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Venentherapeutika: Sinn oder Unsinn?

Der Sinn einer medikamentösen Behandlung der chronisch venösen Insuffizienz wird seit Jahren heftig diskutiert. Therapie der Wahl ist die Kompressionsbehandlung, daran besteht kein Zweifel. Pharmakologische Hardliner leiten daraus den Schluß ab, Venenmittel, für die zudem der Wirksamkeitsbeleg fehle, seien damit entbehrlich.

So auch die Ansicht von Prof. Dr. Ulrich Schwabe, Heidelberg. Einen Haken hat die Sache allerdings: Die Compliance ist bei der Kompressionsbehandlung erfahrungsgemäß schlecht. Außerdem verlangen viele Patienten vor allem topische Venenmittel, weil sie ihnen subjektiv "gut tun". Der Kliniker Prof. Dr. Curt Diehm, Karlsbad, meint daher, daß Venenmittelin der Praxis durchaus ihre therapeutische Berechtigung hätten. Jede zweite Frau und jeder vierte Mann hat Krampfadern, jeder achte Erwachsene eine fortgeschrittene Venenerkrankung, mehr als 1,2 Mio. ein Ulcus cruris. Venenmittel gehören in Deutschland trotz der Einschränkung der Verordnungsfähigkeit zu den häufig angewendeten Arzneimitteln.

Ziel der Therapie

Die Behandlung der chronisch venösen Insuffizienz zielt darauf ab, die erhöhte Permeabilität der Kapillaren in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung zu reduzieren, um so die Ödembildung zu verringern. Weiterhin sollte die Mikrozirkulation verbessert und die Entstehung von Ulzera verzögert oder verhindert werden. Hierzu werden neben Diuretika und venentonisierenden Substanzen vor allem sogenannte Ödemprotektiva eingesetzt. Die Arzneistoffgruppen, die hierunter zusammengefaßt werden, sind pflanzlicher Herkunft und haben ein geringes Nebenwirkungspotential. Sie wirken antiexsudativ und gefäßabdichtend.

Klinische Studien mit Ödemprotektiva sollten folgende Prüfkriterien beinhalten:

  1. die Reduktion der Ödeme (meßbar durch Abnahme des Knöchelumfangs),
  2. eine Besserung subjektiver Symptome, wie "schwerer Beine", nächtlicher Krämpfe, Schmerzen,
  3. eine günstige Beeinflussung des Ulcus cruris (mehr Patienten mit vollständiger Heilung oder eine Verminderung der Ulcus-Fläche).

Unüberschaubare Zahl der Venenmittel

Die ABDA-Datenbank enthält unter den Venentherapeutika 652 Präparate, davon sind die Hälfte Externa, Homöopathika/Anthroposophika und Organpräparate. 154 Fertigarzneimittel enthalten maximal drei Wirkstoffe. Hauptinhaltsstoffe der 105 oralen Monopräparate sind Roßkastaniensamenextrakt und Oxerutin/Troxerutin. Diese beiden Wirkstoffgruppen sind gegenwärtig in der Literatur, experimentell und klinisch am besten dokumentiert. Prof. Dr. Curt Diehm vom Klinikum Karlsbad-Langensteinbach meint, klinisch geprüfte Venentherapeutika hätten nach jüngsten Studienergebnissen durchaus eine therapeutische Berechtigung. Er berichtete von zwei neuen, unter GCP-Bedingungen durchgeführten prospektiven plazebokontrollierten Doppelblindstudien, die positive Ergebnisse erbrachten.

Die Venostasin-Studie

In der Venostasin-Studie an 240 Patienten mit Veneninsuffizienz und klinisch ausgeprägten Ödemen wurde die Gabe von Roßkastaniensamenextrak (zweimal täglich 50 mg Aescin) als Alternative zur Kompressionsbehandlung geprüft. Nach zwölfwöchiger Behandlung war das Unterschenkelvolumen in beiden Gruppen in annähernd gleichem Ausmaß zurückgegangen. Die geringen Wirkungsunterschiede waren weder klinisch noch statistisch signifikant (43,8 bzw. 46,7 ml). Bei der Bewertung dieses Ergebnisses ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Patienten in der Kompressionsgruppe diuretisch vorbehandelt worden waren und daß die Compliance so hoch war, wie sie in der Praxis kaum zu erwarten wäre. Nach der Literatur liegt sie bei lediglich 47%. Nach dieser Studie sollte die Gabe des Roßkastaniensamenextraktes also zumindest als ebenbürtige Alternative zur Kompressionsbehandlung angesehen werden können.

Die Oxerutin-Studie

In der prospektiven, doppelblinden, randomisierten, multizentrischen Oxerutin-Studie wurden 120 Patientinnen mit chronisch venöser Insuffizienz vom Schweregrad II in zwei Gruppen über zwölf Wochen mit Plazebo bzw. mit zweimal täglich 500 mg Oxerutin behandelt. Alle Patientinnen erhielten zusätzlich eine Kompressionstherapie. Durch die kombinierte Therapie mit Kompression und Oxerutin stellte sich eine statistisch signifikant höhere Ödemreduktion ein als in der Gruppe "Kompression plus Plazebo" (mittlere Ödemreduktion 63,9 ml bzw. 32,9 ml). Außerdem hielt die Wirksamkeit in der Oxerutin-Gruppe in der sechswöchigen Nachbeobachtungsphase im Gegensatz zur reinen Kompressionsgruppe weiter an. Nach dem Ausgang der Studie wäre die geprüfte Kombinationstherapie der alleinigen Kompression gegenüber signifikant überlegen.

Sind Venenmittel entbehrlich?

Für den Heidelberger Pharmakologen Prof. Dr. Ulrich Schwabe, Mitherausgeber des Arzneiverordnungsreports, verändern diese Studien die Bewertung der gesamten Gruppe der Venenmittel jedoch nicht grundlegend. Seiner Auffassung nach sind Arzneimittel sowohl bei Varizen als auch in der Therapie der chronisch venösen Insuffizienz grundsätzlich entbehrlich, wenn die Kompression konsequent durchgeführt wird. Er mußte gleichwohl zugestehen, daß auch deren Wirksamkeit nach wie vor nicht nach dem Stand des Wissens nachgewiesen ist. Für Aescin und die Hydroxyethylrutoside führte er die schlechte Bioverfügbarkeit als therapeutische Nachteile an und warnte außerdem vor der nierenschädigenden Wirkung von intravenös verabreichtem Aescin.
Den Hauptanteil unter den topischen Venenmitteln machen die Heparinpräparate aus. Auch von diesen rät Schwabe ab mit der Begründung, daß Belege über die Resorption fehlten und daß dem umstrittenen Nutzen der Lokaltherapeutika zudem Risiken der Allergisierung und von Kontaktekzemen gegenüberständen.

Was rät man den Patienten?

In welche Richtung sollten die Patienten nun beraten werden? Die praktisch tätigen Apotheker und Apothekerinnen, die sich aus dem Auditorium engagiert zu Wort meldeten, wollten sich mit der von Schwabe propagierten Beschränkung auf die Kompressionsbehandlung und andere Allgemeinmaßnahmen wie Sport und Hochlagerung der Beine nicht so recht abfinden. Zu oft werden sie in der Apotheke vor allem bei älteren, in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkten Patienten mit dem Problem der Non-Compliance konfrontiert. Ganz auf Venenmittel verzichten zu können, scheint demnach in der Praxis kaum realistisch zu sein.

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