DAZ aktuell

Ein Härtefall für Patienten und Hersteller

FRANKFURT (aal). Welche Arzneimittel dürfen Ärzte künftig noch zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen? Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen versucht die Antwort darauf durch eine überarbeitete Version der Arzneimittel-Richtlinien zu konkretisieren. Auf einer Pressekonferenz des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) am 30. Juli 1998 wurden die Einschnitte in den Leistungskatalog der Kassen kritisch beleuchtet.


Der BPI hält den Entwurf der Arzneimittel-Richtlinien in zahlreichen rechtlichen und medizinischen Punkten für unhaltbar. Zum einen greift der Ausschuß weit über seine Kompetenzen hinaus, indem er Rechte beansprucht, die nur dem Gesetz- und Verordnungsgeber zustehen. Auch beziehen sich manche neuen Verordnungsausschlüsse auf ein angebliches Wirtschaftlichkeitsgebot "von Gesetzes wegen", was mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht übereinstimmt. Diese Meinung untermauern auch mehrere eingeholte Gutachten namhafter Rechtswissenschaftler.

Was sich ändern soll


Geht es nach dem Willen des Bundesausschusses, so werden 40 Arzneimittelgruppen in Zukunft nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefällen erstattungsfähig sein. Dieser Katalog reicht von Abmagerungsmitteln bis zu Mineralien und Spurenelementen. Auf den ersten Blick scheint dies nicht schlimm, doch eine nähere Betrachtung bringt allerhand Ungereimtes zu Tage: Nicht mehr verordnungsfähig sind demnach z. B. Anabolika und appetitanregende Mittel selbst bei Krebspatienten, Antiarthrotika und Chondroprotektiva sowie nicht-hormonelle Menopausen-Präparate, Demenzmittel, wenn sie nicht binnen 12 Wochen Wirkung zeigen, externe Antihistaminika und lokale Glucocorticoid-Kombinationen (selbst bei Neurodermitis), Mittel gegen den grauen Star, Hustenmittel und Inhalationsmittel bei Patienten über 18 Jahren, Vitaminpräparate, Ernährungstherapeutika, (darunter fällt z. B. auch die Sondennahrung - diese Patienten sollen jetzt per infusionem ernährt werden, falls der Arzt keinen gewichtigen Grund für die Verordnung findet!), Mittel bei Sportverletzungen (obwohl der Sport selbst von den Kassen gefördert wird), Psychostimulanzien (auch nicht mehr für Narkolepsie-Kranke), Nikotin- und Alkoholentwöhnungsmittel außer Acamprosat, obwohl jeder Alkoholkranke und die Folgen des Rauchens die Kassen wesentlich stärker belasten.

Mögliche Konsequenzen


Da sich mit dem Verbot oder der erschwerten Verschreibung einer solchen Vielzahl von Präparaten die entsprechenden Gesundheitsstörungen nicht in Luft auflösen, ergeben sich auf der Patientenebene folgende Effekte: Da orale Medikamente im Gegensatz zu Injektabilia oft nicht mehr verschrieben werden dürfen, muß die schmerzhafte Applikationsform in Kauf genommen werden. Ebenso sind pflanzliche Mittel häufig nicht mehr verschreibungsfähig, weswegen auf nebenwirkungsträchtigere chemische Präparate "umgestiegen" wird. Weil sie die benötigten, aber verweigerten Medikamente einfach nicht selbst bezahlen können, werden viele Patienten nicht mehr wirklich adäquat versorgt. Damit ergibt sich nach Ansicht des BPI eine Verschärfung der Tendenz zu einer Zweiklassen-Medizin.
Ob sich der Entwurf auf volkswirtschaftlicher Ebene als wirkliches Instrument der Einsparung entpuppt, wird erst die Zukunft zeigen. Tatsächlich sind oral einzunehmende Medikamente in den meisten Fällen die billigste Art zur Wiederherstellung der Gesundheit. Durch deren Verdrängung ergibt sich ein verstärkter Trend zu Injektabilia, die die Kassen zusätzlich mit den Applikationskosten belasten.

Das weitere Vorgehen


Bevor die Neufassung der Arzneimittel-Richtlinien rechtskräftig wird, müssen die betroffenen Verbände - Patientenorganisationen und die Industrie - gehört werden. Der BPI kritisiert, daß diese Gruppen nicht schon in den beschlußfassenden Gremien vertreten waren. Immerhin besteht jetzt noch die Möglichkeit, die aufgezeigten Widersprüche deutlich zu machen, bevor der Bundesgesundheitsminister zur Prüfung des Antrages schreitet. Die Zeit spielt in diesem Falle eine große Rolle. So wird damit gerechnet, daß es vor der Bundestagswahl im September keine Veröffentlichung der neuen Richtlinien geben wird.

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