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Kommentar: Gefährliche Potenzpille?

Viagra mit dem Wirkstoff Sildenafil ist in aller Munde - zumindest bei den Herren, die nicht in jeder Situation vollkommen standfest sind. Die Männer in aller Welt rennen den Ärzten die Türen ein, um die schönste Nebensache wieder in vollem Ausmaß genießen zu können. Doch nicht nur die Ärzte werden in Anspruch genommen; auch aus dem Internet, über dubiose Adressen oder über den Schwarzmarkt kann man den "blauen Diamanten" beziehen, ohne jede ärztliche und apothekerliche Beratung. Und wo sonst die Angst vor Nebenwirkungen sogar lebensnotwendige Therapien sabotiert, scheint manchem beim Thema Potenz das Hirn in die Hose zu rutschen. Das könnte gefährlich werden: Viagra ist kein Zauber-, sondern ein Arzneimittel mit pharmakologischen Wirkungen - und auch Nebenwirkungen. Zwar ist Sildenafil wie jedes neue Arzneimittel in klinischen Studien an rund 4000 Patienten getestet worden und hat die Zulassungsbedingungen erfüllt. Aber bei vielen Arzneimitteln zeigen sich seltene und möglicherweise schwere Nebenwirkungen erst bei der Anwendung in der Praxis. Viagra ist jetzt bereits über eine Millionmal verordnet worden. Als Folge dieser explosionsartigen Verbreitung ist Viagra sehr schnell in den Verdacht geraten, sogar Todesfälle verursacht zu haben. Das Unternehmen Pfizer hatte routinemäßig sechs Todesfälle in den USA, die im Zusammenhang mit der Einnahme von Viagra standen, an die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA gemeldet. Als Folge sank der Wert der Pfizer-Aktie um 3,4%. Wo die Boulevardblätter die Potenzpille als Ursache glasklar ermittelt haben und das arznei-telegramm lautstark die Marktrücknahme fordert (hat da denn niemand jemals Potenzprobleme?), urteilen andere Fachleute vorsichtiger. Bis jetzt konnte kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Todesfällen und der Einnahme von Viagra festgestellt werden, die Untersuchungen laufen noch. Da vor allem ältere Männer auf das Mittel vertrauen, sind weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Viagra sehr wahrscheinlich. Immerhin sind etwa 85% der Anwender älter als 50 Jahre. Viele von ihnen leiden an Durchblutungsstörungen, Herzkrankheiten oder anderen gesundheitlichen Problemen, die zum Teil mit unterschiedlichen Arzneimitteln behandelt werden. In der Altersgruppe von 45 bis 74 Jahren sterben wöchentlich in den USA 335 von einer Million Menschen, so die Statistik. Die FDA hält Sildenafil nach wie vor für sicher, wenn die Kontraindikationen beachtet werden. Das arznei-telegramm befürchtet dagegen, die in der vergangenen Woche aufgetretenen sechs Todesfälle seien nur "die Spitze des Eisbergs" und die Risiken der Potenzpille seien nur unzureichend bekannt. Viagra solle daher "zum Schutz der Verbraucher" aus dem Verkehr gezogen werden. Es wäre verfrüht, zu diesem Zeitpunkt auf die erfreuliche Bereicherung unseres Arzneischatzes zu verzichten. Aber die Kontraindikationen müssen unbedingt beachtet werden: Sildenafil darf auf keinen Fall gemeinsam mit Nitroglycerin, Nitraten oder Molsidomin verwendet werden, da es deren Wirkung verstärkt. Dadurch kann es zu einem tödlichen Blutdruckabfall kommen. Bis zu vier Stunden nach der Einnahme von Sildenafil dürfen ebenfalls keine Nitrate eingesetzt werden. Das ist vor allem für die notfallmäßige Angina-pectoris-Behandlung wichtig. Andere Antihypertonika waren in bisherigen Studien in Kombination mit Sildenafil unproblematisch. Ein anderes Problem des Potenzmittels sind Sehstörungen, die dosisabhängig bei 3 bis 10% der Anwender auftreten. Bis jetzt waren diese Störungen beim Menschen reversibel, die Folgen einer Langzeitanwendung sind jedoch noch nicht bekannt. Deshalb muß sich jeder Mann, der Viagra einnehmen möchte, von einem Arzt untersuchen und beraten lassen. Eine durch Arzt und Apotheker kontrollierte Abgabe des neuen Arzneimittels ist Voraussetzung für die sichere Anwendung. Auf diese Weise können auch potentielle Nebenwirkungen rasch und effizient erfaßt werden. Bettina Hellwig

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