Arzneimittel und Therapie

Risikofaktoren: Homocystein und Arteriosklerose

Der erste Hinweis stammt bereits aus dem Jahr 1969: Bei einer Autopsie von zwei Kindern mit erhöhten Plasmahomocysteinspiegeln fanden sich ausgeprägte thrombotische und arteriosklerotische Veränderungen in den Gefäßen. Fast 30 Jahre und zahlreiche Studien später gelten bereits leicht erhöhte Homocysteinspiegel eindeutig als unabhängiger Risikofaktor für koronare, zerebrale und periphere Arteriosklerosen und Arteriothrombosen.

Homocystein ist ein Zwischenprodukt des Methioninstoffwechsels. Die beteiligten Enzyme - Methylentetrahydrofolat-Reduktase, Cystathionsynthase und Methioninsynthase - sind Vitamin-B12- bzw. -B6-abhängig. Notwendiges Kosubstrat ist die Folsäure. Die normalen Plasmahomocyst(e)inspiegel liegen im Nüchternzustand zwischen 5 und 15 mmol/l; 15 bis 30 mmol/l gelten als leicht erhöht, 30 bis 100 mmol/l als mäßig erhöht und über 100 mmol/l als stark erhöht. Wenn Homocysteinwerte den Rahmen des Normalen sprengen, kann dies verschiedenste Ursachen haben.

Ursache Nummer 1: genetische Defekte Schwere Hyperhomocysteinämien und Hyperhomocysteinurien lassen sich auf seltene angeborene Gen- und damit Enzymdefekte zurückführen. Am häufigsten ist dabei ein Mangel an Cystathionsynthase. Die heterozygote Form verläuft mit Spiegeln zwischen 20 und 40 mmol/l vergleichsweise harmlos. Bei der homozygoten Form dieser Erkrankung (Häufigkeit 1:200000) können die Plasmakonzentrationen dagegen im Nüchternzustand auf über 400 mmol/l ansteigen. Klinisch manifestiert sich diese schwere Erkrankung bereits in jungen Jahren nicht nur in drastischen Gefäßveränderungen, sondern auch geistiger Retardiertheit und Skelettdeformationen. Etwa 50% dieser Patienten erleiden bereits vor dem dreißigsten Lebensjahr ein thromboembolisches Ereignis, wenn sie nicht behandelt werden. Die krankheitsbedingte Mortalität liegt bei 20%. Eine noch schlechtere Prognose haben Patienten mit einem angeborenen homozygoten Mangel an Methylentetrahydrofolat-Reduktase. Auch ein Mangel an Methioninsynthase kann die Homocysteinspiegel ansteigen lassen. Er kann genetisch bedingt sein, seine Ursache aber auch in einem fehlerhaften Vitamin-B12-Metabolismus haben.

Ursache Nummer 2: Fehlernährung Leicht erhöhte Homocysteinspiegel können durch falsche Ernährung begünstigt werden. So kann ein Mangel der für den Methioninstoffwechsel notwendigen Kofaktoren bzw. -substrate - Folsäure, Vitamin B12 und Vitamin B6 - möglicherweise einer Hyperhomocysteinämie Vorschub leisten. Deutlich erhöht sind die Homocysteinwerte beispielsweise bei Personen mit einem Mangel an Vitamin B12 und dem Kosubstrat Folat. Bei zwei Drittel aller Patienten mit erhöhten Spiegeln mangelt es, so vorsichtige Studienergebnisse, an B-Vitaminen.

Ursache Nummer 3: Begleiterkrankungen und Medikamente Ein Anstieg der Homocysteinspiegel wird auch im Zusammenhang mit bestimmten Erkrankungen beobachtet. So sind erhöhte Kreatininspiegel und damit chronische Nierenerkrankungen häufig assoziiert mit bis zu vierfach gesteigerten Plasmahomocysteinspiegeln. Möglicherweise erklärt sich dadurch auch die Zunahme arteriosklerotischer Prozesse im Endstadium renaler Erkrankungen. Auch bei Patienten mit Hypothyroidismus oder perniziöser Anämie steigen die Homocysteinwerte. So hatten von 434 Patienten mit Cobalamindefizit 96% erhöhte Plasmaspiegel. Verschiedene Krebserkrankungen, wie Mamma-, Ovarial- oder Bauchspeicheldrüsenkarzinome können ebenfalls mit erhöhten Homocysteinspiegeln assoziiert sein. Möglicherweise, so lassen Untersuchungen an Zellkulturen vermuten, können Tumorzellen Homocystein nicht verstoffwechseln. Außerdem gibt es eine Reihe von Arzneistoffen, die die Homocysteinspiegel in die Höhe treiben. Meist interagieren sie mit notwendigen Kofaktoren bzw. Kosubstraten. So greifen Methotrexat und Phenytoin in den Folsäurestoffwechsel ein, Theophyllin antagonisiert die Synthese von Pyridoxal. Die Pyridoxalkonzentration im Blut wird darüber hinaus auch durch das Rauchen herabgesetzt. Dies könnte - neben den zahlreichen anderen Gründen - eine weitere Ursache der gefäßschädigenden Wirkung von Zigaretten sein.

