Arzneimittel und Therapie

Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft: Neue Arzneimittel in der Krebstherapie

Auf dem Gebiet der Krebstherapie wird enorm viel geforscht. Tatsächlich zugelassen werden jedoch nur wenige neue Substanzen. In den letzten Jahren gab es in der Krebstherapie weniger als zehn "new chemical entities" pro Jahr. Einige wichtige neue Krebstherapeutika, die in den vergangenen vier Jahren zugelassen wurden oder vor der Zulassung stehen, werden nachfolgend vorgestellt.

Bei den Neuzulassungen von 1994 bis 1997 dominieren konventionelle Zytostatika: Wirkstoffe auf der DNA-Ebene, gefolgt von den Hemmern des normalen Zellstoffwechsels und den Arzneimitteln zur Behandlung von Nebenwirkungen. Vollständig fehlen dagegen bisher Substanzen, die die pathogenen Funktionen der Tumorzelle hemmen. Gerade diese spezifisch an der Tumorzelle angreifenden Substanzen werden intensiv beforscht.

Gemcitabin Ein wichtiges neues Zytostatikum ist das Nucleosidanalogon Gemcitabin. Gemcitabin führt nicht nur zum Abbruch der DNA-Synthese, sondern hemmt eine Reihe von Enzymen und wirkt dadurch selbstpotenzierend. Zugelassen ist Gemcitabin für Bauchspeicheldrüsenkrebs und in vielen Ländern für das kleinzellige Lungenkarzinom. Gute Ansprechraten erzielen Gemcitabin-Kombinationen auch bei Blasen-, Brust- und Eierstockkrebs.

Irinotecan und Topotecan Ebenfalls konventionelle Zytostatika, die hohe Ansprechraten erzielen, sind die Topoisomerase-I-Hemmer Irinotecan und Topotecan. Sie leiten sich vom Naturstoff Camptothecin ab. Irinotecan ist zur Behandlung von Dickdarmkrebs, Topotecan zur Behandlung von Eierstockkrebs zugelassen. Ein wesentlicher Fortschritt sind auch die Mikrotubuli-Wirkstoffe Paclitaxel und Docetaxel.

Zinostatin-Stimalamer Ein neues Anwendungsprinzip wurde mit Zinostatin-Stimalamer realisiert: Der Wirkstoff, ein En-Diin-Zytostatikum, ist eingebettet in eine Peptidkette und ein Copolymer. Er wird über eine Arterie ins Tumorgewebe eingebracht und kann nicht ausgeschwemmt werden. So kommt es zu einem Tumor-Blut-Konzentrationsverhältnis der Substanz von 2000:1.

Liposomale Zubereitungen Zwei weitere wichtige Zulassungen beruhen auf einer neuen Galenik: Daunorubicin und Doxorubicin werden jetzt auch liposomal angeboten. Die Liposomen, vor allem Polyethylenglykol-Liposomen, verhindern die Nebenwirkungen der Anthracycline am Herzen.

Genexpressions-Regulatoren Zu den Wirkstoffen auf der DNA-Ebene zählen auch die Genexpressions-Regulatoren. Steroidhormone haben wahrscheinlich mit den klarsten und besten Zugang zur Regulation der Gene. Als neues Antiöstrogen wurde Toremifen zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs zugelassen. Raloxifen wird als selektiver Östrogenrezeptor-Modulator bezeichnet. Eine Langzeiteinnahme soll nicht nur der Osteoporose vorbeugen, sondern auch das Brustkrebsrisiko reduzieren können. Aromatasehemmer verhindern die Umwandlung von Androgenen in Östrogene. Neuentwicklungen sind die Aromatasehemmer vom Typ II Fadrozol, Anastrozol, Vorozol und Letrozol, von denen Letrozol bisher am wirksamsten zu sein scheint.

Monoklonale Antikörper Auf dem Gebiet der Immuntherapeutika wurden die ersten monoklonalen Antikörper für die Krebstherapie zugelassen: ein monoklonaler 17-1A-Antikörper für die Behandlung von Dickdarmkrebs und Rituximab für die Therapie des Non-Hodgkin-Lymphoms. Gearbeitet wird außerdem an Konjugaten aus monoklonalen Antikörpern und Toxinen sowie an bispezifischen Antikörpern, die sowohl Krebs- als auch Immunzellen erkennen. Studien zu Tumorvakzinen, der größten Hoffnung der Krebsforschung, laufen zäh. Zytokine haben die überzogenen Erwartungen nicht erfüllen können.

Porfimer-Natrium: photodynamische Therapie Ein fundamental neues Prinzip für die Tumortherapie beinhaltet Porfimer-Natrium. Nach der Porfimer-Injektion erfolgt eine Bestrahlung mit Laserlicht (sog. photodynamische Therapie). Porfimer erhöht die Empfindlichkeit der Zellen auf Licht. Entscheidend ist es, die Wellenlängen zu finden, von denen nur die Krebszellen angegriffen werden. Porfimer-Natrium ist seit 1997 für die Behandlung des frühen Lungenkarzinoms zugelassen.

Wirkungsverstärker für Zytostatika Als Wirkungsverstärker für Zytostatika (sog. Sensitizer) wurde Angiotensin II zugelassen, weil es die Tumordurchblutung verbessert. Tirapazamin erhöht die Zytotoxizität von Cisplatin vor allem in hypoxischen Zellen. Es steht noch vor der Zulassung.

Behandlung von Zytostatika-Nebenwirkungen Zur Behandlung von Zytostatika-Nebenwirkungen wurden neue Antiemetika zugelassen: die 5-HT3-Antagonisten Ramosetron, Dolasetron und Nazasetron. Zur palliativen Behandlung von schmerzhaften Knochenmetastasen wurde Samarium (153Sm) Lexidronam in die Therapie eingeführt. Das radioaktive Samarium wirkt auf die Knochenmetastasen. Zur Hemmung pathogener Funktionen der Tumorzelle gibt es mehrere Forschungsansätze (Tab. 3). Beispielsweise bieten Antisense-Wirkstoffe die Möglichkeit einer "chemischen Gentherapie". Die ersten Markteinführungen sind hier für die nächsten Jahre zu erwarten. Des weiteren wird unter anderem intensiv an Anti-Angiogenese-Wirkstoffen gearbeitet.

In der Praxis zählt die beste Kombination Für die Praxis der Tumortherapie ist entscheidend, wie die besten Zytostatika-Kombinationen laufen: Lebt der Patient unter der Therapie länger? Geht es ihm besser? Drei Grundprinzipien der Kombination sind:
• Die Substanzen müssen gegen die jeweilige Tumorart aktiv sein.
• Sie sollten verschiedene Angriffspunkte haben. Dies verringert die Gefahr der Resistenzbildung.
• Sie sollten unterschiedliche Nebenwirkungsspektren haben. Dies erlaubt eine möglichst hohe Dosierung. Unter diesen Aspekten sind viele der neuen Zytostatika ein Therapiefortschritt.

Quelle Prof. Dr. C. R. Noe, Frankfurt: "Arzneimittel in der Krebstherapie - neue Entwicklungen", auf einer Veranstaltung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Regionalgruppe Westfalen-Lippe, am 28. April 1998 am Institut für Pharmazeutische Chemie in Münster. Susanne Wasielewski, Münster

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