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Die Arzneipflanzenforschung geht neue Wege

KARLSRUHE (sfr). Aktuelle Forschungsprojekte stellte das Unternehmen Dr. Willmar Schwabe auf einem Presse-Workshop vor, der am 24. Juli 1998 in Karlsruhe stattfand. Zwei vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) im Verbund geförderte Projekte verfolgen die Entwicklung innovativer molekularbiologischer Methoden zur Gewinnung neuer Naturstoffe. Im Mittelpunkt für Schwabe stehen hierbei neue Substanzen für die Therapie von Atherosklerose, Morbus Alzheimer, Krebserkrankungen und Asthma bronchiale.

Die Natur als Reservoir hochkomplexer Therapeutika


Die Suche nach therapeutisch nutzbaren Naturstoffen hat in den vergangenen Jahren einen starken Aufschwung erfahren, weil man erkannt hat, daß die Natur Moleküle von ungeheurer struktureller Vielfalt und mit unerwarteten Strukturen bietet. Prof. Dr. Dieter Marmé aus Freiburg vom dortigen Institut für Molekulare Medizin und Naturstofforschung ist einer der Partner von Schwabe bei der Durchführung der vom BMBF geförderten Forschungsprojekte.
Bei der modernen Erforschung von Stoffen aus pflanzlichen und tierischen Organismen sowie von Pilzen und Mikroorganismen werden unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen verknüpft: Neben der klassischen Naturstofforschung spielen in zunehmendem Maße auch die molekulare Medizin und die organische Chemie eine bedeutende Rolle. Marmé nannte die Acetylsalicylsäure als Beispiel eines traditionell entwickelten Naturtherapeutikums. Aus der Volksmedizin bekannt, wurde die Salicylsäure 1828 von Buchner isoliert und 1897 von Hoffmann chemisch zur Acetylsalicylsäure "veredelt" und so für die Therapie verfügbar gemacht. Der Wirkmechanismus wurde 1974 aufgeklärt.
Die moderne Entwicklung von Naturstofftherapeutika beschreitet einen anderen Weg: Hier steht am Anfang die Aufklärung der Mechanismen der Krankheitsentstehung mit einer Definition relevanter Moleküle. Parallel dazu werden systematisch Naturstoffe erschlossen, deren Einsatz bei diesem Krankheitsbild Sinn machen könnte. Zur Verifizierung setzt man heute das sogenannte intelligente Screening ein. Krankheitsrelevante molekulare "Targets" - in der Regel rekombinant produzierte Proteine - überprüfen die Naturstoffe auf therapeutisch relevante Substanzen. Dieses hochspezifische Screening erfolgt auf extrem schnellen Robotanlagen. Die dabei gefundenen aktiven Verbindungen werden weiter in validierten zellulären Testsystemen und validierten Tiermodellen präklinisch untersucht. Es arbeiten hier also unterschiedliche wissenschaftliche Fachrichtungen von Anfang an Hand in Hand. Nicht zuletzt der hohe Automatisierungsgrad des Screenings ermöglicht heutzutage eine hohe Effizienz bei der Entdeckung und präklinischen Entwicklung neuer Therapeutika aus Naturstoffen.

Die BMBF-Förderprojekte der Unternehmensgruppe Schwabe


Wie Dr. Clemens Erdelmeier, Leiter der Abteilung Naturstoffe II bei Schwabe, unterstrich, zielen die beiden vom BMBF geförderten Projekte darauf ab, neue Leitstrukturen in ausgewählten Naturstoffen zu identifizieren und auf eine mögliche pharmakologische Wirksamkeit hin zu untersuchen. Projekt 1 befaßt sich dabei mit der Entwicklung von Wirkstoffen, die gegen Morbus Alzheimer, Krebserkrankungen und Atherosklerose eingesetzt werden sollen. Es stellt die Fortsetzung eines 1997 abgeschlossenen BMBF-Projektes der Unternehmensgruppe Schwabe dar.

Neue Wirkstoffe aus der Natur gegen Alzheimer, Krebs und Atherosklerose


Die von Schwabe bereitgestellten Naturstoffe (Extrakte, Extraktfraktionen usw.) aus pflanzlichen Organismen werden daraufhin untersucht, welche spezifische Reaktion sie auf verschiedene Enzyme, und zwar Proteinkinasen, entfalten. Aktivatoren der Proteinkinasen können potentielle Wirksubstanzen zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung sein, demgegenüber können Kinase-Inhibitoren möglicherweise zur Therapie von Krebserkrankungen und Atherosklerose eingesetzt werden. Im Verlauf des robotergestützten biologischen Screenings verwendet Schwabe unterschiedliche Modelle für die Zuordnung der untersuchten Naturstoffe zu den einzelnen Krankheitsbildern. Der hierbei eingesetzte Roboter bewältigt ein enormes Pensum von ca. 1500 Substanzproben pro Arbeitstag, wie Dr. Christoph Schächtele vom Institut für Molekulare Medizin und Naturstofforschung aus Freiburg darlegte. Für die Alzheimer-Erkrankung ist es die nur im Gewebe des Gehirns vorkommende Proteinkinase-C-g, für Krebserkrankungen die Raf 1-Kinase und für Atherosklerose die PDGF-Rb-Tyrosin-Kinase. Die genannten Arbeiten werden am Institut für Molekulare Medizin und Naturstofforschung in Freiburg durchgeführt.
Um den Kreis der potentiellen Wirkstoffe möglichst weit zu fassen, werden in einem ergänzenden Teilprojekt auch ungewöhnliche biologische Proben, beispielsweise Insekten, Pilze und marine Organismen auf chemische Leitstrukturen hin untersucht und ihre mögliche therapeutische Wirksamkeit mit Hilfe der oben beschriebenen Kinase-Testmodelle getestet. Dieses Teilprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Insititut für Pharmazeutische Biologie der Universität Jena durchgeführt.

