Arzneimittel und Therapie

Tirofiban - ein Thrombozyten-Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonist

Der Thrombozytenaggregationshemmer Tirofiban (Aggrastat(r)) ist seit August in Deutschland auf dem Markt. Sein Wirkprinzip ist die Hemmung des Thrombozyten-Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors. Als Zusatzmedikation neben Acetylsalicylsäure und Heparin senkt er bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder rudimentärem Herzinfarkt (Nicht-Q-Wellen-Infarkt) die Häufigkeit erneuter Infarkte und refraktärer Ischämien sowie das Mortalitätsrisiko.


Vorläufer der Angina pectoris oder des Herzinfarkts ist häufig die Ruptur einer atherosklerotischen Plaque in einem Koronargefäß. Die Innenwand des Blutgefäßes wird geschädigt, und damit wird gleichzeitig die Kaskade der Blutgerinnung in Gang gesetzt, an deren Ende die Thrombozytenaggregation und die Thrombusbildung steht. Ob es nach einer Plaqueruptur zu einem Verschluß des Gefäßes durch einen Thrombus kommt oder ob die Fissur ausheilt, ist schwer vorauszusagen. Die klinischen Risiko-Indikatoren, wie Schweregrad der Symptomatik bei der Angina pectoris, EKG-Veränderungen oder Troponin-T-Wert, scheinen eher unsicher zu sein. Sinnvoll ist eine frühe invasive Diagnostik, um rechtzeitig und richtig intervenieren zu können. Jeder Patient, der erstmals einen Angina-pectoris-Anfall erleidet, und jeder Patient mit instabiler Angina pectoris sollte deshalb in eine Klinik eingewiesen werden.

Standardtherapie: Hemmung der Blutgerinnung


Zur Standardtherapie der instabilen Angina pectoris und des Myokardinfarktes gehört sowohl bei konservativer Behandlung als auch bei interventionellen Verfahren, wie der Ballondilatation, die Hemmung der Blutgerinnung und der Thrombozytenaggregation durch Acetylsalicylsäure und Heparin: Acetylsalicylsäure hemmt die Thromboxansynthese, Heparin erhöht insbesondere die Aktivität von Antithrombin III.
Der neue Thrombozytenaggregationshemmer Tirofiban verfolgt eine andere Strategie: Er greift erst auf der Endstrecke der Thrombusbildung ein, nämlich bei der Aggregation der Thrombozyten untereinander. Dieser Zusammenschluß der Blutplättchen entsteht durch die Thombozyten-Fibrinogen-Interaktion. Fibrinogen greift dabei am Thrombozyten-Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor an, der vermehrt auf der Thrombozytenoberfläche exprimiert wird, und bildet so Brücken zwischen den Thrombozyten. Tirofiban hemmt als Antagonist des Thrombozyten-Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors selektiv und, wie sich in klinischen Studien zeigte, auch wirksam die Thrombozytenaggregation, indem er den Rezeptor besetzt.

"Muttersubstanz": ein Schlangengift


Entwickelt wurde Tirofiban aus dem Protein Echistatin, einem Schlangengift mit thrombozytenaggregationshemmenden Eigenschaften. Entscheidend für die Wirksamkeit war eine bestimmte Aminosäuresequenz Arginin-Glycin-Aspartat, die als RGD-Sequenz bekannt und für die Bindung an den Thrombozyten-Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor notwendig ist. Letztlich entstand mit Tirofiban eine synthetische, niedermolekulare Substanz, die die entscheidenden Strukturmerkmale enthält.

