Arzneimittel und Therapie

Künstliches Blut: Werden Blutspenden bald überflüssig?

Die Risiken einer Bluttransfusion sind heutzutage zwar minimiert, doch Blutspenden sind nach wie vor nicht ganz unproblematisch. Infektionsgefahren, beispielsweise mit HI-Viren, Unverträglichkeiten und die begrenzte Haltbarkeit einer Blutkonserve spielen immer noch eine wichtige Rolle, auch unter ökonomischen Gesichtspunkten. Darüber hinaus läßt sich der große Bedarf an Spenderblut aus dem Spendenaufkommen allein oft nicht decken. Deshalb suchen Wissenschaftler nach Blutersatzlösungen, die besser verfügbar und leichter anzuwenden sind.

Jedes Jahr in den Sommermonaten melden die Blutspendezentralen: Blutkonserven werden knapp und reichen nur noch für wenige Tage. Der Grund dafür dürfte sein, daß viele Blutspender in den Urlaub fahren. Teilweise müssen deshalb weniger dringende Operationen in Krankenhäusern zurückgestellt werden. Im Oktober 1997 erschien in einem Sonderheft von "Ruperto Carola", dem Forschungsmagazin der Universität Heidelberg, ein Artikel von Dr. Wolfgang Kuschinsky, Professor am Physiologischen Institut der Universität, mit der Überschrift "Kunstblut, so gut wie das echte". - Werden Blutspenden also bald überflüssig? Um die Antwort vorweg zu nehmen: Blutspenden sind nach wie vor notwendig, vorläufig jedenfalls. Doch die Forschung läuft auf Hochtouren, und einige Pharmafirmen spekulieren bereits auf das große Geschäft: Künstliches Blut soll eines nicht mehr fernen Tages die herkömmlichen Blutkonserven ersetzen.

Bluttransfusionen - mit Risiken verbunden Eine Bluttransfusion ist immer noch mit einem gewissen Risiko verbunden. Der "rote Lebenssaft" hat nämlich einige Nachteile: Trotz aller Tests und penibler Kontrollen kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß Vi- ren übertragen werden. Gegenwärtige Schätzungen gehen davon aus, daß bei einer von 225 000 Transfusionen auch eine Infektion mit dem AIDS-Virus erfolgt. Die Chance, sich eine Hepatitis-Infektion einzufangen, liegt sogar noch wesentlich höher: Bei 3000 Transfusionen kommt es statistisch gesehen einmal zu einem "Treffer". Eine Infektion mit Hepatitis-Viren (den sogenannten non-A- und non-B-Typen des Virus), kann dann zu einer Leberentzündung führen, mit möglicherweise ernsten Folgen. Blutkonserven sind darüber hinaus nur etwa vier Wochen haltbar, dann tritt zunehmend Hämolyse ein.

Ersatzblut - ein medizinischer Fortschritt? Mit künstlichem Blut soll das anders werden. Amerikanische Wissenschaftler hegen bereits euphorische Erwartungen, daß das Ersatzblut bei bestimmten Erkrankungen oder auch Operationen therapeutisch eingesetzt werden kann. "Wenn die Geschichte der Medizin des 20. Jahrhunderts geschrieben sein wird, dann wird die Entwicklung dieser neuartigen molekularen Sauerstoffträger unter den ,Top Ten' der medizinischen Fortschritte aufgelistet sein. Ganze Lehrbücher der Physiologie werden umgeschrieben werden müssen, wenn diese neuentwickelten Blutersatzstoffe schließlich erhältlich sind und erste klinische Erfahrungen damit vorliegen", meint der amerikanische Wissenschaftler Dr. C. Everett Koop, Leiter des Koop-Instituts am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire. Die "neuartigen molekularen Sauerstoffträger", wie sie Koop nennt, sind Lösungen, die leicht Sauerstoff aufnehmen und wieder abgeben können. Wie natürliches Blut enthalten sie Hämoglobin. Allerdings ist dieser rote Blutfarbstoff nicht in den roten Blutkörperchen verpackt wie bei echtem Blut, sondern frei in Lösung. Die Hämoglobin-Moleküle können nun je nach Erfordernis chemisch vernetzt werden, beispielsweise mit der Substanz 3,5-Dibromosalicyl-Sebacat. Das künstliche Blut erhält dadurch eine Struktur und Konsistenz, die dem natürlichen erstaunlich ähnlich ist. Dieses "Kunstblut" besitzt im Gegensatz zu dem echten natürlichen Blut eine durchweg gleichmäßige Viskosität, unabhängig davon, ob es sich in Gefäßen mit großem Durchmesser oder in Kapillaren befindet.

