Psychologie

Der Placeboeffekt

Seit 40 Jahren wird der therapeutische Placeboeffekt als eine wissenschaftliche Tatsache angesehen, seit Henry K. Beecher 1955 seinen bahnbrechenden Aufsatz "The Powerful Placebo" publiziert hat. Es wird allgemein angenommen, daß allein die suggestive Verabreichung einer Zuckerpille bei einem Drittel aller Patienten den gewünschten therapeutischen Erfolg herbeiführen könne. In jüngster Zeit ist das angenommene Ausmaß noch weiter gewachsen, die Placebowirksamkeit wird nun auf durchschnittlich 70% bei fast allen Erkrankungen geschätzt. Der Placeboeffekt wird als "die häufigste und auch am besten untersuchte Arzneimittelwirkung" beschrieben. 800 Placeboarbeiten wurden nun dahingehend analysiert, ob, wie behauptet, eine therapeutische Wirkung der Placebogabe überzeugend demonstriert ist. Es zeigte sich ein überraschendes Ergebnis [43-45]: Im Gegensatz zu den Behauptungen enthielt keine einzige der analysierten Studien eine überzeugende Demonstration eines therapeutischen Placeboeffekts. Vielmehr gibt es eine Reihe von verschiedenen Faktoren, die Placeboeffekte vortäuschen können: Spontanverlauf der Erkrankung, Spontanschwankung der Symptome, "Regression to the mean", begleitende Therapiemaßnahmen, gravierende methodologische Mängel der Studien, irrelevante Prüfkriterien, Gefälligkeitsauskünfte, experimentelle Unterordnung, falsches Zitieren usw. Bisweilen muß dem angeblichen Placebo eine spezifische Wirksamkeit für die betreffende Indikation eingeräumt werden. Insgesamt sind die verbreiteten Literaturangaben zu Größe und Häufigkeit des Placeboeffekts unbegründet und in hohem Maße übertrieben, wenn nicht gänzlich falsch.

Eine kritische Evaluation

Heilende Lügen?

Etablierung des medizinischen Placebobegriffs


in scientific therapy" [15]. Hierdurch erhielt der Placeboeffekt schlagartig weltweite Beachtung: "A curious phenomenon occurred in 1946. The concept of placebo and the procedure of using it which had existed in medicine for centuries in a rather subdued fashion, suddenly burst into methodological and experimental prominence with the explosive brilliance of a supernova" [51].
Entscheidend etabliert wurde das Konzept des Placeboeffekts dann neun Jahre später, als Henry K. Beecher den aufsehenerregenden und weltberühmten Artikel "The Powerful Placebo" publizierte [2]. In diesem Aufsatz - noch heute der meistzitierte Beitrag zum Thema - hat Beecher erstmals den Placeboeffekt quantifiziert. Seine Aussage war, daß durchschnittlich 35% aller
Patienten allein mit einem Placebo zufriedenstellend therapiert werden können. Diese 35%-Placebo-Quote geistert seither als eine Quasi-Naturkonstante durch die wissenschaftliche Literatur. In jüngster Zeit wurde sie jedoch revidiert: Nicht nur 35% aller Patienten, sondern 70 bis 100% aller Patienten könnten durch Placebos zufriedenstellend therapiert oder sogar geheilt werden [6, 32, 75].

