Arzneimittel und Therapie

HIV-Therapie: Licht am Ende des Tunnels

Mit den sequentiellen Monotherapien und Reverse-Transkriptase-Hemmer-Zweifachkombinationen der Jahre 1987 bis 1995 konnte das zentrale therapeutische Problem bei der Behandlung der HIV-Infektion - die Resistenzentwicklung - nicht dauerhaft verhindert werden. Mit den seit 1996 verfügbaren Dreifachkombinationen unter Einschluß der Proteaseinhibitoren scheint die langfristige Unterdrückung von Resistenzen möglich zu werden.

Nach über 15 Jahren intensiver HIV-Forschung scheint es heute erstmals möglich, infizierten Patienten Hoffnung auf mehr Lebensjahre ohne das Vollbild Aids zu geben. Mit Hilfe einer aus drei oder mehr antiviralen Medikamenten bestehenden Kombinationstherapie ist es in vielen Fällen möglich, die Virusmenge im Blut rapide abzusenken, häufig sogar bis unter die Nachweisgrenze. Hierdurch kann sich das Immunsystem der Patienten stabilisieren, die oft tödlichen Nebeninfektionen werden wieder abgewehrt.

Zunehmend resistente Viren Dennoch zeichnen sich mittlerweile auch die Grenzen dieser neuen Behandlungsmöglichkeit ab. Einige Patienten reagieren nicht auf die Arzneimittel oder brechen die Behandlung aufgrund zu starker Nebenwirkungen ab, auch werden zunehmend Resistenzbildungen beobachtet. Zwar versucht man dies durch den Einsatz veränderter Kombinationen zu umgehen, aber es scheint nur eine Frage der Zeit, wann das Virus den Ärzten wieder einen Schritt voraus ist.

Hochdosierte Therapie von Anfang an Nach einer langen Periode ohne wirkungsvolle therapeutische Möglichkeiten begann zum Jahreswechsel 1995/96 ein Durchbruch in der Behandlung der HIV-Infektion: Die Bestimmung der Virusmenge im Blut als entscheidender prognostischer Faktor und die Einführung der Protease-Inhibitoren waren dafür verantwortlich. Außerdem entstand ein neues therapeutisches Paradigma: "Hit hard and early". Mit einer hochdosierten antiviralen Therapie sollte das Virus innerhalb von drei Jahren eliminiert werden können, so hoffte man. Mit den neuen Kombinationstherapien veränderte sich das Bild in den HIV-Schwerpunktpraxen fundamental:
• Reduktion der HIV-assoziierten Erkrankungen, der opportunistischen Infektionen und Tumoren,
• Rückgang der stationären Aufenthalte und der Sterberate,
• Gewinn an Lebensqualität, Lebensmut und Lebensfreude.

Häufig fehlt die Compliance Mitten in diesem euphorischen Auf- und Umbruch zeigten sich jedoch bald neue Gefahren: Im Gegensatz zu den hochmotivierten Studienpatienten mangelt es einem großen Teil der Patienten in den Praxen an der ausreichenden Compliance, die komplizierten Therapieregimes durchzuhalten. Die Kombinationstherapien waren in der Wirklichkeit schneller verbraucht, als aus Studien zu erwarten war. Heute drohen schon vielen Patienten therapeutische "Löcher": Das vorhandene Medikamentenarsenal ist verbraucht, bevor neue Arzneimittel auf dem Markt sind. Heute wird deutlich, daß eine Virus-Eradikation mit den vorhandenen Substanzen nicht gelingen kann. Die antiretrovirale Therapie erreicht nicht die infizierten Zellen, die ruhend in verschiedenen Körperkompartimenten versteckt sind.

Neue therapeutische Strategien sind nötig Aufgrund dieser Situation herrscht im Augenblick Unsicherheit über die richtige therapeutische Strategie: Ein Teil der Behandler hält am alten Paradigma des "Hit hard and early" fest und begründet es jetzt mit dem Erhalt der HIV-spezifischen CTL (zytotoxischen Lymphozyten), der vom Körper in der Anfangszeit gebildeten potenten Abwehr, die im Laufe der Infektion verlorengeht. Ein anderer Teil hält die Zeit für einen Paradigmenwechsel gekommen: Die antiretroviralen Kombinationstherapien sind nicht der Durchbruch zur Heilung der HIV-Infektion. Sie ermöglichen ein Moratorium in der Krankheitsprogression, mit dem die Patienten in eine Zeit neuer Strategien hinübergerettet werden können.

