Arzneimittel und Therapie

Impfstrategien: Deutschland ist Entwicklungsland

In bezug auf Impfungen ist Deutschland immer noch ein Entwicklungsland. Weder existiert eine Impfpflicht, die die ausreichende Durchimpfung der Bevölkerung gewährleisten könnte, noch findet eine ausreichende Dokumentation der Impfungen statt. Die Folge: etwa 45% der Deutschen hatten in den letzten zehn Jahren keine Erhebung ihres Impfstatus. An einer Impfmüdigkeit liegt dies allerdings nicht, 94% sind hierzulande Befürworter von Impfungen. Ursachen für die erschreckenden Zahlen sind vielmehr Unwissen über die Notwendigkeit von Impfungen und mangelnde Aufklärung.

Masern - Mumps - Röteln... Die Gefahr, die von "harmlosen" Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps und Röteln ausgeht, wird vielfach unterschätzt. Dabei führen Masern noch heute die Rangliste der tödlichen Kinderkrankheiten, die durch Impfung vermeidbar wären, an. In Deutschland kommen laut Schätzungen auf jährlich etwa 100000 Masernerkrankungen 50 bis 200 Masernenzephalitiden mit bis zu 20% letalem Ausgang. Etwa alle sechs bis acht Jahre treten Masern in Deutschland zudem endemisch auf. So erkrankten z. B. allein im ersten Halbjahr 1996 ca. 80000 Menschen an Masern. Bei Mumpsinfektionen besteht - wie auch bei den Masern - die Gefahr, daß sich die Erreger im ZNS manifestieren und eine Meningitis oder Enzephalitis auslösen. Während durch Mumps verursachte Enzephalitiden nur vereinzelt vorkommen, tritt eine Meningitis bei etwa 10% der an Mumps erkrankten Personen auf, nicht selten mit der Folge von Schwerhörigkeit oder sogar Taubheit. Besonders hart kann sich eine Mumpsinfektion bei Männern auswirken. Rund ein Viertel der postpubertär Betroffenen entwickeln eine doppelseitige Hodenentzündung (Mumps-Orchitis), die zur Sterilität führen kann. Im Fall der Röteln geht man davon aus, daß in Deutschland jährlich noch bis zu 100 Frauen in den ersten Schwangerschaftswochen an Röteln erkranken. Schwangerschaftsabbrüche oder sogar Embryopathien sind die Konsequenz.

...zweifach hält besser Die Zahlen und die Risiken der durch Masern-, Mumps- und Rötelninfektionen verursachten Komplikationen verdeutlichen die Brisanz des Themas. Ursache für die bedenkliche Situation ist die geringe Durchimpfungsrate in Deutschland. Vor allem die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Zweitimpfung ab dem vollendeten 5. Lebensjahr wird häufig nicht wahrgenommen. Geimpft wird heute in den meisten Fällen mit einem Dreifachimpfstoff, der sich gegen Masern, Mumps und Röteln gleichzeitig richtet. Bei 5 bis 7% der Impflinge tritt jedoch nach der ersten Impfung keine oder nur eine sehr schwache Immunantwort gegen mindestens eine der drei Viruskomponenten des Impfstoffs auf. Diese primären "Impfversager" lassen sich erst durch die Wiederholungsimpfung erfassen. Sekundäres Impfversagen tritt nur noch in weniger als 2% der Fälle auf und wird meist durch eine schwache oder verminderte Immunität bedingt, die bei einem "hohen" Infektionsdruck durchbrochen wird. Die WHO, die sich zum Ziel gesetzt hat, Masern, Mumps und Röteln bis zum Jahr 2000 europaweit auszurotten, fordert daher auch von Deutschland eine Durchimpfungsrate von 95% bei den 2jährigen, etablierte Meldesysteme für Impfungen und Erkrankungen sowie serologische Surveillance-Untersuchungen.