Rolle von Placebos in der Medizin


1.Die angeblich häufigen Placeboeffekte können - so wird angenommen - weitgehend jeden Therapieeffekt und auch jede Toxizität von Arzneimitteln imitieren. Es wurde deshalb gefordert, nicht zuletzt auch von Henry K. Beecher, daß Arzneimittelstudien obligatorisch in Form von Placebo-kontrollierten Studien durchgeführt werden sollen. Der wahre Arzneimitteleffekt ergebe sich dabei aus der Subtraktion von Arzneimitteleffekt minus Placeboeffekt. (Diese Subtraktions- oder umgekehrt Additionshypothese - daß sich nämlich der Arzneimitteleffekt zu dem unter Placebo beobachteten sonstigen Krankheitsverlauf schlicht addiert - wurde allerdings bereits mehrfach widerlegt und damit die Validität der Doppelblindstudie in Frage gestellt [40, 41, 46, 47, 48, 71]. Auch das ethische Dilemma der Placebokontrollen in klinischen Therapieprüfungen ist heute noch ungelöst und wird weiterhin heftig diskutiert [41, 64, 72]). Ursprünglich stammte das Konzept und die Durchführung von Placebokontrollen in Arzneimittelprüfungen von den Homöopathen (19. Jahrhundert, [42], S. 170).
2. Wegen der angeblich hohen Rate therapeutischer Placeboerfolge und der zugleich denkbaren Kostenersparnis wird diskutiert, Placebos vermehrt therapeutisch einzusetzen [11, 12].
3. Therapieerfolge, deren spezifisches Wirkprinzip nicht mit gängigen Konzepten erklärt werden kann (z.B. Besondere Therapieverfahren, Psychotherapien verschiedener Schulen u.v.a.m. [6, 22, 66]), werden oft als Placeboeffekte deklariert.

Zum Begriff des Placeboeffekts


Die unlösbaren logischen Schwierigkeiten in den Definitionsversuchen treten immer dann auf, wenn man versucht, den Placebobegriff - der klassisch das pharmakologische Scheinmedikament bezeichnet - auch auf
alle Psychotherapien, Kreativtherapien, therapeutischen Gespräche usw. auszudehnen. Hier zwischen aktiven und inerten (zwischen spezifischen und unspezifischen) Bestandteilen zu unterscheiden erweist sich als unmöglich. Es ergeben sich zahlreiche logische Widersprüche [8, 9, 10, 29, 30, 44, 49, 59, 66, 68, 69, 70].
Beschränkt man sich auf den pharmakologischen Placebobegriff - er ist auch Grundlage der von uns untersuchten Studien -, dann gelingt die Definition einigermaßen befriedigend. Ein Beispiel: "A placebo is a pharmacologically inactive substance that can have a therapeutic effect if administered to a patient who believes that he or she is receiving an effective treatment" [35].
Während die Definition von Placebo strittig ist, herrscht bei der Definition von Effekt mehr Einigkeit: Ein Placeboeffekt ist der (therapeutische) Effekt, den eine Placebobehandlung hervorruft; GŅtzsche sagt sogar "which has been demonstrated to be better than no intervention" [25].
Untersucht man nun aber, was tatsächlich den Angaben zum 30%igen, 70%igen oder 100%igen Placeboeffekt zugrunde liegt, so findet man alle möglichen Dinge, aber nicht das, was man laut Definition finden sollte, nämlich den Nachweis einer therapeutisch effektiven Placebobehandlung. Wir selbst haben eine Vielzahl von Publikationen, insgesamt über 800 Artikel, kritisch durchgesehen und hinsichtlich der Frage analysiert, ob in den betreffenden Studien tatsächlich, wie behauptet, therapeutische Placeboeffekte demonstriert wurden. Dafür wurde u.a. das komplette Quellenmaterial der bekanntesten und meistzitierten Angaben zu Existenz und Ausmaß von Placeboeffekten analysiert [2, 6, 19, 31, 36, 56, 58, 62, 75] sowie Recherchen zu speziellen Fragestellungen wie Konditionierung, Placebostudien mit unbehandelter Kontrollgruppe, Suggestionseffekte bei Asthma bronchiale durchgeführt [43, 44, 45].
Außer beim Asthma bronchiale haben wir nicht einen einzigen Fall gefunden, in dem ein therapeutischer Effekt der Placebogaben überzeugend demonstriert wurde. Im Gegenteil: Mit großer Plausibilität war in den betreffenden Studien kein Placeboeffekt aufgetreten [43, 44, 45]. Es handelte sich in der Hauptsache um placebokontrollierte Arzneimittelstudien, in denen die Placebowirkung gar nicht primärer Gegenstand der Untersuchung war und erst im Nachhinein in die Kontrollgruppe - die Placebogruppe - hineininterpretiert wurde. Dabei wurde nicht berücksichtigt, daß ein Krankheitsverlauf nicht nur durch eine Placebogabe, sondern auch durch eine Reihe weiterer Faktoren beeinflußt wird. Zudem kam es bei den Re-Interpretationen der Studien zu vielen methodologischen Fehlern. Es zeigte sich, daß in diesen Studien, wie auch in der sonstigen von
uns analysierten Literatur, die behaupteten Placeboeffekte durch verschiedene Faktoren vorgetäuscht waren [43, 44]. Die häufigsten Fehler seien im weiteren an Beispielen veranschaulicht:

Spontanheilung


Ein Beispiel: In der ersten von Beecher angeführten Studie wurden 110 Studenten mit einer gewöhnlichen Erkältung, die nach Aussage der Autoren mild und kurz verlief, mit einem Placebo behandelt. Innerhalb von 6 Tagen besserte sich das Befinden bei 35% dieser Studenten. Beecher interpretierte dies als Wirkung der Placebogabe [2]. Doch bereits der Autor der Originalpublikation nannte es eine Spontanverbesserung [17]. Er hatte sicherlich recht. Es ist selbstredend, daß bei einer milden Erkältung (bakterielle Superinfektionen waren ausgeschlossen) bei 35% der Probanden sich das Befinden innerhalb von 6 Tagen von selbst wieder bessert.
Bei vielen anderen Studien, die Beecher und auch andere anführen, z.B. zu postoperativen Schmerzen [3, 38, 39, 50], deckt sich die angegebene Placeborate genau mit der der spontanen Besserung [43].

Spontanschwankung

  • Es wird bei Angina pectoris eine 20%ige Besserung unter Placebo als Placeboeffekt bezeichnet [31, 36, 58] und dabei nicht erwähnt, daß in dieser betreffenden Studie sich 72% der Patienten in der Placebogruppe verschlechtert hatten [52].
  • Es wird ein 21%iger Placeboeffekt beim cerebralen Insult behauptet [31, 36, 58], da sich 21% der Patienten in der betreffenden Placebogruppe verbessert hatten. Nicht erwähnt wird hierbei, daß 53% der Patienten in der Placebogruppe starben [18]. Es ist aber die Besserung von 21% jener Patienten genausowenig auf die Wirkung von Placebos zurückzuführen wie der Tod von 53% der Patienten. (Hinzu kommt, daß alle Patienten intensivmedizinisch und physiotherapeutisch behandelt wurden.)
  • Bei Colon irritabile wird ein 56%iger Placeboeffekt genannt [31, 36, 58], da sich die Hälfte der Patienten der Placebogruppe gebessert hatten. Nicht erwähnt wird, daß sich die andere Hälfte verschlechtert hatte [54]. (Außerdem wurden die Patienten diätetisch behandelt.)
  • Besonders drastisch ist ein Beispiel zum Morbus Parkinson: Die Behauptung ist, daß 46% der Patienten allein mit einem Placebo zufriedenstellend behandelbar seien [31]. Die Fakten waren aber folgende: 18% der Patienten fühlten sich besser, 64% fühlten sich schlechter in der Placebogruppe, und die neurologische Untersuchung ergab in 6% eine Verbesserung, in 42% eine Verschlechterung und in 52% unveränderte Verläufe [37]. Hier wurden also nicht nur Verschlechterungen übergangen, sondern auch die Daten falsch wiedergegeben.

Regression to the mean


Patienten suchen oft den Arzt am Gipfelpunkt ihrer Beschwerden auf, so daß eine Behandlung, aber auch eine klinische Studie oft auf dem Höhepunkt der Beschwerden beginnt. In solchen Situationen ist schon rein statistisch die Wahrscheinlichkeit größer, daß die Beschwerden besser werden als daß sie weiter zunehmen. Dokumentierte Besserungen können also ein Regression to the mean widerspiegeln. Daß es sich bei dem sogenannten Placeboeffekt in der Hauptsache um einen solchen statistischen Artefakt handelt, wurde z.B. von McDonald et al. [55] vermutet.

