Arzneimittel und Therapie

Antiretrovirale Chemotherapie: HIV-Infizierte leben länger

Eine Untersuchung an HIV-Infizierten außerhalb von klinischen Studien in der kanadischen Provinz British Columbia ergab eine verlängerte Überlebenszeit und AIDS-freie Überlebenszeit für neue Therapieregime. Die neuen Regime enthielten Lamivudin oder Stavudin, die älteren Zidovudin, Didanosin oder Zalcitabin.

Antiretrovirale Chemotherapeutika verlängern die Überlebenszeit AIDS-Kranker und HIV-Infizierter. Diese Wirksamkeit ("efficacy") wurde unter den Bedingungen klinischer Studien nachgewiesen. Ob sie auch im medizinischen Alltag außerhalb von klinischen Studien Bestand hat ("effectiveness"), wurde in einer prospektiven Kohortenstudie in der kanadischen Provinz British Columbia untersucht.

Wirkung neuer Therapien In British Columbia werden seit der Einführung von Zidovudin im Jahr 1986 antiretrovirale Chemotherapeutika kostenlos im Rahmen des Centres Drug Treatment Program an HIV-Infizierte abgegeben. Die Behandlung erfolgt nach den vom Centre herausgegebenen Richtlinien, die an alle beteiligten Ärzte verschickt werden:
• 1992 wurde eine Zweifachkombination antiretroviraler Chemotherapeutika für HIV-Infizierte mit einer CD4+-Zellzahl unter 350/µl empfohlen.
• Im Dezember 1995 wurde die Empfehlung auf alle HIV-Infizierten mit einer CD4+-Zellzahl unter 500/µl ausgedehnt. Die Untersuchung beschränkte sich auf HIV-Infizierte mit einer CD4+-Zellzahl unter 350/µl, da nicht die Wirkung der Richtlinienänderung, sondern die Wirkung neuer antiretroviraler Therapien gemessen werden sollte. Bei allen HIV-infizierten Männern und Frauen ab 18 Jahren, die zwischen Oktober 1992 und Juni 1996 erstmals eine antiretrovirale Chemotherapie erhielten, wurden die Chemotherapeutika, das Überleben und das AIDS-freie Überleben bestimmt.

Untersuchung mit fünf antiretroviralen Chemotherapeutika Fünf antiretrovirale Chemotherapeutika standen im Untersuchungszeitraum zur Verfügung: Zidovudin von Anfang an, Didanosin und Zalcitabin ab Oktober 1992, Stavudin ab April 1993 und Lamivudin ab Februar 1994. Die Teilnehmer wurden eingeteilt in solche, die initial mit Zidovudin, Didanosin oder Zalcitabin behandelt wurden (Ära I), und solche, deren erste antiretrovirale Chemotherapie Lamivudin oder Stavudin enthielt (Ära II). Endpunkte waren die Zeit vom Therapiebeginn bis zum Tod sowie die Zeit bis zur ersten AIDS-Diagnose. Berücksichtigt wurde der Zeitraum bis Juni 1997. Die erforderlichen Informationen wurden den jährlich beantworteten Fragebogen der Patienten und den Beurteilungen der Ärzte im Rahmen des Drug Treatment Program, den Patientenakten sowie den AIDS-Registern der Provinz und des Landes entnommen. Die Analyse erfolgte nach dem Intention-to-treat-Prinzip: Patienten wurden auch dann ihrer ersten Behandlungsgruppe zugerechnet, wenn sie später die Therapie gewechselt hatten.

1178 HIV-Infizierte 1178 HIV-Infizierte erfüllten die Studienkriterien, 951 der Behandlungsära I und 227 der Ära II. Die Patienten wurden im Median 21 Monate lang beobachtet, die der Ära I 26 und die der Ära II 15 Monate lang. Von den Patienten der Ära I bekam die Hälfte initial eine Monotherapie (meist Zidovudin), die andere Hälfte eine Zweifachkombination (Zidovudin und Didanosin oder Zidovudin und Zalcitabin). 92% begannen die Behandlung vor 1996. Von den Patienten der Ära II nahmen 99% initial eine Lamivudin-haltige Chemotherapie ein, 90% eine Kombination aus Zidovudin und Lamivudin. Nur 12% begannen die Therapie im Jahr 1995, alle anderen erst 1996. 390 Patienten (33%) starben, 367 der Ära I und 23 der Ära II. Patienten der Ära I hatten im Vergleich zu Patienten der Ära II ein fast doppelt so hohes Risiko zu sterben. Das relative Risiko betrug 1,93, wenn andere mögliche Einflußfaktoren (Pneumocystis-carinii- und Mycobacterium-avium-Prophylaxe, AIDS-Diagnose, CD4+-Zellzahl, Geschlecht, Alter) berücksichtigt wurden. Eine zweite Analyse beschränkte sich auf die 877 Patienten - 701 der Ära I und 176 der Ära II -, die zu Beginn noch kein AIDS hatten. Bei ihnen wurde die Zahl der ersten AIDS-Diagnosen und Todesfälle bestimmt. Insgesamt wurden 300 Ereignisse registriert: 219mal wurde die Diagnose AIDS erstmals gestellt, und zwar bei 208 Patienten der Ära I und elf der Ära II. 81 Patienten - 71 der Ära I und zehn der Ära II - verstarben. Die zu Beginn AIDS-freien HIV-Infizierten der Ära I hatten demnach ein 3,6fach höheres Risiko, an AIDS zu erkranken, als diejenigen der Ära II. Das Risiko, an AIDS zu erkranken oder zu sterben, war auf das 2,5fache erhöht.

Erste Therapie: Lamivudin oder Stavudin Die Untersuchung zeigt also ein verlängertes Überleben und AIDS-freies Überleben für HIV-Infizierte, deren erste antiretrovirale Chemotherapie Lamivudin oder Stavudin enthält. Da fast alle Patienten der Ära II Lamivudin erhielten, dürfte die Verbesserung weitgehend auf der Einführung von Lamivudin beruhen. Diese Ergebnisse bestätigen die Erfolge von Lamivudin in klinischen Studien: In der Studie CAESAR hatte der Zusatz von Lamivudin zu Zidovudin die Ein-Jahres-AIDS-Progressions- und Sterberate um mehr als die Hälfte verringert.

Literatur Hogg, R. S., et al.: Improved survival among HIV-infected individuals following initiation of antiretroviral therapy. J. Am. Med. Assoc. 279, 450-454 (1998). Susanne Wasielewski, Münster

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