Auch Erfahrung schafft Evidenz

Juniorchef Alexander Wolz verwies bei der Eröffnung des Kongresses auf ein besonderes Jubiläum im Jahr 2025: die Übernahme der Bahnhof-Apotheke durch seinen Vater Dietmar Wolz vor 40 Jahren. Seitdem haben vor allem die Aromamischungen aus Kempten einen festen Platz in der Apothekenlandschaft gewonnen. Ingeborg Stadelmann erinnerte sich an die gemeinsamen Anfänge und bedankte sich für die gemeinsame Weiter­entwicklung ihrer Mittel zur Aromatherapie. Dietmar Wolz dankte vor allem seinem Team, denn zum Aufbau der Apotheke hätten alle gemeinsam beigetragen, darauf sei er sehr stolz.    

  

Rückblick auf eine lange Zusammenarbeit: Dietmar Wolz und Ingeborg Stadelmann (Foto: DAZ/sw)

Evidenz für die Alternativmedizin

Der Kongress startete mit verschiedenen Aspekten zur Evidenz traditioneller, komplementärer und integrativer Medizin (TCIM). Dr. med. Sophia Johnson hinterfragte in ihrem Vortrag, ob es einen Widerspruch zwischen traditionellen Therapien und Evidenz gebe. Ihr Fazit lautete: Nein! Neben der externen Evidenz aus klinischen Studien müsste auch die Erfahrung der Therapeuten und der Wunsch der Patienten in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Sie zeigte an Beispielen auf, dass manches, was Therapeuten früher aus ihrer Erfahrung heraus wussten, heute wissenschaftlich erklärt werden kann.

Dr. med. Irene Schlingensiepen war dem Kongress per Videoübertragung zugeschaltet. Sie betonte, dass es der Wunsch vieler Patienten sei, wenn möglich mit Komplementärmedizin, und wenn nötig mit konventioneller Medizin therapiert zu werden. Außerdem berichtete sie von zunehmender Grundlagenforschung zur Wirksamkeit der Homöopathie. Hier wurde Prof. Dr. Stephan Baumgartner, stellvertretender Direktor des Instituts für Komplementäre und Integrative Medizin in Bern, konkreter. Er stellte eigene Forschungsarbeiten vor, in denen er die Wirkung von Homöopathika beispielsweise an Wasserlinsen oder Apfelbäumen belegen konnte. Außerdem wies er darauf hin, dass es über 700 klinische Studien mit Homöopathika gebe. Sie sind auf der Homepage der Universität Bern gesammelt und öffentlich zugänglich. Baumgartners persönliches Fazit: Die Resultate der klinischen und präklinischen Studien legen nahe, dass es sich bei der Homöopathie um eine wirksame Therapieform handelt.

Bakterien verstummen

Prof. Dr. Jürgen Reichling hat sich in seiner Forschungstätigkeit als Professor am Institut für Pharmazie und molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg unter anderem mit dem antibakteriellen Potenzial ätherischer Öle beschäftigt. In seinem Vortrag erläuterte er zuerst ihre besondere Stärke: Als Vielstoffgemische wirken sie nach einem Multi-Target-Prinzip, greifen also verschiedene Zielstrukturen im Bakterium an. Eine Resistenzentwicklung komme daher nicht vor. Sogar gegen Problemkeime wie MRSA wirken manche ätherische Öle. Als besonders effektiv haben sich Thymol, Carvacrol, Menthol, Zimtaldehyd und Eugenol erwiesen. Auch gegen Biofilme, in die klassische Antibiotika meist nicht eindringen können, sind ätherische Öle wirksam. Sie stören das Quorum Sensing (QS), die Kommunikation zwischen den Bakterien über Signalstoffe, mit der sie die Zelldichte ihrer Population ermitteln. Quorum Sensing gibt den Startschuss für die Bildung des Biofilms, also der Bedeckung der Bakterienpopulation mit einer Polysaccharid-Schleimschicht. Ätherische Öle können die Freisetzung der Botenstoffe verhindern – die Bakterien werden „stumm“, das Quorum Sensing und damit die Bildung des Biofilms unterbrochen.      

Prof. Dr. Florian Stintzing sprach über die Komplexizität der Einstufung ätherischer Öle als Gefahrstoffe. (Foto: DAZ/sw)

Toxikologie von Vielstoffgemischen

„Gefahr versus Risiko – wie finden wir die Mitte?“ war der Vortragstitel von Prof. Dr. Florian Stintzing, Teil der Geschäftsführung und Leiter des Wissenschaftsressorts der Wala Heilmittel GmbH. Er beschrieb die Problematik der Bewertung von Vielstoffgemischen aus Sicht des Gefahrstoffrechts am Beispiel von ätherischen Ölen. Dabei forderte er, dass wieder mehr Wert auf eine individuelle Risikointelligenz gelegt werden müsse, statt überzuregulieren. Gleichzeitig zeigte er auf, dass ein Wissensaufbau und das Liefern valider Daten zur Toxikologie der Naturstoffe nötig sind, um eine Risikoeinschätzung zu erlauben. Als mutmachend bezeichnete er die Einstufung von para-Cymol als reproduktionstoxisch, nicht jedoch von Eukalyptusöl, in dem das Monoterpen enthalten ist. Hier konnte gezeigt werden, dass die Wirkung des Einzelstoffs nicht der Wirkung des Einzelstoffs im Gemisch entspricht. „Da wurde eine kleine Tür aufgestoßen, die aber viel bewirken kann“, so Stintzing hoffnungsvoll.

Unter Tumortherapie auf organische Lichtschutzfilter verzichten

Den Sprung von der Forschung in die Beratung vollführte Dr. rer. medic. David Hauck. Sein Thema war die Hautpflege onkologischer Patienten, vor allem unter Strahlentherapie. Seine wichtigste Botschaft war, dass bereits vor der Behandlung mit der Stärkung der Hautbarriere begonnen werden müsse. Neben praktischen Tipps, zum Beispiel dem Tragen von Seidensocken, warnte er vor den „NoGos“ in der onkologischen Hautpflege: Auf organische Lichtschutzfilter, Parabene und andere Konservierungsmittel, Duftstoffe, starke Emulgatoren, aber auch Fruchtsäuren und starke Peelings sollten die Patienten verzichten. Empfehlenswerte Inhaltsstoffe seien dagegen Betulin aus der Birkenrinde oder das Antioxidans Astaxanthin, mit dem Hautschäden durch die Bestrahlungstherapie vorgebeugt werden könne. Weitere Vorträge aus der Praxis beschäftigten sich mit dem Einsatz verschiedener alter­nativer Therapieformen in der Pflege, in der Palliativmedizin, der Geburtshilfe oder der Kinderheilkunde.     

Alexander Wolz gab den Kongressteilnehmern Einblicke in den Herstellungsbetrieb der Bahnhof-Apotheke Kempten. (Foto: DAZ/sw)

Herstellung im Reinraum

Rund um den Kongress bestand für Interessierte auch die Möglichkeit, die Räumlichkeiten der Bahnhof-Apotheke selbst zu besichtigen. Unter Reinraumbedingungen werden hier die bekannten Aromatherapeutika hergestellt. „Das ist ein viel höherer Standard als wir einhalten müssten – aber da wir ohne Konservierungsmittel produzieren, wollen wir einfach auf Nummer sicher gehen“, erläutert Alexander Wolz das Konzept.