Arzneimittel und Therapie

Schilddrüsenkrankheiten: Iodid-Tabletten in der Schwangerschaft

In Deutschland, einem Iodmangelgebiet ersten Grades, sollte jede Schwangere prophylaktisch Iodid-Tabletten einnehmen. Hierüber sind sich Schilddrüsenexperten und Fachgesellschaften einig. Denn Iodidprophylaxe verhindert einerseits das Wachstum der mütterlichen Struma und andererseits die Entwicklung einer angeborenen Struma und/oder Hypothyreose beim Kind.

Schon seit 1992 fordern Expertengruppen, eine Substitution mit Iodid in die Mutterschaftsrichtlinien aufzunehmen. Diese Forderung wurde bei der letzten Änderung im April 1995 durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nur halbherzig aufgegriffen. Hinzugefügt wurde lediglich der Hinweis, daß im Zuge der ernährungsmedizinischen Beratung der Schwangeren durch den Arzt insbesondere auf eine ausreichende Iodzufuhr hinzuweisen sei. Zur Aufklärung der Schwangeren über die Notwendigkeit einer Strumaprophylaxe mit Iodidtabletten sollten auch die Apotheker beitragen. Allerdings ist das Iodmangelproblem nicht nur auf die Schwangeren beschränkt. Einer bundesweiten Studie zufolge hat jeder zweite Bundesbürger eine vergrößerte Schilddrüse. In 90% der Fälle ist dies durch einen Mangel an Iod in der Nahrung bedingt.

Wichtige Rolle für Wachstum und Reifung Iod ist essentieller Bestandteil der Schilddrüsenhormone und zugleich limitierender Faktor für deren Synthese. Die Hormone der Schilddrüse, Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3), spielen eine bedeutende Rolle für Wachstums- und Differenzierungsvorgänge sowie die Stoffwechselregulation. Daher sollte besonders in Phasen des Wachstums und der körperlichen und geistigen Entwicklung eine ausreichende Iodzufuhr und damit auch Hormonsynthese gewährleistet werden.

Unzureichende Iodversorgung Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät zu einer täglichen Aufnahme von 200mg Iodid. In Phasen hormoneller Umstellungen wie Schwangerschaft und Stillzeit steigt der Bedarf auf 230 bis 260mg pro Tag. Trotz des Einsatzes von iodiertem Speisesalz in Privathaushalten, Fertignahrungsmitteln, Brot- und Fleischwaren sowie Gemeinschaftsverpflegung liegt die alimentäre Iodaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland nur bei etwa 70mg pro Tag. Somit wird der tägliche Iodbedarf nur zu 35% gedeckt, in Schwangerschaft und Stillzeit liegt dieser Wert sogar unter 30%. 50% der Strumen entstehen bereits vor dem zwanzigsten Lebensjahr. Eine ausreichende Iodversorgung ist daher vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen wichtig, wobei der Iodbedarf in der Pubertät dem im Erwachsenenalter entspricht.

Iodstoffwechsel in der Schwangerschaft Der erhöhte Iodbedarf in der Schwangerschaft beruht auf verschiedenen physiologischen Änderungen: Aufgrund der Zunahme des Plasmavolumens und der Zellmasse vergrößert sich der Iodverteilungsraum. Bedarfssteigernd wirken auch der erhöhte Grundumsatz und der aktive Iodtransport zum Feten. Gleichzeitig ist in der Schwangerschaft die renale Iodidclearance erhöht, was zu verstärkten Iodverlusten führt. Ein bestehender Iodmangel wird während der Schwangerschaft um einen Grad verschlimmert. Auch in der Stillzeit besteht ein erhöhter Iodbedarf, da das Neugeborene Iod zur Synthese seiner Schilddürsenhormone aus der Muttermilch bezieht. Zwei Drittel aller Schwangeren im dritten Trimenon und Wöchnerinnen weisen eine pathologische Vergrößerung der Schilddrüse auf. In Iodmangelgebieten nahm das Schilddrüsenvolumen der Schwangeren im Durchschnitt um 20% und in Einzelfällen um bis zu 120% zu.

