DAZ aktuell

14. Hersbrucker Gespräche: Gesundheitspolitik in der Synthese von Ökonomie und

HERSBRUCK (schle). Die AOK Bayern hatte am 26. und 27. Februar 1998 in ihr Bildungszentrum nach Hersbruck bei Nürnberg eingeladen. Zuletzt hatte die schon traditionelle Veranstaltung im November 1996 stattgefunden. Für die Apotheker waren unter den Grundsatzreferaten besonders die Ausführungen des Vorstandsmitgliedes Heinz Opitz von Bedeutung, ist er doch für das gesamte Vertragswesen inklusive Bayerischen Apothekerverband (BAV) zuständig. Wie Opitz zu erkennen gab, denkt man nun auch in Bayern an die Realisierung der durch § 73 a SGB V möglichen Strukturverträge, mit denen Ärzte für sparsames Verschreiben von Arzneimitteln finanziell belohnt werden.

Strukturdaten der AOK Bayern Mit 3,47 Mio. Mitgliedern - inklusive Familienangehörige knapp 5 Mio. - hat die AOK Bayern einen Marktanteil an der GKV von 49%. 230 000 Arbeitgeber sind sogenannte Firmenkunden. Der Beitragssatz beträgt ab 1. Januar 1997 13,7%, die Gesamtausgaben in 1996 beliefen sich auf 18,06 Mrd. DM. Die AOK Bayern hat 250 Geschäftsstellen, darunter 39 Direktionen, und 12 800 Beschäftigte. Die Verwaltungskosten erreichten 1996 4,43%. Für 1997 liegen erst vorläufige Zahlen vor. Demnach sind - bedingt durch die erhöhten Zuzahlungen der Patienten - die Ausgaben für Arzneimittel von 2211 Mio. DM in 1996 auf 2120 Mio. DM oder auf 95,9% gesunken. Die Aufwendungen für ärztliche Behandlung waren mit 2801 Mio. DM gegenüber 2830 Mio. DM ca. 1% geringer. Faßt man die Ausgaben für Arzneimittel und ärztliche Behandlung zusammen, so machen darin Arzneimittel immer noch 43% aus, ein für die bayerischen Kassen zu hoher Anteil. Für 1998 sind keinerlei Anhebungen des Beitragssatzes vorgesehen. Ende 1998 wird entschieden, ob der Beitrag in 1999 erhöht werden muß.

GKV am Scheideweg - gesundheitspolitische Momentaufnahmen und Perspektiven Bereits Ende 1996 stand fest, daß es trotz aller taktischen und parlamentarischen Finessen der Regierungskoalition nicht gelingen wird, die projektierte 3. Stufe der Gesundheitsreform auch zu zünden. Der sprichwörtliche "Geist von Lahnstein" hatte sich verflüchtigt. Mit der Suche nach zustimmungsfreien Gesetzen ist die notwendige und wünschenswerte zukunftsorientierte Gesundheitspolitik zur konzeptlosen Sparpolitik verkümmert. Dabei wurden gesetzgeberische Veränderungen in der GKV nicht durch gesundheitspolitische Belange bestimmt, sondern durch die Standortdebatte, die Arbeitsmarktentwicklung und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien für die Europäische Währungsunion. Diese Szenerie wird ergänzt durch die Erkenntnis, daß mit der 3. Stufe der Gesundheitsreform ein geradezu epochaler Einschnitt in die 115jährige Geschichte der GKV erfolgte. Bei der "Neuordnung" wurde sie in ihren Grundfesten erschüttert. Mit
• Einführung von Kostenerstattung, Selbstbehaltstarifen, Beitragsrückgewähr
• Privatisierung von Leistungen (Zahnersatz für Jugendliche)
• Einführung neuer und Erhöhung und Dynamisierung bestehender Zuzahlungen und
• alleiniger Finanzierung optionaler Leistungen durch die Versicherten wurden tragende Prinzipien der GKV zur Disposition gestellt; denn konstitutive Elemente der sozialen Krankenversicherung wie das Solidaritätsprinzip, das Sachleistungsprinzip und die paritätische Finanzierung werden berührt.

Wieder schwarze Zahlen Ungeachtet dieser kritischen Überlegungen muß eingeräumt werden, daß sich im Reformjahr 1997 die Finanzlage der GKV zumindest im Westen entspannt hat. Die Krankenkassen schreiben erstmals seit langem wieder schwarze Zahlen. Allerdings wäre ohne die massive Erhöhung der Zuzahlungen ab 1. Januar und insbesondere ab 1. Juli das Defizit weiter deutlich angestiegen. Insofern werden die eigentlich kostentreibenden Strukturprobleme im Gesundheitswesen lediglich übertüncht. Die vermeintlichen und vor allem vom Gesundheitsminister gefeierten "Sparerfolge" gehen in erheblichem Umfang zu Lasten der Versicherten bzw. Kranken. Die positive finanzielle Entwicklung in 1997 hat ihre Ursache aber auch in konsequentem Kostenmanagement bei den Krankenkassen. So stellen sich erfreulicherweise auch Leistungserbringer der gemeinsamen Verantwortung. Es gibt aber auch "Ausreißer"-Positionen, die im Hinblick auf Beitragssatzstabilität Sorge bereiten. Deshalb kann von einer Trendwende keine Rede sein. Einiges spricht dafür, daß der GKV nur eine vorübergehende Verschnaufpause gegönnt ist, denn
• die Ausgabenkosmetik zu Lasten der Kranken greift nur einmal und wird 1998 in den Haushalten der Kassen an Wirkung verlieren,
• die kostentreibenden Strukturprobleme des Gesundheitswesens sind durch die jüngste Gesundheitsreform nicht angegangen worden und bleiben als Kostenrisiko bestehen (Überkapazitäten und Unwirtschaftlichkeiten),
• Sparerfolge sind meist von kurzer Dauer, Bremsen wurde in der Vergangenheit sehr schnell ins Gegenteil verkehrt,
• Krankenkassen verfügen über keine nennenswerten Vermögensreserven,
• das Rentenreformgesetz wird 1999 zu erheblichen zusätzlichen Belastungen der GKV führen und
• mit dem künftigen GKV-Finanzstärkungsgesetz werden die Westkassen bereits 1998 und in weiteren Jahren erheblich belastet.