Begleitende Therapiemaßnahmen


einer weiteren Studie, die Beecher zu Angina pectoris anführt [2], wurde ein Teil der Patienten in der Placebogruppe immerhin mit Glyceroltrinitrat behandelt [74]. Ein weiteres Beispiel ist die Metaanalyse Moermans über 31 placebokontrollierte Studien zur Cimetidinbehandlung des Ulcus duodeni et ventriculi, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden [56]. In diesen Studien variierten die Heilungsraten der Placebogruppen zwischen 10% und 90%, was den Anthropologen Moerman zu der Annahme veranlaßte, daß es soziokulturell bedingte große Schwankungen des Placeboeffekts gebe.
Allerdings wurde von Moerman nicht berücksichtigt, daß Ulcus-Heilungsraten von zusätzlichen Therapiebedingungen beeinflußt werden, z.B. von diätetischen Maßnahmen, Streßreduktion, Ausschalten von Noxen und anderen begleitenden Therapieumständen. In der Tat läßt sich den Daten der betreffenden Studien entnehmen, daß die Heilungsraten in den Placebogruppen davon abhingen, ob die Patienten ambulant oder stationär, ob sie 2 oder 4 bis 6 Wochen und ob sie mit oder ohne
Beratung zum Zigarettenkonsum und zu medikamentösen Noxen behandelt wurden.

Selektionseffekte


Mit dieser Art der Selektionierung läßt sich ein Placeboeffekt vortäuschen, der in Wirklichkeit keiner ist.

Irrelevante Prüfkriterien


Es wird behauptet, daß bei Multipler Sklerose 73% der Patienten allein durch ein Placebo erfolgreich behandelt wurden [31, 36, 58]. In der Originalpublikation [5] liest man jedoch, daß kein einziger Patient unter Placebo eine neurologische Verbesserung zeigte. Jedoch gaben 73% der Patienten eine subjektiv vermehrte Euphorie, Kraft und Beweglichkeit an (die objektiv nicht nachvollziehbar war). Nun ist aber, wie auch der Autor der Studie selbst betont, die Multiple Sklerose eine Erkrankung mit ausgeprägten Spontanschwankungen. Außerdem gehört die Euphorie zum Krankheitsbild der Multiplen Sklerose, weswegen schöngefärbte Auskünfte der Patienten typisch für die Erkrankung und deshalb keineswegs als Prüfkriterium geeignet sind.
Ein weiteres Beispiel ist die Angabe eines 60%igen Placeboeffekts bei arterieller Hypertonie [31, 36, 58]. In der entsprechenden Studie [14] wurden die Patienten zunächst mit dem nebenwirkungsreichen Veratrum behandelt. Fast zwei Drittel der Patienten mußten die Veratrumbehandlung wegen Intoxikation abbrechen; sie wurden auf Placebo umgestellt. Während dieser anschließenden Placebobehandlung verschwanden dann die Vergiftungserscheinungen wieder. Der Blutdruck aber änderte sich unter Placebo in keinem einzigen Fall. Zwar gaben 60% der Patienten eine subjektive Besserung der Beschwerden an, doch diese subjektiven Befindensbesserungen sind am ehesten auf die nachlassenden toxischen Erscheinungen des Veratrum zurückzuführen. Es wurde also der angebliche 60%ige Placeboeffekt bei Hypertonie vorgetäuscht durch ein falsches Prüfkriterium. Auf diese Weise hat man hier die Illusion eines eindrucksvollen Placeboeffektes geschaffen, obwohl sich in der Erkrankung überhaupt nichts verändert hatte.

