Bericht

Zertifikatskurs "Clinical Pharmacy" in Tübingen: Ein neuer Baustein der Klinisc

Im Januar 1998 ist der Zertifikatskurs "Clinical Pharmacy" am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen erfolgreich abgeschlossen worden. Durch die Verbindung von Universität und Krankenhauspraxis konnten in diesem Kurs der pharmazeutischen Weiterbildung neue Impulse gegeben werden. Die Kooperation mit der School of Pharmacy der Universität London ist ein erster Schritt zu einer europaweiten Postgraduiertenausbildung in Klinischer Pharmazie. 20 Apotheker haben an diesem Kurs teilgenommen. Nach neuntägigem Theorieunterricht haben sie, auf Stationen verschiedener Krankenhäuser, zwei Wochen lang Visiten begleitet, Patientenprofile erstellt und ihre Analysen dem Fachpersonal des Krankenhauses vorgetragen. Mit der erfolgreich absolvierten schriftlichen Abschlußprüfung halten 17 von ihnen inzwischen das Zertifikat in Händen. Im Herbst diesen Jahres wird der Kurs erneut durchgeführt werden.

Hintergrund des Zertifikatskurses Angewandte Klinische Pharmazie bedient sich der grundlegenden Ideen, Arbeitsweisen und Ziele des Pharmaceutical-Care-Konzepts. Der Apotheker lernt in Zusammenarbeit mit Ärzten, Pflegekräften und Patienten, arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen und zu lösen und damit Risiken der Pharmakotherapie zu minimieren. Das Monitoring einer ärztlichen Verordnung soll den Erfolg der Arzneimitteltherapie für den Patienten sicherstellen. Großbritannien spielt in der Klinischen Pharmazie und in der Ausbildung klinischer Pharmazeuten schon lange eine Vorreiterrolle in Europa. Klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen am einzelnen Patienten sind etablierter Bestandteil der Arbeit englischer Krankenhausapotheker. Mit Hilfe von "Therapiestandards" wird eine sichere, wirksame, rational begründete und wirtschaftlich vertretbare Arzneimitteltherapie erreicht. Um Apothekern das dafür notwendige Wissen zu vermitteln, sind neue Ausbildungsgänge notwendig. Die School of Pharmacy der Universität London bietet Postgraduiertenprogramme im Fach "Clinical Pharmacy" an, die eine flexible, berufsbegleitende Weiterbildung in mehreren Schritten ermöglichen. Neben dem mehrwöchigen "Certificate Course" werden ein mehrmonatiger "Diploma Course" und ein weiterführender Kurs zum "Master of Science" angeboten. Inzwischen haben über 500 Apotheker diese Kurse absolviert, darunter etwa 15 Kollegen aus Deutschland. Die akademischen Lehrer dieser Kurse, insbesondere Dr. Soraya Dhillon als Kursleiterin und Andrzej Kostrzewski als "Teaching Practitioner", wurden wiederholt als Referenten auf Weiterbildungsveranstaltungen der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg (LAKBW) tätig. Mit der Unterstützung der School of Pharmacy wird inzwischen auch an der Universität von Barcelona der Zertifikatskurs und das Diplom angeboten. Dr. Rüdiger Kilian und Dr. Jürgen-Michael Sand von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie (DGKPha) versuchten seit einigen Jahren, die Einrichtung ähnlicher Kurse in Deutschland zu erreichen. Auf eine von Dr. Gerald Friderich im April 1996 initiierte Umfrage der LAKBW meldeten sich über 40 Teilnahmeinteressierte und viele zukünftige Tutoren, die eine Betreuung der Teilnehmer im Krankenhaus anboten. Die DGKPha konnte viele namhafte Arzneimittelhersteller als Sponsoren gewinnen, und auch die LAKBW gewährte einen Zuschuß. Offizielle Träger des Kurses wurden die beiden Pharmazeutischen Institute der Universitäten London und Tübingen sowie die DGKPha und die LAKBW. Von der LAKBW wird das Zertifikat mit 40 Stunden für die Seminare 3 und 6 in der Weiterbildung zum Fachapotheker für Klinische Pharmazie anerkannt. Prof. Dr. Lutz Heide vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen übernahm die Rolle des Kursleiters, und mit Hilfe der London School of Pharmacy erarbeitete Apotheker Bernhard Schmid, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Pharmazeutischen Biologie in Tübingen, als Kursorganisator das detaillierte Programm. Die 20 Teilnehmerplätze waren innerhalb kürzester Zeit vergeben.

