Arzneimittel und Therapie

Psychopharmaka: Schizophrenie läßt sich behandeln

Das atypische Antipsychotikum Amisulprid ist seit etwa zehn Jahren in Frankreich zur Behandlung schizophrener Patienten zugelassen. Amisulprid wirkt zweifach: In hoher Dosierung bessert es die Positiv- und die sekundäre Negativsymptomatik der Schizophrenie, in niedriger Dosierung die primäre Negativsymptomatik. Nach Angaben des Herstellers Synthélabo Arzneimittel, Berlin, soll Amisulprid Ende dieses Jahres auch in Deutschland erhältlich sein.

Was ist Schizophrenie? Die Schizophrenie ist eine psychische Störung, an der etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet. Drei Viertel der Schizophreniepatienten erkranken bereits vor dem 25. Lebensjahr. Die Krankheit verläuft meist chronisch; nur ein Fünftel macht lediglich eine einmalige psychische Episode durch. Die übrigen erleiden unterschiedlich oft Rückfälle. Einige erholen sich nicht von der ersten Krankheitsepisode und leiden ihr ganzes Leben lang.

Positiv- und Negativsymptomatik Der schizophrene Patient nimmt seine physische Umgebung verändert oder verzerrt wahr. Die einen glauben zum Beispiel, bestimmte Dinge zu sehen und Stimmen zu hören, die in Wirklichkeit nicht existieren. Andere wiederum fühlen sich grundlos bedroht oder verfolgt. Diese Wahnvorstellungen, Halluzinationen und paranoiden Erlebnisse faßt man unter der Bezeichnung Positivsymptomatik zusammen. Aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmungsfähigkeit haben die meisten schizophrenen Patienten Schwierigkeiten, die Spielregeln der Gesellschaft einzuhalten. Viele sind so sehr mit sich beschäftigt, daß sie keiner geregelten Arbeit nachgehen können und sich allmählich aus ihren sozialen Bindungen zurückziehen. Die Wahrnehmung "innerer Stimmen" führt außerdem dazu, daß der schizophrene Patient häufig im Gespräch stockt und sich schwer ausdrücken kann. Wenn gesunde Menschen auf dieses Verhalten mit Unverständnis reagieren, werden viele schizophrene Patienten ungehalten, zornig und aggressiv. Alle diese Symptome stellen einen Verlust an "normalen Verhaltensfunktionen" dar und heißen deshalb Negativsymptome. Sind sie Folge der Schizophrenie und entwickeln sich erst nach einiger Zeit, spricht man von sekundärer Negativsymptomatik; entstehen sie sofort beim Ausbruch der Krankheit und gehören zur Pathophysiologie, spricht man von primärer Negativsymptomatik.

Ist Dopamin schuld? Das dopaminerge System ist das wichtigste Angriffsziel der Pharmakotherapie der Schizophrenie. Bereits 1963 postulierte man, Schizophrenien liege eine Hyperaktivität dopaminerger Neuronen zugrunde. Zwei Beobachtungen führten zu dieser Hypothese: Erstens können Dopaminagonisten wie Amphetamine schizophrene Zustände hervorrufen. Und zweitens sind Antipsychotika wirksam, weil sie Dopaminrezeptoren, vor allem D2-Rezeptoren, blockieren. Allerdings helfen die klassische Antipsychotika wie Haloperidol nur bei der Positivsymptomatik der Schizophrenie, nicht aber bei der Negativsymptomatik. Ein weiterer Nachteil dieser Stoffe ist, daß sie extrapyramidal-motorische Störungen verursachen. Diese parkinsonähnlichen Symptome (Rigor, Tremor, Akinesie) sind häufig die Ursache dafür, daß schizophrene Patienten ihre Medikamente absetzen. Aus diesem Grund sind gut verträgliche Antipsychotika erwünscht, die nicht nur gegen die Positivsymptomatik, sondern auch gegen die Negativsymptomatik wirken. Diese Forderung trifft auf das atypische Neuroleptikum Amisulprid zu.