Das Placebo ist kein Placebo


Häufig findet man in der Placeboliteratur, daß die vermeintliche Placebotherapie spezifisch wirksame Komponenten für die behandelte oder untersuchte Krankheitsentität enthält. Auch hierdurch werden Placeboeffekte vorgetäuscht. Hierfür ein Beispiel:
Vor kurzem wurde im British Medical Journal versucht, den "wahren" Placeboeffekt anhand von Studien zu bestimmen, in denen placebobehandelte Patienten mit unbehandelten Patienten verglichen worden waren [19]. Vier solcher Studien zeigten angeblich Placeboeffekte. Die beiden besten Studien waren zwei fünfarmige Studien zur Ultraschallbehandlung bei postoperativer Schwellung nach Weisheitszahnextraktion. Dabei zeigte die Placebobehandlung - nämlich Ultraschall mit ausgeschaltetem Apparat - bessere Ergebnisse als die Nichtbehandlung [33, 34]. Es wurde deshalb von einem "echten" und "substantiellen" Placeboeffekt gespochen [19]. Jedoch wurde nicht mitberücksichtigt, daß auch in den Placebogruppen ein Ultraschall-Gel aufgetragen wurde. Bekanntlich aber kühlt ein kaltes Gel, und lokale Kühlung ist bei postoperativer Schwellung eine spezifische Behandlung und keineswegs ein Placebo! Deswegen ist auch dieser "echte" und "substantielle" Placeboeffekt anzuzweifeln. Statt eines Placeboeffekts wurde hier mit großer Wahrscheinlichkeit der Effekt der lokalen Kühlung demonstriert.

Gefälligkeitsauskünfte und experimentelle Unterordnung


Eine entscheidende Frage in der Placeboforschung ist deshalb: Betrifft der Effekt der Placebogabe die eigentliche Symptomatik der Patienten oder lediglich die Kommunikationssphäre? Es ist evident, daß der verbale Bereich der Kommunikation leichter zu beinflussen ist als der reale Bereich der echten Symptomatik [44].

Falsches Zitieren und Zitierketten


Oft entstehen auch "Zitierketten", indem voneinander abgeschrieben wird. Verfolgt man die Zitierketten bis zu ihrem Ursprung zurück, verlieren nicht wenige "wissenschaftliche Fakten" ihre Substanz. Ein Beispiel:
Netter schreibt, daß in einer Studie 67% der Patienten mit Schmerzen erfolgreich durch ein Placebo behandelt wurden [58]. Netter bezieht sich diesbezüglich auf Janke [36]. Janke wiederum bezieht sich auf Haas [31]. Haas bezieht sich auf einen Artikel eines gewissen Kjaer-Larsen, der im Journal of the American Medical Association publiziert wurde. Dieser "Artikel" ist ein kleiner Brief, ein "foreign letter" [24], der sich wiederum auf einen nicht näher identifizierten Editor bezieht, der irgendwo gesagt haben solle, daß jener gewisse Kjaer-Larsen berichtet haben solle, daß sich 67% der Patienten unter einem Placebo gebessert haben sollen. Wo man jedoch die Quelle dieser Kenntnis nachlesen könne, ist in der ganzen Zitierkette nicht erwähnt.
So könnten weitere vielzitierte angebliche Placeboeffekte genannt werden, die irgendwo auf dem Weg zwischen Originalstudie und endgültiger Behauptung durch Phantasie und Dichtung entstanden sind.

Placebonebenwirkungen


1.Die Angabe der toxischen Placeboeffekte sind häufig eine Folge des o.g. Zitiereffekts.
2.Teilweise wird der Eindruck von Placebonebenwirkungen auch folgendermaßen hervorgerufen: Bestimmte Beschwerden werden mit einem Placebo behandelt, und dann werden eben diese Beschwerden als Nebenwirkung der Placebobehandlung angegeben. Viel wahrscheinlicher ist hier allerdings, daß in diesen Fällen die Placebobehandlung nicht erfolgreich war und die Beschwerden einfach persistierten.
3.Ferner gibt es viele Symptome, die im Alltag oft unbeachtet bleiben, aber im Rahmen einer Studie dokumentiert werden und dann als Placebonebenwirkungen fehlgedeutet werden [28, 61]. So wurden gesunde junge Probanden anhand einer Liste von 25 Symptomen gefragt, ob sie eines oder mehrere dieser Symptome während der letzten drei Tage gehabt hätten. Das erstaunliche Ergebnis war, daß nur 19% der über 400 gesunden jungen Leute ohne Symptome gewesen waren. 30% hatten sogar sechs oder mehr Symptome verspürt [61].