Nicht ganz künstlich: Hämoglobinmoleküle stammen aus Blutkonserven So ganz künstlich ist das Ersatzblut allerdings nicht. Die Hämoglobin-Moleküle stammen nämlich von Blutkonserven, die ihr Verwendbarkeitsdatum überschritten haben. Aus ihnen wird das Hämoglobin extrahiert. Probleme mit Blutgruppenunverträglichkeiten treten nicht auf; die antigenen Strukturen sitzen bei natürlichem Blut auf der Membranoberfläche der roten Blutkörperchen, und diese sind im Kunstblut nicht vorhanden. Die Lösungen sind allgemein bei jedem Patienten anwendbar und wesentlich länger haltbar. Für solche Blutersatzlösungen ist man jedoch nicht unbedingt auf menschliches Hämoglobin angewiesen; prinzipiell eignet sich dafür auch Hämoglobin aus Rinderblut. Manche Wissenschaftler geben indessen zu bedenken, daß Viren oder virenähnliche Gebilde wie die Erreger der Rinderseuche BSE auf diesem Wege in die Blutersatzlösungen gelangen könnten. Solche Risiken ließen sich jedoch vermeiden, wenn das Hämoglobin auf gentechnischem Weg erzeugt würde. Bakterien oder Hefezellen könnten diese Aufgabe übernehmen, oder gar transgene Tiere. In den USA sollen versuchsweise zu diesem Zweck Schweine gezüchtet worden sein, denen ein Erbmerkmal des Menschen übertragen wurde - das Gen für menschliches Hämoglobin. Angeblich ist dieser Versuch aber wieder aufgegeben worden.

Vollkommen synthetische Substanzen als Blutersatz Als Blutersatz eignen sich auch vollkommen synthetisch erzeugte Verbindungen. An die Stelle der Hämoglobin-Moleküle treten hier als Sauerstoffträger sogenannte Perfluorcarbone, also fluorhaltige Kohlenstoffverbindungen. Solche vollsynthetischen Lösungen sind in den USA schon für bestimmte medizinische Zwecke zugelassen; sie werden beispielsweise bei der Gefäßchirurgie speziell am Herzen eingesetzt. Nachteilig wirkt sich aus, daß diese Moleküle teilweise das Immunsystem belasten. Sie werden vom retikulo-endothelialen System des Körpers als fremd erkannt und alsbald wieder ausgeschieden.

Der Blutersatz der Zukunft? Diese Blutersatzlösungen mit künstlich vernetztem Hämoglobin könnten in Zukunft bei Verletzungen und Operationen eine wichtige Rolle spielen. In Tierversuchen haben sie ihre Feuertaufe schon bestanden. Erste klinische Studien am Menschen werden in den USA und in Europa bereits durchgeführt. Wenn auch derzeit noch vergleichsweise wenig Erfahrungen mit der Anwendung am Menschen vorliegen, sind sich führende Mediziner sicher, daß durch das Kunstblut völlig neue Therapiekonzepte möglich werden. Ihrer Meinung nach beschreibt der Begriff "Blutersatz" (engl. blood substitute) den Sachverhalt nur unzulänglich; besser sei es, von "molecular oxygen therapeutics" zu sprechen. Nach Ansicht von Koop "wird sich die nächste Generation nicht vorstellen können, wie schwer es für uns praktizierende Mediziner war, eine passende Therapie zu finden, bevor diese neuartigen molekularen Sauerstoffträger zur Verfügung standen." Besonders bei Durchblutungsstörungen im Bereich der Kapillaren könnten diese Produkte wertvoll sein. Ärzte und Patienten müssen wahrscheinlich nicht mehr lange warten: Die amerikanische Pharma-Firma Baxter International Inc. will innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Blutersatzlösung auf den Markt bringen, die künstlich vernetztes menschliches Hämoglobin enthält.

Quellen Ruperto Carola - Forschungsmagazin der Universität Heidelberg, Sonderheft Bioregio, "Kunstblut, so gut wie das echte", S. 44-48 (1997). Habler, O. P., K. F. W. Messmer: Artificial oxygen carriers. BailliŹre's Clinical Anaesthesiology 11 (2), 289-300 (1997). Conference Summary: A new generation of oxygen therapeutics. New York City, February 1997 (Stover & Associates, LLC, Stamford, CT 06902).

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