Nutzung von Einsparpotentialen im Arzneimittelbereich Unter dem Aspekt des § 73 a SGB V werden Verträge mit dem Ziel, Einsparungen im Arzneimittelbereich zu erzielen und die erlösten Gelder zumindest teilweise zur Erhöhung des Einkommens der Vertragsärzte zu verwenden, bundesweit intensiv diskutiert und beraten. Die Ärzteschaft hat ihre bisherige ablehnende Haltung zu solchen Verträgen aufgegeben. Es geht nicht darum, zu Lasten der Versicherten an Arzneimitteln zu sparen oder diese dem Versicherten gar vorzuenthalten. Die medizinisch notwendige Versorgung wird nicht in Frage gestellt, vielmehr sollen Einsparungen u. a. durch
• Vermeidung von Verordnung von Arzneimitteln mit marginalem Nutzen,
• konsequente Nutzung der Preisspielräume des Generikamarktes,
• größtmögliche Zurückhaltung bei medizinisch nicht notwendigen Wunschverordnungen,
• Verordnungsverzicht bei Bagatellbeschwerden,
• Vermeidung von Doppelverordnungen realisiert werden. Mit diesen Argumenten kann auch Vorwürfen der Pharmaindustrie begegnet werden. Durch die Arzneimittelbudgets der Jahre 1995 bis 1997 haften die Vertragsärzte derzeit bei Überschreitung dieser Budgets; ein Strukturvertrag wirkt in die richtige Richtung, weil die Ärzteschaft nicht mehr abgestraft wird, sondern bei sinnvollen Einsparungen im Arzneimittelsektor einen Vorteil erzielen kann. Kritikern solcher Überlegungen muß entgegengehalten werden, daß in Zeiten der nicht mehr beliebig vermehrbaren Finanzmittel von der GKV nach Wegen gesucht werden muß, die vorhandenen Gelder wirtschaftlich einzusetzen. Erst recht dann, wenn das derzeitige hohe Niveau in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung nicht nur über steigende Eigenleistungen des Patienten gesichert werden soll. Die Pharmaindustrie und die Apotheker sehen derartige Strukturverträge als ernsthafte Umsatzbedrohung an. Einige Verbände der Pharmaindustrie haben bereits Maßnahmen gegen solche Verträge angekündigt. Insbesondere der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) wird den Versuch unternehmen, über Medien und Selbsthilfegruppen die Verträge zu stigmatisieren, die eine direkte Verknüpfung von Kosteneinsparungen im Arzneimittelbereich und Vergütungsanhebungen bei Ärzten vorsehen. Es gibt bereits Forderungen der Pharmaindustrie und der Apothekerorganisationen auf aktive Beteiligung an diesen Strukturverträgen. Dazu ist festzustellen, daß der Gesetzgeber eine solche Beteiligung nicht vorsieht. Der während des Gesetzgebungsverfahrens von der ABDA erhobenen Forderung hat der Gesetzgeber nicht entsprochen.

Situation in anderen Bundesländern In Hessen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Brandenburg bestehen bereits entsprechende Verträge zwischen der AOK und den kassenärztlichen Vereinigungen. Konkrete Verhandlungen werden in Schleswig-Holstein und Thüringen geführt. Der Vertrag in Hessen stellt auf Qualitätssicherungsmaßnahmen zur rationalen und rationellen Pharmakotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung ab. Dieses Ziel soll durch Einrichtung von Qualitätszirkeln erreicht werden. Die medizinisch notwendige Versorgung der Versicherten wird nicht in Frage gestellt, sondern ausdrücklich festgeschrieben. Erzielte Einsparungen sollen zu 40% an die Ärzte weitergegeben werden.

Situation in Bayern Es besteht "kassenübergreifend" Einigkeit mit der KBV, daß eine eventuelle Unterschreitung des Arzneimittelbudgets mit den im Jahr 1996 sich ergebenden Budgetüberschreitungen verrechnet wird. Trotz voraussichtlicher Unterschreitung des Arzneimittelbudgets im Jahre 1997 ist kein gravierendes Fehlverhalten der Ärzte im Arzneiverordnungsverhalten festgestellt worden. Vereinzelt aufgetretene Meinungsverschiedenheiten wurden von den Krankenkassenverbänden und der KVB gemeinsam geklärt. Der Vorwurf, Ärzte sparten 1997 an Arzneimitteln zu ihrem finanziellen Vorteil, konnte nicht belegt werden. Für das Jahr 1998, in dem das Arzneimittelbudget durch Richtgrößen abgelöst wurde (siehe dazu DAZ 1998, Nr. 8, S. 23) bestehen auch in Bayern Überlegungen, Minderausgaben im Arzneimittelbereich zur Erhöhung der Arztvergütung einzusetzen. Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns sind aufgenommen worden. Nach Referaten von Herbert Schmaus, Vorsitzender des Vorstandes der AOK Bayern, und Heinz Opitz, Mitglied des Vorstands der AOK Bayern, am 26./27. Februar 1998 in Hersbruck bei Nürnberg.

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