Qualitativer und quantitativer Nachweis von HIV im Blut Gut zwei Jahre nach der erstmaligen Beschreibung des Krankheitsbildes durch die "Centers for Disease Control" (CDC) in den USA konnte das Virus isoliert werden, und wiederum etwa zwei Jahre später war seine komplette genetische Struktur aufgedeckt. In diesen Zeitraum fällt auch die Verfügbarkeit verläßlicher Antikörpertests gegen dieses neue Virus, so daß es ab 1985 möglich war, eine HIV-Infektion schnell und sicher qualitativ nachzuweisen. Als Glücksfall für die HIV-Diagnostik erwies sich die zeitgleiche Entdeckung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Die zuerst nur in Forschungslaboratorien anwendbare Technik, die für die exponentielle Vermehrung unseres Wissens über HIV-1 verantwortlich ist, gelangte Ende der 80er Jahre auch in die Diagnostik. Mit der Verfügbarkeit der ersten kommerziellen PCR-Testkits für HIV-1 im Jahre 1992/93 war es möglich, einen qualitativen Nachweis von HIV-1 schon lange - d.h. etwa 6 bis 12 Wochen - vor dem Auftreten von Antikörpern durchzuführen. Im Gegensatz zu dem schon länger zur Verfügung stehendem p24-Antigentest, der einen semiquantitativen Nachweis gestattete, war es nun mit der PCR möglich, auch geringste Mengen an HIV-1 in der Anfangsphase der Infektion nachzuweisen. Das Wissen über die Dynamik der HIV-1-Infektion führte zur Entwicklung quantitativer Nachweissysteme. Bei diesen Testverfahren, von denen sich mittlerweile drei verschiedene Methoden (PCR, bDNA und NASBA) etabliert haben, wird die Menge der sich im Blutplasma befindlichen Viruspartikel anhand des quantitativen Nachweises ihrer RNA ermittelt.

Kontrolle der Kombinationstherapie Die Erfolge mit der Dreifach-Kombinationstherapie bei HIV-Patienten werden durch die Kontrollmöglichkeit, welche die quantitative Virusbestimmung bietet, unterstützt. Ein Wiederanstieg der Virusmenge im Blut läßt auf ein Versagen der momentanen Therapie - z.B. durch eine Resistenzentwicklung der Viren - schließen. Hier kann dann die Therapie gezielt umgestellt werden. Dies geschieht durch eine genotypische oder phänotypische Resistenzbestimmung. Im ersten Fall werden die Gene für die viralen Enzyme Protease und Reverse Transkriptase (die Zielenzyme der antiretroviralen Therapie) analysiert. Im zweiten Fall setzt man (ähnlich der Resistenztestung auf Antibiotika bei Bakterien) den Erreger HIV-1 direkt dem Arzneimittel aus und prüft, ob sich das Virus unter Medikamenteneinfluß noch vermehren kann oder nicht. Während die genotypische Analyse in wenigen Tagen vorliegen kann, dauert die Bestimmung der phänotypischen Resistenz mindestens sechs Wochen.

Neue Substanzen in klinischen Studien Mit dem nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Abacavir und dem Protease-Inhibitor Amprenavir befinden sich zwei neue Substanzen von Glaxo Wellcome in den klinischen Prüfungen, die Ende diesen Jahres zur Zulassung gelangen sollen.

Quelle Dr. Heiko Petersen, Labor Fenner Hamburg; Dr. Jörg Gölz, HIV-Schwerpunktpraxis Berlin; Dr. Timm Volmer, Dr. Angela B. Maass, Glaxo Wellcome; anläßlich der 9. Hamburger Forschungsgespräche, Hamburg, 30. April 1998, veranstaltet von Glaxo Wellcome, Hamburg. Kai Christiansen, Kiel

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