Arzneimittel und Therapie

Pharmaforschung bei Bayer: Zwei Dutzend Wirkstoffe in der Pipeline

In drei großen Forschungszentren - Wuppertal, West Haven (USA) und Kyoto (Japan) - sowie in kleineren Forschungseinheiten sucht Bayer nach neuen Wirkstoffen für bisher nicht oder schlecht behandelbare Erkrankungen. Dabei werden modernste Technologien eingesetzt. Die Ergebnisse sind beachtlich: Rund 25 Substanzen sind in der Entwicklung, manche stehen kurz vor der Marktreife.

Die Pharmaforschung bei Bayer konzentriert sich auf 15 Indikationen in sieben Therapiegebieten. Ein Schwerpunkt sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daneben wird an Arzneistoffen für ZNS-Erkrankungen, Infektionskrankheiten, Atemwegserkrankungen, Krebs, Knochen- und Stoffwechselerkrankungen gearbeitet. Die Entwicklungspipeline ist zur Zeit gut gefüllt: Etwa 25 Wirkstoffe befinden sich in verschiedensten Stadien der präklinischen oder klinischen Entwicklung.

Lipidsenker Cerivastatin Der Lipidsenker Cerivastatin (Lipobay®, Baycol®) hat die Pipeline bereits verlassen; seit September 1997 ist Cerivastatin in einer Tagesdosis von 0,3 mg zur Senkung erhöhter Blutfettwerte auf dem Markt. In dieser Dosis senkt Cerivastatin den LDL-Cholesterinwert durchschnittlich um über 30% und erhöht den HDL-Cholesterinwert um durchschnittlich 8%. Die Wirkung setzt rasch ein und erreicht nach drei bis vier Wochen ihr Maximum. Demnächst soll auch für die 0,4-mg-Dosierung, die ebenfalls gut verträglich ist und noch stärker wirkt, die Zulassung beantragt werden.

Metrifonat gegen die Alzheimer-Demenz Auf dem Gebiet der ZNS-Erkrankungen hat Bayer den Acetylcholinesterase-Hemmer Metrifonat für die symptomatische Behandlung der Alzheimer-Demenz entwickelt. (Die Substanz wurde bisher als Chemotherapeutikum gegen die Bilharziose eingesetzt.) Für Metrifonat läuft ein zentrales europäisches Zulassungsverfahren; erste Zulassungen könnten noch in diesem Jahr erfolgen. In sechsmonatigen plazebokontrollierten Studien verbesserte Metrifonat bei Demenzpatienten die Alltagsbewältigung sowie Verhalten und Stimmung. Halluzinationen, Depressionen, Apathie und motorische Unruhe nahmen ab, Lern- und Gedächtnisleistungen konnten gesteigert werden.

Moxifloxacin: neues Chinolon Nach dem 1987 auf den Markt gebrachten Ciprofloxacin (Ciprobay®) hat Bayer jetzt mit Moxifloxacin ein zweites Chinolon zur Behandlung von Atemwegsinfektionen entwickelt. Moxifloxacin hat einen niedrigeren MHK-Wert und damit eine höhere In-vitro-Aktivität gegen Pneumokokken als alle bisher verfügbaren Chinolone. Auch gegen andere bakterielle Erreger von Atemwegsinfektionen wirkt es ausgezeichnet. Moxifloxacin erreicht rasch eine hohe Konzentration am Infektionsort und muß nur einmal täglich eingenommen werden. Die Zulassung soll Ende 1998 beantragt werden.

Rekombinantes Hormon Nesiritide zur Behandlung der Herzinsuffizienz Auf dem Herz-Kreislauf-Sektor erwarb Bayer einen Lizenzvertrag zur weltweiten exklusiven Vermarktung von Nesiritide (Natrecor®). Dies ist eine in Escherichia-coli-Bakterien produzierte rekombinante Form des menschlichen Hormons BNP. BNP (human b-type natriuretic peptide) wird normalerweise im Herzen produziert, wenn die Förderleistung erhöht werden soll. In klinischen Studien bei herzinsuffizienten Patienten verbesserte die Zufuhr des rekombinanten Hormons die Herzleistung. In den USA ist die Zulassung beantragt; wahrscheinlich kommt das Präparat dort im nächsten Jahr auf den Markt.