Duale Wirkung je nach Dosierung Das substituierte Benzoesäureamid Amisulprid wirkt zweifach: In hoher Dosierung (400 bis 800 mg täglich) hemmt es selektiv die postsynaptischen Dopaminrezeptoren D2 und D3. Im Gegensatz zu anderen atypischen Antipsychotika besitzt Amisulprid keine Affinität zu Serotonin-, Noradrenalin-, Histamin- und Acetylcholinrezeptoren. Amisulprid hemmt die Dopaminrezeptoren D2 und D3 bevorzugt im limbischen System. Diese Selektivität erklärt, warum unter der Therapie nahezu keine extrapyramidal-motorischen Störungen beobachtet werden. Diese würden dann verstärkt auftreten, wenn Dopaminrezeptoren im nigrostriatalen System blockiert würden, zu denen Amisulprid jedoch keine Affinität zeigt. In hohen Dosen wirkt Amisulprid genauso gut wie andere moderne atypische Antipsychotika sowohl gegen die Positiv- als auch gegen die sekundäre Negativsymptomatik der Schizophrenie. Als Nebenwirkung kann es zu einem Anstieg des Prolaktinspiegels kommen, da wegen der Dopaminrezeptorblockade die Hemmung der Prolaktinfreisetzung durch Dopamin aufgehoben wird. Das kann bei Männern Gynäkomastie, Galaktorrhö sowie Libido- und Potenzstörungen zur Folge haben, bei Frauen vor allem Störungen des Menstruationszyklus.

Auch bei primärer Negativsymptomatik wirksam Im Gegensatz zu anderen Antipsychotika wirkt Amisulprid in niedriger Dosierung (optimale Dosis: 100 mg täglich) gegen die primäre Negativsymptomatik der Schizophrenie. Man erklärt sich das folgendermaßen: Die primäre Negativsymptomatik soll nicht durch einen Überschuß an Dopamin, sondern durch einen Dopaminmangel gekennzeichnet sein. Und dieser Mangel kann durch Amisulprid in niedriger Dosierung behoben werden: Amisulprid blockiert in diesem Fall nicht die postsynaptischen Dopaminrezeptoren D2 und D3, sondern die präsynaptischen D2- und D3-Autorezeptoren, weil die Substanz zu letzteren eine viel höhere Affinität besitzt. Diese Autorezeptoren dienen der negativen Rückkoppelung. Werden die Autorezeptoren durch Dopamin stimuliert, wird die Freisetzung von Dopamin in den synaptischen Spalt gestoppt. Eine Blockade der Autorezeptoren durch Amisulprid führt hingegen dazu, daß die negative Rückkoppelung aufgehoben wird. Dopamin wird vermehrt in den synaptischen Spalt freigesetzt. Voraussetzung dieses Effekts ist, daß Amisulprid in niedriger Dosierung eingenommen wird. In höherer Dosierung würde Amisulprid nämlich zusätzlich die postsynaptischen Dopaminrezeptoren blockieren, insgesamt die Wirkung des Dopamins herabsetzen und antipsychotisch wirken. Die Bedeutung von Amisulprid für schizophrene Patienten mit prädominanter primärer Negativsymptomatik wurde in drei doppelblinden, plazebokontrollierten Studien sowie durch die langjährige Therapieerfahrung in Frankreich unter Beweis gestellt.

Quelle Prof. Dr. Hanns Hippius, München, Prof. Dr. Hanfried Helmchen, Berlin, Dr. David Sanger, Synthélabo Bagneux/Frankreich, Prof. Dr. Otto Benkert, Mainz, PD Dr. Norbert Müller, München, Dr. Jean-Marie Vanelle, Paris, Symposium "Amisulprid - Neue Strategien für die Behandlung schizophrener Patienten", Berlin, 16. Mai 1998, veranstaltet von Synthélabo, Berlin. Michael Stein, München

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.