Die Studien: PRISM, PRISM-PLUS und RESTORE


In drei großen randomisierten Phase-III-Studien wurde der Effekt einer zusätzlichen Thrombozytenaggregationshemmung mit Tirofiban bei der konservativen und/oder interventionellen Behandlung von Patienten mit instabiler Angina pectoris oder rudimentärem Herzinfarkt (Non-Q-Wave-Infarkt) an insgesamt etwa 7000 Patienten untersucht. Das Ergebnis: Auf die Gabe von Acetylsalicylsäure und Heparin kann zwar nicht verzichtet werden. Die zusätzliche Applikation von Tirofiban senkt jedoch die Häufigkeit refraktärer Ischämien, erneuter Myokardinfarkte und Todesfälle. Hier die Studien in einer kurzen Zusammenfassung:

  • Die PRISM(Platelet Receptor Inhibition for Ischemic Syndrome Management)-Studie untersuchte den Effekt von Tirofiban bei der konservativen Therapie der instabilen Angina pectoris und des Myokardinfarktes: 3231 Patienten erhielten neben ASS entweder nur Heparin oder Heparin plus Tirofiban über 48 Stunden als Infusion. Der kombinierte Endpunkt von Tod, Myokardinfarkt und refraktärer Ischämie war in der Tirofiban-Gruppe um 32 Prozent reduziert. Die Häufigkeit dieser Ereignisse lag unter alleiniger Heparingabe bei 5,6 Prozent, bei zusätzlicher Tirofibangabe bei 3,8 Prozent. Betrachtet man nur die Rate erneuter Myokardinfarkte, war ein Rückgang um 47 Prozent festzustellen.
  • Die RESTORE(Randomizes Efficacy Study of Tirofiban for Outcomes and Restenosis)-Studie untersuchte die Tirofibanwirkung bei der interventionellen Therapie der instabilen Angina pectoris und des rudimentären Myokardinfarktes: Etwa die Hälfte der 2139 Patienten, die innerhalb von 72 Stunden nach Einweisung in das Krankenhaus einer Angioplastie unterzogen wurden, erhielt randomisiert neben ASS und Heparin auch Tirofiban. Innerhalb der ersten Woche senkte Tirofiban das Risiko für Tod, Myokardinfarkt und wiederholte Revaskularisierungsmaßnahmen um 27 Prozent. Dieser Vorteil ließ sich allerdings nicht halten. Nach 30 Tagen lag der Profit unter Tirofiban lediglich bei 16 Prozent.
  • Die PRISM-PLUS(Platelet Receptor Inhibition for Ischemic Syndrome Management-Patients Limited by Unstable Signs and Symptoms)-Studie untersuchte, ob Tirofiban bei einem integrierten Behandlungskonzept von konservativer und, falls indiziert, interventioneller Therapie Vorteile bringt: 1815 Hochrisikopatienten mit instabiler Angina pectoris oder rudimentärem Infarkt erhielten über 48 Stunden neben Acetylsalicylsäure entweder nur Heparin oder Heparin plus Tirofiban. Aufgrund der Ergebnisse angiographischer Untersuchungen wurde während dieses Zeitraums bei 22 Prozent der Patienten eine Ballondilatation, bei 17 Prozent der Patienten eine Bypass-Operation durchgeführt und die Studienmedikation über weitere zwölf Stunden beibehalten. Unter diesem Studiendesign, das der derzeit gängigen Behandlungspraxis entspricht, ergaben sich deutliche Vorteile für die Patienten, die zusätzlich Tirofiban erhielten. Innerhalb der ersten sieben Tage lag die Häufigkeit von Todesfällen und Myokardinfarkten bei 4,9 Prozent unter Tirofiban versus 8,3 Prozent unter alleiniger Heparintherapie. Dieser Vorteil zeigte sich auch noch nach 30 Tagen (22% relative Risikoreduktion) und nach sechs Monaten (19% relative Risikoreduktion).


Die Häufigkeit bedeutsamer Blutungen, die unter einem Thrombozytenaggregationhemmer besonders zu beachten ist, war in allen klinischen Untersuchungen zwar leicht, jedoch nicht signifikant erhöht.
Quelle
Prof. Dr. Franz Josef Neumann, München, Prof. Dr. Albert Schömig, München, Dr. Frederic L. Sax, USA, Pressekonferenz "Neue Aspekte in der Behandlung akuter Koronarsyndrome", München, 23. Juli 1998, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme GmbH, München.
Dr. Beate Fessler, München

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