Das Kurskonzept Der Zertifikatskurs soll theoretische Grundlagen praxisorientierter klinisch-pharmazeutischer Tätigkeiten vermitteln und in einem praktischen Teil die Anwendung des Gelernten im Krankenhaus ermöglichen. Das Ziel ist, die Teilnehmer zu befähigen, das Gelernte in ihre eigene berufliche Praxis umzusetzen (siehe Kasten "Ziele"). Im theoretischen Teil werden vor allem die Interpretation von Laborwerten, die angewandte Pharmakokinetik, das Therapiemonitoring und die Arzneimittelanwendung behandelt (siehe Kasten "Inhalte"). Der praktische Teil des Kurses in einem Krankenhaus unter Anleitung eines Tutors ermöglicht es, dieses Wissen direkt in der Praxis zu erproben. Die Referenten sind neben Ärzten und Hochschuldozenten vor allem Krankenhausapotheker und können aufgrund ihrer Erfahrungen die Aspekte der Klinischen Pharmazie praxisrelevant vermitteln.

Der Kurs 1997 Der theoretische Teil des ersten Zertifikatskurses begann Ende September 1997. Teilnehmer waren 13 Krankenhausapotheker, 5 Kollegen aus der Offizin und 2 frisch promovierte Hochschulabsolventen. Zu Beginn wurden die Teilnehmer von Prof. Dr. H. P. T. Ammon, Präsident der DPhG und Direktor des Pharmazeutischen Institutes der Universität Tübingen, begrüßt. Dr. Hehenberger von der DGKPha erläuterte die Grundprinzipien und die Geschichte der Klinischen Pharmazie, und in den folgenden Tagen unterrichteten die Fachreferenten konzentriert die wichtigsten Inhalte des Faches. Die deutschen Referenten wurden dabei durch Dr. Soraya Dhillon und Andrzej Kostrzewski aus London unterstützt, die den Teilnehmern Beispiele von patientenbezogenen Arzneimittelproblemen sowie entsprechende Lösungsstrategien aus Großbritannien nahebrachten. Dabei wurde zwischen Vorträgen, Gruppenarbeit und praktischen Demonstrationen gewechselt. Der theoretische Teil wurde mit einer Probeklausur abgeschlossen, die auf den Inhalt und Stil der Abschlußklausur vorbereiten sollte. Frau Dr. Dhillon und Herr Kostrzewski führten zusätzlich ein Training mit denjenigen Krankenhausapothekern durch, die als Tutoren die Betreuung der Teilnehmer während des praktischen Kursteils übernehmen sollten.

Der praktische Kursteil Jedem Kursteilnehmer wurde von seinem Tutor, nach Absprache mit der Verwaltungsleitung und dem jeweiligen Chefarzt, eine Station zugewiesen. Innerhalb von zwei Wochen sollte der Teilnehmer, unter Anleitung des Tutors, die tägliche Stationsroutine und das dort tätige medizinische und pflegerische Personal kennenlernen. Eine regelmäßige Mitarbeit an Ärztebesprechungen und Visiten war gefordert. In enger Absprache mit dem Stationsarzt wurden Patienten ausgewählt, bei denen aufgrund der Vielzahl der Medikamente, aufgrund von Begleiterkrankungen oder wegen spezieller Therapieprobleme eine Überwachung der Medikation sinnvoll erschien. Durch das Studium der Patientenakte, Kontakte mit Ärzten und Pflegepersonal, Anregungen des Tutors und durch Literaturrecherchen arbeitete sich der Teilnehmer in die medizinischen und pharmazeutischen Probleme "seines" Patienten ein. Nach dem SOAP-Schema wurden mögliche Komplikationen der medikamentösen Therapie erfaßt und ein Plan für eine Therapieoptimierung am Patienten erstellt. In einem Kurstagebuch wurden die geleisteten Interventionen dokumentiert. Am Ende des zweiwöchigen Praktikums präsentierte der Teilnehmer einen Fallbericht vor interessierten Ärzten und Apothekern. Während des Praktikums auf Station wurden die begleiteten Stationsbesuche, die zu erstellenden Patientenprofile und die Patientenpräsentation von dem betreuenden Tutor bewertet. Ziel dieser Bewertungen ist es, Stärken und Schwächen des Teilnehmers herauszufinden. Teilnehmer und Tutor besprechen gemeinsam notwendige Maßnahmen zur Beseitigung von Wissenslücken oder Verhaltensdefiziten; Lernerfolge und Fortschritte werden aufgezeigt und bestärkt.

