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Ökonom Nefiodow: Gesundheit als Lokomotive

Neben eher kürzeren Wirtschaftsschwankungen in Form von Konjunktur und Rezessionsphasen gibt es lange Zyklen mit rund 40jährigen Perioden in der Marktwirtschaft. Der Ökonom Leo A. Nefiodow vom GMD-Forschungszentrum Informationstechnik im nordrhein-westfälischen Sankt Augustin erläuterte in einem nachdenkenswerten Vortrag die Herausforderungen an unsere Gesellschaft angesichts des bevorstehenden Übergangs von dem jetzigen, den die Informationstechnik prägt, zum nächsten Langzyklus. Seine Prognose: Gesundheit im ganzheitlichen Sinn könnte der Antriebsmotor in der kommenden Aufschwungphase werden.

Die Kondratieff-Zyklen In jedem Strukturwandel ist demnach ein Ordnungsmuster sichtbar, das die Theorie der langen Wellen beschreibt. Nach Angaben von Nefiodow, Autor mehrerer Lehrbücher dazu, werden diese Langzyklen Kondratieffzyklen genannt, in denen die Phasen Prosperität, Rezession, Depression und Erholung immer gleich sind. Zu Beginn steht eine Basisinnovation, die durch überdurchschnittliche Wachstumsraten Zugkraft für den nächsten Aufschwung entwickelt. Waren es Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Erfindung von Dampfmaschinen und Baumwollverarbeitung, die im sogenannten ersten Kondratieff Kleiderfabriken und dadurch Beschäftigung und eine gestärkte Massenkaufkraft nach sich zogen, übernahmen anschließend Innovationen im Stahlbereich und Eisenbahnbau (zweiter Kondratieff) bis Ende des 18. Jahrhunderts die Rolle der Zugmaschine. Für Deutschland waren dies nach Ende des zweiten Weltkriegs die Entwicklungen im Automobilbau sowie der Petrochemie, die den Aufschwung und die günstige Beschäftigungslage bedingten. Allerdings ist nach Worten von Nefiodow bereits vor dem Ende dieser Phase ein Investieren in die nächste Basisinnovation nötig, was in Deutschland wie den anderen europäischen Ländern viel zögernder erfolgt ist als zum Beispiel in den USA mit deren Innovationen in Informationstechnologien.

Hochschulwissen ist nach zehn Jahren veraltet Der Theorie der langen Wellen zufolge ist der fünfte Kondratieff derjenige, in dem wir uns momentan befinden, gekennzeichnet durch Informationsvermittlung. In diesem Zusammenhang verwies der Ökonom in einem Streifzug auf die Tatsache, wie schnell sich derzeit Wissen verdoppelt. Anders formuliert ist demnach Hochschulwissen nach zehn Jahren veraltet, Fachkenntnisse in der Datenverarbeitung sogar nach spätestens zwei Jahren. Deutschland hat seiner Ansicht nach - angesichts der großen Erfolge in der Autobranche - versäumt, sich schnell auf den nächsten Langzyklus umzustellen, der sich seit den 70er Jahren abzeichnete und die Rahmenbedingungen für den Umstieg auf die Informationsgesellschaft zu schaffen, was die USA beispielsweise sehr viel konsequenter taten. So ist etwa im Bereich Mikroelektronik/Halbleiter mit Siemens derzeit nur ein deutsches Unternehmen unter den ersten 20 der Welt. Das zu lange Setzen auf "alte" Industriezweige wie den Automobilbau ist demnach ein Grund für die Schwierigkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Rascher Innovationen einführen Interessanterweise sah der Ökonom das Haupthindernis nicht so sehr in zu hohen Personalkosten, sondern in der mangelhaften Fähigkeit der Unternehmen, rasch mit Innovationen auf den Markt zu kommen. Nur derjenige, der schneller als andere sein Produkt einführt, kann das Produkt optimieren, bis nach Auftauchen des Zweit- und Drittanbieters der damit einhergehende Preisverfall die Rendite wieder sinken läßt. Dies ist derzeit verbunden mit Brüchen herkömmlicher Organisationsstrukturen. Waren in Unternehmen bisher klare Hierarchien vorherrschend, sind heute flexible Entscheidungsstrukturen nötig, bei denen der einzelne in Gruppen eingegliedert ist und mehr als bisher abteilungsübergreifend mit anderen kommunizieren muß. Dies bedeutet, daß neben der nach wie vor nötigen Fachkompetenz "weiche Faktoren" wie Kooperationsfähigkeit und Einsatzbereitschaft immer wichtiger werden, was allerdings in Schulen oder Hochschulen noch nicht systematisch vermittelt wird. In diesem Zusammenhang verwies Nefiodow auf die Kehrseite des modernen Strukturwandels, der viele überfordere. Sichtbar wird dies nicht nur an Drogenproblemen oder Kriminalität, sondern auch an Umweltzerstörung, Gleichgültigkeit, innerer Kündigung von Arbeitnehmern und mangelndem Rechtsbewußtsein auf allen Ebenen, von ihm die destruktiven Märkte oder der entropische Sektor der Gesellschaft genannt.

Gesundheit im ganzheitlichen Sinn verstehen Vor diesem Hintergrund kann Gesundheit, nicht im herkömmlichen sondern im ganzheitlichen Sinn, die Lokomotive für einen neuen Aufschwung sein, so sein Ausblick. Dies bezieht in einem umfassenden Sinn Umweltschutz, Biotechnologie, Psychologie und Religion ebenso wie allgemein alle Krankheitsverursacher mit ein. Kennzeichnend ist das Streben nach einer lebenswerten Umwelt. Gesundheit ganzheitlich gesehen kann seiner Ansicht nach Träger des sechsten Kondratieffzyklusses sein, der mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts zusammenfällt. Konsequenterweise muß dieser Wirtschaftstheorie zufolge hier jetzt investiert werden, um eine tiefe Abschwungphase und noch größere Schwierigkeiten als bisher zu vermeiden.

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