Hyperhomocysteinämie und Arteriosklerose: Wie paßt das zusammen? Die Datenlage zum Zusammenhang zwischen leichter Hyperhomocysteinämie und Arteriosklerose ist inzwischen umfangreich, das Ergebnis zweifelsfrei: Erhöhte Homocysteinspiegel steigern unabhängig von anderen Risikofaktoren die Gefahr einer Arteriosklerose. Hier einige Studienergebnisse, die diese These bestätigen:
• Bei 14916 Männer aus der Physicians' Health Study mit bekannter Arteriosklerose wurde zu Studienbeginn der Homocysteinspiegel gemessen und über fünf Jahre beobachtet. Die Männer, deren Homocysteinspiegel um 12% anstiegen, hatten ein dreifach höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Es wird geschätzt, daß 7% der 271 beobachteten Herzinfarkte auf das Konto einer Homocysteinämie gehen. Andere prospektive Studien führten zu ähnlichen Ergebnissen.
• In einer Untersuchung von 1041 älteren Personen aus der Framingham-Studie konnte ein direkter Zusammenhang zwischen einer leichten Homocysteinämie (11,4 bis 14,3 mmol/l) und dem Risiko für eine Karotis-Stenose gezeigt werden.
• Ein Vergleich der Homocysteinspiegel von 750 Arteriosklerose-Patienten und 800 Gesunden zeigte einen deutlichen Unterschied: 11,25 mmol/l versus 9,73 mmol/l im Nüchternzustand.
• Eine aktuelle Metaanalyse kommt zu dem Schluß, daß 10% des Risikos einer arteriosklerotischen Erkrankung in der Gesamtbevölkerung seine Ursache in erhöhten Homocysteinspiegeln hat. Eine Erhöhung um 5 mmol/l soll das Risiko etwa so stark erhöhen wie ein Anstieg der Plasmacholesterinspiegel um 20 mg/dl (entsprechend 0,52 mmol/l).
• Homocystein erhöht auch das Risiko venöser Thrombosen. In einer Studie war das Thromboserisiko bei Homocysteinspiegeln von 22 mmol/l um das Vierfache erhöht.

Behandlungsansatz bei Hyperhomocysteinämie Grundsätzlich scheint die Substitution der relevanten B-Vitamine die Homocysteinspiegel senken zu können. Die dafür notwendigen Dosen werden derzeit untersucht. Eine Senkung bzw. Normalisierung läßt sich nach etwa vier bis sechs Wochen, frühestens nach zwei Wochen erreichen. Ob sich dadurch auch die kardiovaskuläre Morbidität senken läßt ist noch offen. Erste Studienergebnisse sprechen allerdings dafür. Bereits 1960 wurde ein Zusammenhang zwischen erhöhter Vitamin-B6-Gabe und Reduktion der kardiovaskulären Mortalität dokumentiert.

Pathophysiologie in den Kinderschuhen Zu viel Homocystein im Blut fördert die Entstehung von Arteriosklerose und Thromben. Was dabei genau passiert, ist jedoch noch unklar. Derzeit gibt es eine Reihe von Denkmodellen, die mit verschiedensten experimentellen Untersuchungen untermauert werden. Fakt scheint zu sein, daß ein erhöhter Homocysteinspiegel zu einer endothelialen Dysfunktion führt, in deren Folge die Thrombozyten aktiviert werden. Untersuchungen am Menschen haben gezeigt, daß eine durch Homocystein induzierte Arteriosklerose charakterisiert ist durch Plättchenakkumulation und Thrombenbildung im Endothel. Zudem wird angenommen, daß beim Angriff von Homocystein auf das Endothel letztlich freie Sauerstoffradikale als schädigende Agenzien mit im Spiel sind. Denn bei der Autoxidation von Homocystein bilden sich unter anderem Superoxid und Hydrogenperoxid. Diese können nicht nur das Endothel direkt angreifen, sondern auch LDL oxidieren und dadurch den arteriosklerotischen Prozeß weiter vorantreiben.

Als weitere Angriffspunkte von Homocystein werden diskutiert:
• Erleichterung der Thrombinbildung, z.B. durch Hemmung der Thrombomodulinexpression;
• Hemmung der Stickstoffmonoxidproduktion;
• Proliferation von Gefäßzellen.

Es gilt allerdings noch als unklar, ob Homocystein selbst oder ein Stoffwechselprodukt den Effekt verursacht.

Klinische Relevanz Von Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen Hyperhomocysteinämie und Arteriosklerose vor allem für die etwa 5 bis 7% der Bevölkerung, bei denen die Homocysteinspiegel leicht erhöht sind. Sie zeigen im Gegensatz zu den wenigen Patienten mit schweren Hyperhomocysteinämien keine Symptome und werden deshalb nicht behandelt. Klinisch auffällig werden sie erst zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr, dann nämlich, wenn koronare Herzerkrankungen sowie rezidivierende arterielle und venöse Thrombosen auftreten. Nach derzeitigem Wissensstand läßt sich davor am besten mit einer ausreichenden Zufuhr von B-Vitaminen und Folsäure vorbeugen.

Literatur Epstein, F. H.: Homocysteine and atherothrombosis. N. Engl. J. Med. 338, 1042-1050 (1998). Dr. Beate Fessler, München

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