Ethnomedizin-wissenschaftlich untermauert


Ein zweites Projekt soll Stoffe für die Therapie von chronischen Atemwegserkrankungen erschließen, wobei der Schwerpunkt des Interesses auf Asthma bronchiale liegt. Hier werden Pflanzeninhaltsstoffe aus Organismen der tropischen und subtropischen Klimazone untersucht, inwiefern sie eine therapeutische Wirksamkeit gegen Asthma besitzen. Bei diesen Untersuchungen werden speziell Pflanzen ausgewählt, die in der Volksmedizin von Naturvölkern traditionell bei Atemwegserkrankungen verwendet werden. In diesem ethnomedizinschen Ansatz von Schwabe werden derzeit hauptsächlich afrikanische Pflanzen untersucht, die von den dort ansässigen Medizinmännern eingesetzt werden. Unter Einbeziehung nationaler Experten vor Ort wird eine Datenbank zu den gesammelten Organismen und taxonomisch verwandten Arten aufgebaut. Die Strukturaufklärung dieser Substanzen erfolgt im Institut für Angewandte Forschung der Fachhochschule Reutlingen.
Dr. Wilhelm Schmid reiste als Leiter der Abteilung Heilpflanzenanbau II bei Schwabe bereits mehrfach zu den Kooperationspartnern vor Ort, z.B. nach Südafrika. Dort arbeitet Schwabe, basierend auf ethnomedizinischen Informationen und der UN-Konvention (Biodiversitäts-Abkommen) von Rio de Janeiro aus dem Jahre 1992, mit kompetenten lokalen Partnern zusammen. Schmid erläuterte einige "Fußangeln", die solche Projekte akut bedrohen können, wie z.B. Mängel bei Know-How, Infrastruktur, Stromversorgung und Verwaltung in den Partnerländern. Genaue Kenntnisse der örtlichen bürokratischen Hürden, die über die Genehmigungsverfahren bestimmen, ganz praktische Vorkehrungen wie ein Notstromaggregat und natürlich der beiderseitige "good will" sind in diesen Ländern unerläßlich für das Gelingen. Nach den Vereinbarungen in der Rio-Konvention sollten die Kooperationen mit den Ressourcenländern zur Entwicklung des Partnerlandes beitragen. Die biologische Vielfalt in diesen Ländern soll erforscht, genutzt und kommerzialisiert werden. Durch verbesserte Lebensbedingungen in den betreffenden Regionen erhofft man sich eine gezielte Nutzung der pflanzlichen Ressourcen zum beiderseitigen Nutzen der Kooperationspartner und dadurch nicht zuletzt einen wirksamen Schutz der Artenvielfalt. Die Partnerländer erhalten von Schwabe für das Pflanzenmaterial entweder Geldmittel (monetäre Vergütungsform) oder Zuwendungen in Form eines Beitrages zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung (capacity building). Hierbei geht es vor allem um Technologie- und Know-how-Transfer, Co-Marketing sowie um gemeinsame Projekte im Partnerland.
Warum gerade die Suche nach neuen Asthmatherapeutika im Mittelpunkt des Interesses der Untersuchungen steht, erklärte Dr. Egon Koch, Pharmakologe bei Schwabe. Diese chronische Krankheit beeinträchtigt die Lebensqualität der betroffenen Patienten oft in hohem Maße. Daneben belasten die Kosten für die direkte und indirekte Asthmabehandlung die Volkswirtschaft mit 5,5 Mrd. DM pro Jahr. Zur Behandlung des Asthma bronchiale steht mittlerweile ein ganzes Arsenal unterschiedlichster Wirkstoffe zur Verfügung. Dennoch sind viele Asthmapatienten nicht optimal eingestellt oder klagen über unangenehme Nebenwirkungen ihrer Medikamente. Nachteilig ist weiterhin, daß einige der gebräuchlichen Antiasthmatika nur eine geringe therapeutische Breite besitzen oder prophylaktisch angewendet werden müssen. Der Bedarf an spezifisch wirksamen, verträglichen Substanzen ist daher gerade bei diesem Krankheitsbild hoch.
Für die pharmakologischen Untersuchungen der Pflanzenextrakte werden zwei aussagefähige In-vitro-Modelle entwickelt, mit denen große Probenzahlen geprüft werden können. Eines dieser Modelle ist ein multifaktorielles Testsystem, das die Probenextrakte an der Trachea prüft. Dabei wird der Einfluß der Extrakte auf die Kontraktion der isolierten Trachea von immunisierten Meerschweinchen nach Antigenstimulation untersucht. Das zweite Screeningmodell ist ein zelluläres Testsystem, wobei der Effekt der Prüfextrakte auf die Stimulation von humanen eosinophilen Granulozyten durch das Chemotaxin "Eotaxin" betrachtet wird. Schwabe kombiniert in seinen pharmakologischen Testreihen also ein multifaktorielles Organsystem mit einem selektiven Zellsystem. Dadurch erhofft man sich die Identifizierung von Naturstoffen, die als Leitstrukturen für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen Asthma dienen können.l

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