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Vilmar: Sozialsysteme umbauen

Umbau und Rationalisierung in der Krankenversicherung sind notwendig, um die Herausforderungen aus der wachsenden Zahl älterer Menschen zu meistern. Bei der Eröffnung des 101. Deutschen Ärztetags sprach sich der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Dr. Karsten Vilmar jedoch gegen ein Kurieren an Symptomen und reine Geldbeschaffungsmaßnahmen aus.

Seiner Ansicht nach sind dringend notwendige Reformen "wegen des inzwischen mehrjährigen Bundestagswahlkampfes" nur unzureichend umgesetzt worden, so seine Kritik. Vilmar, dessen BÄK die rund 350.900 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland repräsentiert, verwies auf die demographische Entwicklung. In den nächsten vier Jahrzehnten sei mit einer Verdoppelung der Altenquote zu rechnen. Damit verschiebe sich aber auch die Relation zwischen Erwerbstätigen und Ruheständlern. Die Neuordnungsgesetze vom vergangenen Juli seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, sie reichten jedoch nicht aus. Vilmar forderte weitere Kompetenzen für die Selbstverwaltung, zudem müsse der Staat die erforderlichen finanziellen Rahmenbedingungen schaffen. Der BÄK-Präsident ging angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfs mit den Vorstellungen der SPD hart ins Gericht. Die Prämissen seien falsch, daher auch deren Schlußfolgerungen. Die SPD verliere beispielsweise kein Wort über die Fortschritte in der Medizin der vergangenen Jahrzehnte, die den Tod hinausschoben, oft allerdings um den Preis der Dauerbehandlungsbedürftigkeit.
Notwendig sei vielmehr mehr Eigenverantwortung der Bürger. Nicht alles, was in der Medizin technisch möglich sei, könne von der Solidargemeinschaft bezahlt werden. Dies müsse den Patienten vermittelt werden, die in ihrer Anspruchshaltung bisher auch von Ärzten und Krankenkassen bestärkt worden seien. Die hälftige Finanzierung durch Arbeitgeber und -nehmer könne künftig nicht mehr aufrechterhalten werden, meint Vilmar. Darüber hinaus sieht die BÄK in der strengen Bindung der Krankenkassenbeiträge an die Löhne und Gehälter ein Hindernis für eine weitere Entwicklung in der GKV.

"Hände weg von Versorgungswerken"
Nachdrücklich warnte Vilmar die SPD vor Systemveränderungen bei den berufsständischen Versorgungswerken wie den von dieser Partei angedachten Ausschluß angestellter Ärzte (und angestellter Apotheker). Der Vorwurf, diese entzögen sich der solidarischen Rentenversicherung, sei unbegründet, da deren Mitgliedschaft im Versorgungswerk erst wegen ihres Ausschlusses (Rentenreform von 1957) aus der Rentenversicherung begann. Hier stehe die Glaubwürdigkeit des Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder auf dem Spiel, der sich vor kurzem wie auch der Bundeskanzler für den Erhalt des Befreiungsrechts ausgesprochen habe. Wer die Rentenversicherung systemgerecht ändern wolle, müsse sie von versicherungsfremden Leistungen befreien und diese aus Steuermitteln finanzieren, verlangte Vilmar.

EuGH-Urteil
Wie der Präsident der Bundesärztekammer weiter sagte, müssen nach dem vielbeachteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Erstattung von Auslandsleistungen im Inland jetzt dringend Regelungen zu mehr Konvergenz der Sozialsysteme erfolgen. Eine Harmonisierung der einzelnen Systeme sei wegen der unterschiedlichen Versorgungsniveaus und der Strukturen in Europa nicht möglich, ein Naturschutzpark um die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland allerdings auch nicht. Dabei seien die Auswirkungen auf die finanzielle Balance der nationalen Sicherungssysteme erheblich, wichtig sei zudem die Frage nach der Qualitätssicherung der Behandlungen.
Vilmar begrüßte die Klarstellung, daß die Qualitätssicherung in der Medizin nicht gegen die Ärzteschaft erfolge. Die BÄK, die Krankenkassen sowie die deutsche Krankenhausgesellschaft legten nun Empfehlungen für diejenigen Leistungen fest, für die besondere Maßnahmen nötig seien. Dabei müsse die Finanzierung geklärt werden, da die anfallenden Kosten auf Dauer weder aus Honoraren noch aus Kammerbeiträgen aufgebracht werden könnten. Im Gegensatz zur Industrie, wo die Qualitätssicherung zwei bis zwanzig Prozent des Preises ausmache, sei sie bisher noch nie in "Preisen" für ärztliche Leistungen oder in Krankenhauspflegesätzen enthalten gewesen.

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