Schlußfolgerungen


Asthma bronchiale ist die einzige Erkrankung, zu der wir in bestimmten Fällen überzeugende Demonstrationen finden konnten, daß gezielte Suggestion, verbunden mit Placebogaben, Symptome provozieren wie auch verbessern kann. Wahrscheinlich aber handelt es sich hier um suggestive Interventionen, die spezifisch in die Streßkomponenten der Pathogenese akuter asthmatischer Beschwerden
eingreifen [44].
Zu postoperativen Schmerzen wurde kürzlich eine Studie publiziert, die von guter methodischer Qualität ist und vielleicht einen kurzzeitigen Effekt auf Schmerzen demonstriert [4]. Auch bei dieser Studie bleiben aber noch viele Fragen offen, insbesondere hinsichtlich experimenteller Unterordnung und klinischer Relevanz.
Darüber hinaus brachte unsere Analyse folgende Ergebnisse:
1. Daß eine Placebobehandlung therapeutische Effekte haben kann, ist wissenschaftlich nicht erwiesen.
2. Die angeblichen hohen Placeboeffekte werden durch eine Vielzahl verschiedener Faktoren vorgetäuscht, meist durch methodologische Fahrlässigkeiten.
3. Die verbreiteten Angaben zu Größe und Häufigkeit von Placeboeffekten erweisen sich als unbegründet, in hohem Maße übertrieben, wenn nicht gänzlich falsch.
In der Placebodiskussion werden immer wieder Beispiele fremder Kulturkreise oder pharmakologisch/physiologisch nicht erklärbare Therapieerfolge (z.B. Homöopathie, Psychotherapien, Psychosomatik, Kreativtherapien) als Beleg der Placebowirksamkeit angeführt. Abgesehen davon, daß hierbei das Entscheidende fehlt, nämlich die Applikation eines Placebos, kann von solchen Therapieerfolgen nicht geschlossen werden, daß die suggestive Applikation einer Placebopille ebenso erfolgreich sein müsse. Zu Recht kritisiert deshalb Borkovec diese Gewohnheit, alles Unverstandene als "Placebo" zu klassifizieren: "In some circumstances and in the absence of existing theories, we certainly may choose to look up from our bewildered mental state and say the effect was due to "placebo". But we probably would benefit from avoiding a feeling of satisfaction from so doing. Our real task is to continue exploring effects that we do not understand" [7]. Von Gunver Sophia Kienle,Freiburg

Literatur


[1]Barber, T. X.: The effects of "hypnosis" on pain. Psychosomat. Med. 25, 303-333 (1963).
[2]Beecher, H. K.: The powerful placebo. J. Am. Med. Assoc. 159, 1602-1606 (1955).
[3]Beecher, H. K., et al.: The effectiveness of oral analgesics (morphine, codeine, acetylsalicylic acid) and the problem of placebo "reactors" and "non-reactors". J. Pharmacol. Exp. Ther. 109, 393-400 (1953).
[4]Benedetti, F.: The opposite effects of the opiate antagonist naloxone and the choleocystokinin antagonist proglumide on placebo analgesia. Pain 64, 535-543 (1996).
[5]Blomberg, L. H.: Treatment of disseminated sclerosis with active and inactive drugs. Lancet 1, 431-432 (1957).
[6]Bodem, S. H.: Bedeutung der Placebowirkung in der praktischen Arzneitherapie. Pharm. Ztg. 139, 4493-4503 (1994).
[7]Borkovec, T. D.: Placebo: Defining the Unknown. In: Placebo - Theory, Research, and Mechanisms (L. White et al., eds.). New York/London 1985.
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[9]Brody, H.: The lie that heals: The ethics of giving placebos. Ann. Intern. Med. 97, 112-118 (1982).
[10]Brody, H.: Placebo effect: an examination of Grünbaums definition. In: Placebo - Theory, Research, and Mechanisms (L. White et al., eds.). New York/London 1985.
[11]Brown, W. A.: Placebo as a Treatment for
Depression. Neuropsychopharmacology 10, 265-269 (1994).
[12]Chaput de Saintonge, D. M., et al.: Harnessing placebo effects in health care. Lancet 344, 995-998 (1994).
[13]Clark, W. C.: Sensory-decision theory analysis of the effect on the criterion for pain and thermal sensitivity. J. Abnorm. Psych

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