Iodid-Tabletten verhindern konnatale Struma beim Neugeborenen Untersuchungen in Deutschland ergaben eine Strumaprävalenz bei Neugeborenen von 6 bis 12%. Die Hälfte der Neugeborenen mit konnatalen Strumen weisen gleichzeitig subklinische Hypothyreosen auf. Die Inzidenz der Neugeborenenstruma kann durch eine verbesserte Iodversorgung der Schwangeren auf unter 1% gesenkt werden. Im Vergleich zu den Kindern der plazebobehandelten Frauen wiesen die Neugeborenen, deren Mütter prophylaktisch Iodid einnahmen, ein im Mittel um 27% verringertes Schilddrüsenvolumen auf. Die morphologische und funktionelle Entwicklung und Differenzierung der fetalen Schilddrüse vollzieht sich in den ersten zehn bis zwölf Wochen der Schwangerschaft über Blut- und Schilddrüsenhormone. Etwa ab der zwölften Schwangerschaftswoche beginnt die fetale Schilddrüse, Iod zu speichern und Hormone zu synthetisieren. Der Fetus benötigt dazu Iod aus dem mütterlichen Iodpool. Als Folge eines mäßigen Iodmangels der Mutter ergibt sich eine hohe Prävalenz konnataler Strumen und bei extremem Iodmangel konnatale Hypothyreosen. Insbesondere Kinder von Schwangeren, die an einem Iodmangelkropf leiden, sind gefährdet. Bei den Neugeborenen können das Wachstum, die Knochenreifung und die Gehirnentwicklung zurückgeblieben sein. Als Vollbild dieser Krankheit kommt es bei schwerstem Iodmangel zu Kretinismus, allerdings tritt dieser nur in außereuropäischen Gebieten mit hochgradigem Iodmangel auf.

Komplikationen durch Iodmangel Eine extreme Unterversorgung mit Iod kann zu weiteren Komplikationen für Mutter und Kind führen. Mehrere Studien belegen, daß bei etwa 50% der schwangeren Patientinnen mit klinisch manifester Hypothyreose eine Früh- oder Totgeburt eintritt. Die perinatale kindliche Mortalität liegt bei 10 bis 20%, und mit der gleichen Häufigkeit treten auch Mißbildungen auf. Auch Fertilitätsprobleme sind häufig mit einer Hypothyreose assoziiert, denn der Mangel an Schilddrüsenhormonen kann zu Zyklusstörungen führen. Die mütterliche Schilddrüse ist unter Iodmangelbedingungen der verstärkten Entwicklung zystisch degenerativer Veränderungen ausgesetzt. Die Schilddrüse des Neugeborenen reagiert gegenüber Iodmangel und Iodüberschuß sehr empfindlich. Deshalb ist auch für den gestillten Säugling der Iodversorgungsstatus der Mutter ausschlaggebend. In diesem Abschnitt kann eine andauernde Unterversorgung mit Iod zu Schäden der Schilddrüsenstruktur und -funktion führen und die Entwicklung des Kindes ernsthaft beeinträchtigen. Um iodmangelbedingte Strumen, Hypothyreose und ihre Folgen für die Schwangerschaft zu vermeiden, ist eine Iodidprophylaxe sinnvoll, auch wenn die Schwangere selbst keine Struma aufweist. In der Regel erfolgt die Prophylaxe mit 200mg pro Tag. Solange die Iodsalzprophylaxe noch keine ausreichende Iodversorgung gewährleistet, sollten Apotheker ihr Wissen über diese Zusammenhänge an Schwangere, aber auch an andere Bevölkerungsteile weitergeben und ihnen die Vorteile der Prophylaxe mit Iodidtabletten vermitteln. Nach neuesten Untersuchungen ist davon auszugehen, daß bislang nur knapp 60% der Frauen Iod zusätzlich und nur 40% in der empfohlenen Form einnehmen.

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Prof. Dr. med. Karlheinz Bauch, Klinikum Chemnitz GmbH, Krankenhaus Flemmingstraße, Flemmingstraße 2, 09116 Chemnitz.

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