dämpft ähnlich wie frühere Präparate das Hungergefühl direkt im Gehirn. 125,- DM soll die kleinste Packung mit 28 Kapseln in Deutschland kosten. Sibutramin kann die Lücke füllen, die Dexfenfluramin und Fenfluramin hinterlassen haben: Knoll rechnet mit Jahresumsätzen von rund 700 bis 900 Millionen DM, wenn das Produkt erst einmal weltweit vermarktet wird. Literatur
Lancet 352, 160 und 167ff. (1998).
Win Chit Oo und Dr. Martin Baumgärtner

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