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Brainstorming: Konkretere Vorstellungen für Richtgrößen?

Die Möglichkeit, Richtgrößen für den vertragsärztlichen Verordnungsrahmen zu bilden, gibt es schon seit einigen Jahren, allerdings blieb diese Option bislang ungenutzt. Zu schwierig schien die Erhebung der hierfür erforderlichen Daten, zu sehr haben sich die Krankenkassen dagegen gewehrt. Trotzdem soll das ungeliebte Budget nun endgültig weg.

Budgetierungen sind nach Ansicht des Vorsitzenden des Bundestags-Gesundheitsausschusses Dr. Dieter Thomae zwar für eine begrenzte Zeit in der Lage, die Ausgabenentwicklung eines Sektors zu decken, allerdings sei hierfür ein hoher Preis zu zahlen, so meint der Liberale. Schleichend und verdeckt führten sie zur Rationierung von Leistungen. Darüber hinaus seien Budgets als kollektiv wirkende Mechanismen konzipiert, d. h. wirtschaftlich und weniger wirtschaftlich handelnde Ärzte säßen dabei in einem Boot. Das verständliche Anliegen, eine Budgetüberschreitung zu vermeiden, stehe im Widerspruch zu dem individuellen Bemühen, für die eigenen Patienten das beste zu tun. Dieser Konflikt könne nur durch eine kontinuierliche Einschüchterungs- und Disziplinierungskampagne der Kassenärztlichen Vereinigungen unter Kontrolle gebracht werden. Er sei immer davon ausgegangen, daß die Krankenkassen und die KVen sich schon früher um die Ablösung des Budgets durch Richtgrößen bemühen würden, aber offenbar wollten die Krankenkassen das für sie so bequeme Budgetinstrument so leicht nicht mehr aus der Hand geben. Auch wenn das 2. NOG keinen Termin für die Ablösung des Budgets nenne, sei es doch der erkennbare Wille des Gesetzgebers, daß dies umgehend geschieht.

Auch für den Vorsitzenden der KV Südwürttemberg Prof. Dr. Wolfgang Brech ist das Arznei-mittelbudget 1997 obsolet. Daß die Steuerung durch das Budget nicht funktioniert, zeigte er am Beispiel der sog. "umstrittenen Arzneimittel" auf, deren Ausgaben im ersten Quartal 1997 schon wieder gestiegen sind. Brech wies auch auf die Verzerrungen hin, die sich durch das "Heilmitteldesaster" ergäben. Die noch ausgeprägteren Überschreitungen in diesem Bereich hätten durch das Arzneimittelbudget subventioniert werden müssen. Dabei hält er die Ausweitung der Heilmittelverordnungen infolge der Verlagerung stationärer Behandlungen in den ambulanten Bereich und die Zunahme ambulanter Operationen durchaus für gerechtfertigt.

An die Krankenkassen appellierte Brech, endlich Mitverantwortung zu übernehmen. Auch die Versicherten hätten schließlich begonnen umzudenken, was der Ärztevertreter als das wichtigste Ergebnis des "heißen Herbstes" 1996 bezeichnete. Im nächsten Schritt sollten nun zunächst die Negativliste und die Arzneimittelrichtlinien aktualisiert werden, so forderte er. Außerdem solle der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen die Handhabe bekommen, auch wertende Urteile über Therapien zu treffen. Mit den Richtgrößen kämen die Ärzte dann heraus aus der Kollektivverantwortung hinein in die Verantwortung für ihr eigenes Verordnungsverhalten. Brech warnte allerdings eindringlich davor, es bei der Anwendung der Richtgrößen zu "Prüforgien" kommen zu lassen. Das Konzept der KBV sieht eine Dreiteilung in absolute, relative und umstrittene Indikationen vor, wobei die absoluten Indikationen, d.h. die unverzichtbaren Arzneimittel ganz aus der Richtgrößenberechnung herausgehalten werden sollen. Praxisbesonderheiten könnten darüber hinaus durch indikationsbezogene Module berücksichtigt werden. Die Ärzte wünschen sich einheitliche Richtgrößen. Sie sollen kein Wettbewerbsinstrument der Kassen sein. Außerdem sollen die verursachten Ausgaben über einen Zeitraum von mindestens vier Quartalen gegeneinander aufgewogen werden können.

Gerhard Schulte, vormals Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung und Arzneimittel im Bundesministerium für Gesundheit, seit Januar 1996 Vorstandsvorsitzender des BKK Landesverbandes Bayern, verteidigte das Budget als "intelligente" Lösung. Allerdings hätten sich die Vertragspartner frühzeitig Gedanken über die Auswirkungen der demographischen Entwicklung und die Berücksichtigung von Innovationen im Arzneimittelbereich machen müssen. Dabei sieht Schulte hierin noch nicht einmal unbedingt eines der Schlüsselprobleme, wie er am Beispiel Bayern deutlich machte. Dort sei die Bevölkerungszahl in den letzten zehn Jahren von 11 auf 12 Millionen gewachsen, die Zahl der über 65jährigen von 15 auf 15,5%, die Zahl der Ärzte von 29000 auf 41000 und das Verhältnis Einwohner je Arzt drastisch von 370 auf 292 gesunken. Auch die Innovationskomponente hält der Krankenversicherungsexperte nicht für ausschlaggebend. Im Jahr 1995 hätten die Verordnungen sämtlicher in diesem Jahr neu einge-führten Arzneimittel 4,5 Mrd. DM gegenüber Gesamtausgaben für Arzneimittel von 32 Mrd. DM ausgemacht. Der medizinische Fortschritt sei demzufolge also auch nicht das Problem, viel eher wohl die Datenerhebung. Leider seien die Kassen erst in diesem Jahr dazu in der Lage, den Ärzten ihre Verordnungsdaten monatsbezogen zur Verfügung zu stellen, und die Datenerhebung für die Richtgrößen sei noch problematischer. Unabhängig davon glaubt Schulte, daß die Richtgrößen nicht den gleichen Effekt haben werden wie das Budget. Um das gegenwärtige Ausgabenniveau halten zu können, müsse zumindest ein niedriges Richtgrößenniveau angepeilt werden. Vor diesem Hintergrund hält er es auch nicht für wahrscheinlich, daß es schon 1997 oder 1998 zu einer völligen Ablösung des Budgets kommt. Sein Vorschlag geht deshalb dahin, die Richtgrößen zunächst mit der Budgetierung zu verknüpfen und diese vorläufig nur bei Überschreitungen zum Tragen kommen zu lassen.

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