DAZ aktuell

Arzneiverordnung: Ausschlüsse und Einschränkungen im Visier

BONN (im). Vom Rummel um Viagra in den Hintergrund gedrängt, stehen womöglich große Veränderungen im Arzneibereich an. Erhebliche Einschränkungen in der Arzneimitteltherapie wären zu erwarten, wenn der umstrittene Entwurf der Arzneimittel-Richtlinien unverändert in Kraft treten würde. Der zuständige Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat eine umfangreiche Vorlage erstellt, wonach die Krankenkassen künftig Nootropika, Antidiarrhoika, Venen- oder Lebertherapeutika oder Lipidsenker gar nicht mehr oder nur zum Teil erstatten dürfen. Noch bis zum 14.August können die betroffenen Verbände etwa der Apotheker und der pharmazeutischen Industrie Stellung dazu nehmen, der Bundesgesundheitsminister hat dann das letzte Wort.


Daß "massive" Verordnungsausschlüsse drohten, weist der Vorsitzende des Gremiums, Karl Jung, zwar zurück (zu den Aufgaben des Bundesausschusses siehe ausführlich DAZ Nr.28 vom 9.Juli und DAZ Nr.32 vom 6.August). In Presseberichten seien fälschlicherweise auch die Präparate - wie etwa Erkältungsmittel - genannt worden, die die Kassen bereits seit Jahren nicht mehr erstatteten, so Jung kürzlich in Köln. Richtig sei, daß der Ausschuß das Wirtschaftlichkeitsgebot konkreter fasse, was "natürlich im Ergebnis auch zu Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen für bestimmte Arzneimittelgruppen" führe, so seine Meinung. Der Arzt müsse vor der Verschreibung fragen, ob ein Erfolg auch durch Alternativen erreicht werden könne oder ob die Arzneiverordnung dem Erfordernis von Wirksamkeit und Qualität entspreche. Diese Abwägung habe der Bundesausschuß zum Beispiel bei den Venentherapeutika (topische und systemische Anwendung) oder bei den festen Kombinationen von Rheumamitteln und entzündungshemmenden Stoffen getroffen. Die Ärzte erhielten mit den neuen Richtlinien ein "übersichtliches Instrumentarium" für ihre Verordnungen, die nicht zuletzt den Vorgaben des Budgets oder der Richtgrößen entsprechen müßten.

Was ist neu?


Auf die Ärzte kämen, wird der Entwurf nicht mehr verändert, Verordnungseinschränkungen, Erfolgskontrollen bis hin zu Einzelbegründungen zu.
Auf einer Tagung des Bundesfachverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) dazu am 5.August in Bonn wurde deutlich, daß dieser ebenso wie der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) dem Gremium aus Ärzten und Kassen das Recht auf verbindliche Ausgrenzungen aus der Erstattungsfähigkeit abspricht, ausschließen könne nur der Gesetzgeber selbst. Der BAH sieht im Entwurf etliche Ungereimtheiten sowie unter anderem die besonderen Therapierichtlinien überproportional betroffen. So werde beispielsweise die homöopathische alkoholhaltige Zubereitung nicht von den Ausgrenzungen ausgenommen, obwohl deren Besonderheiten per Gesetz berücksichtigt werden müßten. Nach Worten von Dr.Bernd Eberwein und Dr.Rose Schraitle vom BAH würden künftig alkoholhaltige Arzneimittel mit mindestens fünf Volumenprozent Alkohol aus der Erstattung herausfallen, wobei nur Tinkturen nach dem Deutschen Arzneibuch und tropfenweise einzunehmende ethanolhaltige Präparate ausgenommen seien. Jedoch enthielten homöopathische Präparate von der Herstellung her in der Regel einen höheren Alkoholgehalt, dieser Passus im Entwurf müsse geändert werden.

Alternativen zu Arzneien


Diplom-Volkswirt Uwe May, Referent beim BAH, erläuterte die Struktur des vorliegenden Entwurfs (zum Zweck siehe Kasten). Demnach muß ein Arzt vor der Verordnung zum Beispiel prüfen, ob anstelle der Arzneimittel Maßnahmen der gesunden Lebensführung oder nichtmedikamentöse Therapien in Frage kommen und ob die Arzneiverschreibung notwendig wäre. Bei mehreren Behandlungsstrategien muß er die wirtschaftlichste Alternative, die preisgünstigste Darreichungsform und bei wirkstoffgleichen Präparaten ein möglichst preisgünstiges Mittel auswählen. Darüber hinaus solle er bei der Verordnung auch Re- und Parallelimporte berücksichtigen sowie bei der Packungsgröße, ob es sich um eine akute oder chronische Erkrankung handele. Bei Neueinstellungen soll es künftig generell nur eine kleine Packung geben, bei Wiederholungsverordnungen sollen Mißbrauch oder Abhängigkeit beachtet werden.

Ausgrenzungen


Zwei Ziffern (6.1 und 6.2) enthalten Verordnungsausschlüsse. Dabei führt die Ziffer 6.1 lediglich das bisher schon ausgegrenzte Volumen auf, also zum Beispiel freiverkäufliche Arzneimittel, Präparate gegen Erkältung, gegen Reisekrankheit oder die Mund- und Rachentherapeutika (§34 Absatz1 und 3 Sozialgesetzbuch V). Neu ist, so May, daß nicht nur in der Anlage zu den Richtlinien, sondern im Text selbst alphabetisch 40 Arzneimittelgruppen aufgelistet werden, für die die Kassen per Gesetz nicht mehr zahlen sollen (oder bereits schon heute nicht aufkommen).
In Ziffer 6.2 würden dagegen Arzneimittel aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ausgeschlossen. In einer Anlage werden Arzneimittelgruppen mit beiden Ausschlußgründen tabellarisch aufgeführt.

Beispiele


Würde dieser Entwurf, zu dem die Anhörung noch läuft, unverändert in Kraft treten, dürften Mediziner zum Beispiel Lipidsenker nur bei hohem kardiovaskulärem Risiko verschreiben oder Antidementiva (Nootropika) nur für zwölf Wochen, dann müsse der Erfolg dokumentiert werden für eine weitere Behandlung auf Kassenkosten. Wie der Erfolg mit Nootropika allerdings in der Praxis gemessen werden soll, ist unklar. Die Ärztevertreter im Bundesausschuß jedenfalls treten offen für eine restriktive Handhabung ein. So sagte Ausschußmitglied Professor Wolfgang Brech am 3.August vor Journalisten in Köln, die Verlangsamung des Krankheitsbildes Demenz allein reiche nicht aus.
Darüber hinaus soll es externe Glucocorticoid-Kombinationen nicht mehr auf Kassenkosten geben, Ophthalmika sind allerdings als Ausnahmen aufgeführt, ebenfalls Kombinationen mit Antibiotika oder Antimykotika, wozu der Arzt allerdings immer eine Einzelbegründung abliefern muß.
Orale Antidiabetika soll es ebenfalls nicht mehr auf Rezept geben, verordnungsfähig wären sie dann, wenn nichtmedikamentöse Maßnahmen ohne Erfolg blieben.l

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