Abschlußklausur Im Januar 1998 wurde eine deutschsprachige Abschlußklausur durchgeführt. Grundlagenwissen wurde mit Hilfe von Multiple-Choice-Fragen der London School of Pharmacy, das tiefere Verständnis mit Fallstudien von Patienten abgefragt. Der Inhalt der Klausurfragen entspricht dem Standard, der von der London School of Pharmacy gefordert wird. Zur Gewährleistung eines mit England vergleichbaren Niveaus werden sowohl die Fragen als auch die Klausurkorrektur und -benotung erst nach Prüfung durch Dr. Soraya Dhillon freigegeben. Erfreulicherweise beendeten alle Teilnehmer des Kurses 1997 den praktischen Teil mit positiven Bewertungen ihrer Tutoren. Die von den Teilnehmern als schwer eingestufte Abschlußklausur bestanden drei Prüflinge (15%) nicht. Sie erhalten die Möglichkeit, mit dem diesjährigen Kurs die Klausur zu wiederholen und bei Bestehen das Zertifikat zu bekommen.

Die Kursevaluation Es wurden nicht nur die Teilnehmer bewertet und geprüft, denn diese hatten umgekehrt die Gelegenheit, ihre Meinung über Inhalt und Ablauf des Kurses mit Hilfe von anonymisierten Bewertungs- und Fragebogen zu äußern. Frau Dr. Vasel-Biergans von der Krankenhausapotheke des Diakonissenkrankenhauses Stuttgart führte im Rahmen ihres Diploms in Pharmacy Teaching an der Universität Leeds eine Evaluation des Kurses durch. Vor Beginn des Kurses wurden die Teilnehmer zu ihrer Vorbildung, ihren Erfahrungen in Teilbereichen der Klinischen Pharmazie, ihrer Motivation zum Kursbesuch, ihren bevorzugten Lernstilen und ihren Erwartungen befragt. Die Referenten selbst wurden von den Teilnehmern während des theoretischen Teils anhand von Beurteilungsbogen bewertet. Kopien dieser Bogen und eine graphische Darstellung der Beurteilung des eigenen Seminarblocks im Vergleich zu den anderen Seminarblöcken wurde den Referenten nach Ende des Kurses zur Verfügung gestellt. Im Fragebogen zur Endbewertung des theoretischen Blocks gaben 95% der Teilnehmer an, viel beziehungsweise sehr viel Neues erfahren zu haben. Die Relevanz der Inhalte für die zukünftige Praxis schätzten 60% hoch beziehungsweise sehr hoch ein, 35% als brauchbar, nur 5% als gering. Besonders gute Noten erhielten Referenten, die es verstanden, die Theorie praxisnah zu vermitteln, und die Teilnehmer durch Aufgabenstellungen in Kleingruppen motivierten, sich von Passivhörern zu aktiv Lernenden zu wandeln. In der Endbewertung des praktischen Teils im Krankenhaus kam klar zum Ausdruck, daß die Arbeitsbelastung zur Erfüllung der Aufgaben sehr hoch war. Abend-, Nacht- und Wochenendstunden wurden von den Teilnehmern genutzt, um die Patientenprofile auszuarbeiten und den Vortrag vorzubereiten, der in der zweiten Woche gehalten werden mußte. Trotz des hohen Aufwandes äußerten sich die Teilnehmer sehr zufrieden über den Ablauf des praktischen Teils. Die Erfahrungen auf Station wurden als sehr wertvoll eingestuft. Besonders häufig wurde eine starke Motivationssteigerung angegeben, sich künftig in patientennaher Klinischer Pharmazie zu engagieren.

