Arzneimittel und Therapie

Therapie der stabilen Angina pectoris: Junge Oldies: organische Nitrate

Glyceroltrinitrat und andere organische Nitrate werden zur Behandlung der stabilen Angina pectoris eingesetzt. Sie besitzen ein ausgezeichnetes Wirkprofil. Doch schon nach mehrstündiger Anwendung verlieren Nitrate ihre Wirkung und erlangen sie erst nach kurzer Anwendungspause wieder.

Organische Nitrate, auch Nitroverbindungen genannt, werden seit über hundert Jahren zur Behandlung der Angina pectoris eingesetzt. Im Jahr 1879 berichtete Murrell über die antianginöse Wirkung einer 1%igen oralen Lösung von Glyceroltrinitrat, dem bekanntesten Wirkstoff dieser Gruppe. In der Behandlung der stabilen Angina pectoris besitzen die Nitrate heute einen festen Platz. Sie werden zur Akutbehandlung pektanginöser Episoden sowie zur Vorbeugung eingesetzt.

Prodrugs für einen physiologischen Faktor Trotz des breiten Einsatzes der Nitrate wurde ihr Wirkmechanismus erst vor einigen Jahren aufgeklärt, als die Existenz des physiologischen gefäßerweiternden Faktors EDRF bekannt wurde ("endothelium derived relaxing factor", endothelialer gefäßrelaxierender Faktor), der aus Stickstoffmonoxid (NO) besteht. Und schon bald wurde bewiesen, daß die Nitrate ebenfalls über die Abspaltung von Stickstoffmonoxid wirken. Sie sind also Prodrugs und imitieren das körpereigene Stickstoffmonoxid, welches unter anderem in der innersten Zellschicht intakter Blutgefäße gebildet wird.

Erweiterung der Blutgefäße Nitrate verbessern das Verhältnis von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf des Herzens bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit. Verschiedene Mechanismen tragen dazu bei: § Systemisch: Die Gefäße weiten sich. Dadurch werden die Vorlast und Nachlast des Herzens und das Füllungsvolumen verringert, der Sauerstoffbedarf des Herzens sinkt und die Blutversorgung bessert sich. § Im Herzen: Die epikardialen Koronararterien (einschließlich der stenotischen Abschnitte) und die Kollateralen weiten sich. Dadurch verbessert sich die Blutversorgung ischämischer Herzgebiete. Das Wirkungsspektrum des physiologischen Stickstoffmonoxids geht über die Dilatation von Blutgefäßen hinaus: § Stickstoffmonoxid hemmt die Thrombozytenaggregation und -adhäsion. § Es ist beteiligt an der Regulation der Endothelfunktion, § am Gefäßwachstum und § an der Kontraktilität des Herzmuskels. Grundsätzlich sind solche Wirkungen auch bei Anwendung organischer Nitrate denkbar. Einer Hypothese zufolge wirken organische Nitrate sinnvoll bei solchen Gefäßerkrankungen, die mit einer gestörten endogenen Stickstoffmonoxidbildung einhergehen. Eine derartige endotheliale Dysfunktion kann zum Beispiel bei atherosklerotischen Veränderungen der Gefäßwand vorliegen.

Pharmakokinetik der Nitrate Als lipophile Substanzen werden organische Nitrate rasch resorbiert, im Magen-Darm-Trakt oder durch Haut und Schleimhäute. Glyceroltrinitrat und Isosorbiddinitrat (ISDN) unterliegen nach oraler Einnahme einem ausgeprägten First-pass-Effekt in der Leber. Dementsprechend beträgt die Plasmahalbwertszeit von Glyceroltrinitrat ein bis vier Minuten und die seiner aktiven Metaboliten etwa 40 Minuten. Die Plasmahalbwertszeit von ISDN liegt bei 40 Minuten, die seiner beiden aktiven Mononitrat-Metaboliten bei zwei bis vier Stunden. Der Metabolit 5-ISMN, der auch als Fertigpräparat im Handel ist, wird nicht in der Leber metabolisiert und ist vollständig bioverfügbar.

Toleranzentwicklung durch nitratfreie Intervalle vermeiden Bei Dauerbehandlung verlieren organische Nitrate nach ungefähr zwölf Stunden ihre Wirkung. Diese Toleranzentwicklung stellt ein großes klinisches Problem dar. Klinisch zeigte sich bisher nur eine Strategie zur Toleranzvermeidung erfolgreich: die Intervallbehandlung. Darunter versteht man den regelmäßigen Wechsel zwischen Arzneianwendung und Behandlungspause. Denn wenn jeder Behandlungstag auch eine nitratfreie Phase (oder eine Niedrigdosis-Phase) einschließt, verschwindet die Toleranz, und die Nitratanwendung des Folgetages ist wieder wirksam. Treten während der nitratfreien Intervalle Reboundphänomene auf? Einigen Berichten zufolge verstärkt sich die Myokardischämie während der nitratfreien Stunden. Dementsprechend soll sich dann die Angina pectoris verstärken, und das Herzinfarkrisiko soll steigen. Obwohl diese Berichte durch eine große Studie nicht bestätigt wurden, sollte dieses Problem beachtet werden. Mehrere Untersuchungen zeigen, daß bei transdermaler Glyceroltrinitrat-Therapie am Ende des behandlungsfreien Intervalls die körperliche Belastbarkeit geringer ist als in der Plazebogruppe. Als Ursache dafür könnte eine erhöhte Ansprechbarkeit auf Vasokonstriktoren in Frage kommen. Von anderen organischen Nitraten liegen keine derartigen Berichte vor. Viele Patienten mit Belastungssymptomen erhalten einen Beta-Rezeptorenblocker zusätzlich zur Nitratintervalltherapie. Auch Calciumantagonisten werden bisweilen eingesetzt. Der negativ chronotrope Effekt dieser Substanzen müßte vorteilhaft wirken, dennoch ist ihr Zusatznutzen kaum durch klinische Studien belegt.

Literatur Parker, J. D., J. O. Parker: Nitrate therapy for stable angina pectoris. N. Engl. J. Med. 338, 520-531 (1998). Dorothea Kubitzek, München

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