Substanzen in frühen Entwicklungsstadien Die Bayer-Pipeline enthält neben den fast marktreifen Substanzen etliche Projekte in frühen Entwicklungsstadien. Hierzu gehören der Glucagon-Rezeptorantagonist BAY 27-9955 für die Diabetestherapie, der Serotonin-Rezeptorantagonist Bay x 3702 mit neuroprotektiver Wirkung in Tiermodellen von Schlaganfall und Hirnverletzungen und ein Interleukin-4-Antagonist zur Behandlung von schwerem Bronchialasthma.

Hemmstoffe von Matrix-Metalloproteasen Einen ganz neuen Therapieansatz bei Osteoarthritis und Krebserkrankungen stellen synthetische Hemmstoffe von Matrix-Metalloproteasen (MMP) dar (siehe auch DAZ 7/97, S. 29-30). Diese Enzyme sind quasi molekulare Schneidbrenner, die die extrazelluläre Matrix auflösen. Krankhaft erhöhte Blutspiegel führen zur Zerstörung von Gewebematrix. Dieser Prozeß dürfte für die Zerstörung von Gelenkknorpel bei der Osteoarthritis und für die Metastasierung von Tumoren mitverantwortlich sein. Bei Bayer werden Hemmstoffe der Matrix-Metalloproteasen entwickelt. Der Wirkstoff BAY 12-9566 war zunächst für die Osteoarthritisbehandlung gedacht, später wurde auch die Anti-Tumor-Wirksamkeit entdeckt. Bei der Maus führt ein transplantierter menschlicher Eierstocktumor nach etwa 30 Tagen zum Tod. Behandelte man mit 20 mg/kg eines MMP-Inhibitors, so überlebte die Hälfte der Tiere einen Testzeitraum von 160 Tagen. Wurden die Mäuse zusätzlich einmal mit dem Zytostatikum Cisplatin vorbehandelt, überlebten alle den Testzeitraum. Einer der MMP-Inhibitoren wird zur Zeit bereits in klinischen Phase-II-Studien an Patienten mit Lungen- und Pankreaskrebs geprüft. MMP-Inhibitoren müssen wahrscheinlich langfristig eingenommen werden.

Moderne Entwicklungsmethoden: Kombinatorische Chemie und Hochleistungsscreening Bis ein Kandidat für die Entwicklung vorliegt, vergeht ein Forschungsprozeß von etwa drei Jahren. Bei der Identifizierung und Charakterisierung neuer Wirkstoffe setzt Bayer in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Biotechnologie-Firma Myriad bereits modernste Genomics-Technologien ein. Mit Hilfe von "Genomics" wird das menschliche Erbgut auf veränderte und damit krankheitsrelevante Gene analysiert. Mit Hilfe von "Functional Genomics" charakterisiert man dann die krankheitsrelevanten Genprodukte (Proteine). Die Bioinformatik analysiert schließlich die Datenflut und stellt Verknüpfungen zwischen normalen und krankhaft veränderten Gensequenzen her. Die krankheitsrelevanten Proteine können als Angriffziele (Targets) für neue Wirkstoffe dienen. Zunächst wird die Aktivität der Targets in einem In-vitro-Testsystem nachgeahmt. Jetzt beginnt das Screening nach möglichen synthetischen Hemmstoffen. Man spricht vom Hochleistungs- oder Ultrahochleistungsscreening. Mit Hilfe der Robotertechnologie können mehrere tausend Testsubstanzen pro Tag geprüft werden; in diesem Jahr strebt Bayer die Marke 40000 pro Tag an. Diesem Substanzbedarf kommen herkömmliche Synthesemethoden nicht mehr nach. Hier ist die Anfang der 90er Jahre entwickelte Kombinatorische Chemie gefragt. Kombinatorische Chemie bedeutet die gleichzeitige und parallele Kombination von Synthesebausteinen durch leistungsfähige Syntheseroboter. Das Hochleistungsscreening führt dazu, daß mehr und qualitativ bessere Wirksubstanzen gefunden werden. Mittelfristig will Bayer daher jährlich zehn statt wie bisher fünf Entwicklungskandidaten identifizieren.

Quelle Prof. Dr. Horst Bayer, Leiter des Geschäftsbereichs Pharma der Bayer AG, Dr. Wolfgang Hartwig, Leiter Forschung im Geschäftsbereich Pharma der Bayer AG, Dr. Hans-Peter Krause, Leiter Präklinische Entwicklung im Geschäftsbereich Pharma der Bayer AG, bei der Pressekonferenz "Pharma-Forschung bei Bayer" am 15. Juni 1998 im Pharma-Forschungszentrum Wuppertal der Bayer AG. Susanne Wasielewski, Münster

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