Der Kurs 1998 Als Ergebnis der Evaluation des vergangenen Kurses wird der theoretische Teil zukünftig auf 10 Tage verlängert, die Reihenfolge der Seminare teilweise geändert, und die Schwerpunkte werden noch mehr in Richtung Praxisbezug und Anwendbarkeit verschoben. Die Teilnehmer bekommen eine größere Wahlmöglichkeit, was die Fachrichtung der Stationen des praktischen Teils angeht, und mehr Zeit, um sich auf die Abschlußklausur vorzubereiten. Die Trennung von theoretischem und praktischem Teil hat sich bewährt und wird beibehalten. Der Kurs 1998 ist ausgebucht. Eine Voranmeldung für die Kurse 1999 und später ist möglich. Interessenten, die sich vorangemeldet haben, werden bei der Vergabe der Plätze bevorzugt. Durch eine bevorzugte Vergabe von Plätzen an mögliche, qualifizierte Tutoren erhoffen sich die Organisatoren einen Multiplikatoreneffekt, der mit der Zeit ein wachsendes Ausbildungsangebot ermöglicht. Der Kurs finanziert sich neben den Teilnehmerbeiträgen zu einem großen Teil aus Spendengeldern. Deshalb danken die Organisatoren der DGKPha, der LAKBW sowie den Firmen Bayer, Hoechst, Fresenius, Merck, Essex, ribosepharm, Pfizer, Boehringer Mannheim, Mundipharma, Rhône-Poulenc Rorer, Sandoz, Takeda, Pharmacia, Hoffmann-La Roche, Knoll, Pohl-Boskamp und Thomae, die mit ihren Spenden den Start des Kurses ermöglicht haben. Mit einem Teilnehmerbeitrag von 1500 DM wird sich der Kurs in diesem Jahr bereits zu über 50% selbst tragen, trotzdem wird auch in den nächsten Jahren eine Unterstützung durch Spendengelder notwendig sein, um die direkten Kursausgaben für Referenten und Tutoren sowie die Arbeit des Kurssekretariats abzudecken.

Ausblick Zukünftig könnten die Organisatoren neben der Durchführung des Zertifikatskurses auch eigenständige wissenschaftliche Arbeiten vergeben. Entsprechend dem englischen Vorbild, aber an die deutschen Verhältnisse angepaßt, ließen sich so aufeinander aufbauende, praxisorientierte Zusatzqualifikationen etablieren, die berufsbegleitend erworben werden könnten. Mit solchen tiefer gehenden Ausbildungsangeboten, die gleichzeitig zu einer eigenständigen Erforschung und theoretische Untermauerung des Gebietes führen würden, kann mit der Zeit ein Anschluß an das europäische Niveau der Klinischen Pharmazie erreicht werden.

Inhalte des Tübinger Zertifikatskurses "Clinical Pharmacy": Theoretischer Teil § Prinzipien der Klinischen Pharmazie, § Medizinische Terminologie und Dokumentation § Pharmakokinetik und TDM § Grundlagen von Labordaten § Arzneimittelinformation § Arzneimittelwechselwirkungen § Beispiele für Therapiebeobachtung und Arzneimittelanwendung

Praktischer Teil § Kennenlernen des Stationsablaufs § Kommunikation mit Stationspersonal § Begleitete Teilnahme an ärztlichen Visiten und Ärztebesprechungen § Erstellen von Patientenprofilen § Durchführung einer Patientenpräsentation § Führen eines Kurstagebuches § Kontinuierliche Evaluierung anhand von Checklisten durch den Tutor § Eigenverantwortliches Lernen

Ziele des Tübinger Zertifikatskurses "Clinical Pharmacy": Nach Abschluß des Kurses sollte der Teilnehmer in der Lage sein: § wesentliche Begriffe der medizinischen Terminologie zu erklären und anzuwenden § die Arzneimitteltherapie anhand wichtiger klinischer Laborwerte zu überprüfen § ärztliche Verschreibungen am Patienten kritisch zu überwachen § mögliche Probleme der medikamentösen Therapie, wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Interaktionen und Nebenwirkungen zu erkennen oder vorherzusagen § mit Ärzten und Pflegekräften zu kommunizieren § eigene Aktivitäten kritisch zu überwachen und zu bewerten

Für die Verfasser: Prof. Dr. Lutz Heide, Pharmazeutisches Institut, Auf der Morgenstelle 8, 72076 Tübingen

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