Hepatitis-B-Impfung - so früh wie möglich Virushepatitiden gehören nach wie vor zu den wichtigsten Infektionskrankheiten unserer Zeit. Vor allem Hepatitis B und Hepatitis C stellen aufgrund der häufigen Chronifizierung und der damit verbundenen Gefahr einer Leberzirrhose oder eines Leberzellkarzinoms ein ernstzunehmendes gesundheitliches Problem dar. Während die Häufigkeit der Hepatitis A aufgrund der verbesserten hygienischen Bedingungen in den letzten Jahren laufend abgenommen hat, liegt die Zahl der Neuerkrankungen bei der Hepatitis B bei jährlich etwa 50000 Personen. Da der bedeutendste Übertragungsweg der Hepatitis B sexueller Kontakt ist, sind auch die "sexuell aktivsten" Altersgruppen, d. h. Personen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren am stärksten gefährdet. Neben direktem sexuellem Kontakt spielen aber auch parenterale Übertragungswege durch Nadelaustausch bei intravenös Drogenabhängigen sowie beim Tätowieren oder Piercen eine Rolle. Das Risiko einer Hepatitis B-Infektion durch kontaminierte Blutprodukte hat dagegen deutlich abgenommen.

Die akute Hepatitis B-Infektion verläuft in der Regel eher mild, 60% sind sogar völlig asymptomatisch. Geht die akute Hepatitis B jedoch in eine chronische Form über, ist das Risiko, eine Leberzirrhose oder sogar ein Leberzellkarzinom zu entwickeln hoch. Die Gefahr der Chronifizierung ist abhängig vom Zeitpunkt der Hepatitis B-Infektion. Von den Erkrankungen bei Jugendlichen und Erwachsenen verlaufen etwa 10% chronisch. Bei Kleinkindern ist die Chronifizierungsrate mit 30% bereits wesentlich höher, bei Neugeborenen, die bei der Geburt infiziert wurden, liegt sie sogar bei 90%. Die Verhinderung einer perinatalen Übertragung bzw. einer Infektion im frühen Kindesalter ist deshalb ein wichtiges Ziel bei der Bekämpfung der Hepatitis B. Die STIKO hat daher auch bereits im Oktober 1995 die Empfehlung einer generellen Hepatitis B-Schutzimpfung im Säuglings- und Schulalter ausgesprochen. Daneben bleibt natürlich auch die gezielte Impfung von Personen, die den bekannten Risikogruppen angehören von eminenter Wichtigkeit.

Hepatitis C - noch kein Impfstoff in Sicht In Deutschland sind etwa 320000 Menschen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert, jährlich kommen etwa 5000 Neuinfektionen hinzu. Weltweit schätzt man, daß die Zahl der Hepatitis-C-Virusträger bei 170 Millionen Menschen liegt. Die Übertragungswege der Hepatitis C gleichen denen der Hepatitis B, daher sind auch die Risikogruppen teilweise identisch. Allerdings ist das Infektionsrisiko für die Hepatitis C zehnmal niedriger als das von Hepatitis B. Die Gefahr der Hepatitis C ist dennoch mit der von Hepatitis B gleichzusetzen. Ursache dafür ist, daß die Chronifizierungsrate bei 50% liegt, außerdem besteht anders als bei der Hepatitis B bislang keine Möglichkeit der Schutzimpfung. Dies wird sich voraussichtlich auch in den nächsten Jahren noch nicht ändern, obwohl verschiedene Pharmaunternehmen an der Entwicklung entsprechender Impfstoffe arbeiten.

Quelle Dr. Gerhard Dieter, Freiburg, Prof. Dr. Burghard Stück, Berlin, Prof. Dr. Günther Maas, Berlin, Dr. Rainer Noack, Berlin, Dr. Bernhard Knapp, Marburg, Dr. Brunhilde Schweiger, Berlin, Dr. Alfred Nassauer, Berlin, Chiron Behring Presseworkshop, Berlin, 12.-13. März 1998, veranstaltet von Chiron Behring, Marburg. Dr. Beatrice Rall, Stuttgart

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.