Adhärenzprobleme bei HIV-Therapien durch Injektion lösen?

Eine Vielzahl von HIV-Patienten ist nicht in der Lage, die täglich erforder­liche orale antiretrovirale Medikation einzuhalten. Stigmatisierung, psychische Erkrankungen, Drogenkonsum, instabile Wohnverhältnisse und insbesondere in den USA Versicherungsausfälle stellen diese Patienten vor eine nicht überwindbare Adhärenzbarriere. Eine verringerte Applika­tionsfrequenz speziell in dieser Pa­tientenpopulation könnte zu weniger HIV-Infektionen und Arzneimittel­resistenzen führen [1, 2]. Die duale Injektionstherapie, die seit 2021 in den USA (Cabenuva) und Europa (Vocabria + Rekambys) für die HIV-1-Behandlung zur Verfügung steht, ist nur für Patienten mit einer konstanten Viruslast von weniger als 50 Kopien/ml unter oraler antiretroviraler Therapie zugelassen. Die nicht fixe Wirkstoffkombination aus dem Integrasehemmer Cabotegravir und dem nicht-nucleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Rilpivirin in einer langwirksamen Suspensionsformulierung muss nur jeden oder (mit höherer Wirkstoffkonzentration) jeden zweiten Monat intramuskulär injiziert werden. Damit erhält der HIV-Patient eine vollständige antiretrovirale ­Behandlung [3, 4].

Rolle der Viruslast

Wissenschaftler der University of California nahmen sich des Adhärenzproblems an und untersuchten, ob die langwirksame antiretrovirale Injektionstherapie eine sinnvolle Alternative für Menschen mit Schwierigkeiten bei der täglichen Tabletteneinnahme darstellen könnte.
Dazu werteten sie die elektronischen Daten von Patienten aus, die im Pilotprojekt SPLASH (Special Program on Long-Acting Antiretrovirals to Stop HIV) des Zuckerberg San Francisco General Hospital and Trauma Centers und der University of California einen niederschwelligen Zugang zur langwirksamen HIV-Therapie erhalten [1, 2].
Die Forschenden schlossen für ihre Untersuchung 370 HIV-Patienten ein, davon 241 ohne nachweisbaren Virustiter und 129 mit einer initialen medianen Viruslast von 45.600 Kopien/ml. Das gesamte Kollektiv bestand aus Cis- und Transgenderpersonen unterschiedlicher Ethnie mit stabilen und instabilen Wohnverhältnissen, mit und ohne Drogenkonsum und einem medianen Alter von 44 Jahren. Die Injektionen erfolgten alle zwei Monate, wobei Patienten mit initial nachweisbarer Viruslast zunächst monatlich behandelt wurden.
Ziel der Studie war es, die Viruslast bei Patienten mit und ohne Virämie nach 24 und 48 Wochen Therapie zu vergleichen. Die Ergebnisse wurden nun im Rahmen eines Research Letters in der Fachzeitschrift „JAMA Network Open“ veröffentlicht [1].

Suppression auch bei initialer Viruslast

Nach 24 Wochen konnten die Forschenden bei 97% der Personen mit initialer Virämie eine Senkung der Viruslast ­unter die Nachweisgrenze verzeichnen, nach 48 Wochen bei 98%. In der Gruppe mit initialer Virussuppression zeigten 99% der Patienten zu beiden Zeitpunkten keine nachweisbare Viruslast.
Im beobachteten Studienzeitraum konnte demnach unabhängig vom initialen Virustiter unter langwirksamer Therapie eine Virussuppression erreicht werden. Laut Studienautoren sind die Behandlungsrichtlinien des US-Gesundheitsministeriums und der International Antiviral Society-USA hinsichtlich der neuen Erkenntnisse bereits aktualisiert [1].

Nur Vorteile oder auch Nachteile?

Die Standardempfehlung für die HIV-Therapie nach deutscher Leitlinie sieht bislang ein tägliches orales Ein- oder Mehrtablettenregime aus zwei bis vier kombinierten Wirkstoffen vor. Allerdings ist der Stand der Information von September 2020 – vor Markt­einführung der Injektionstherapie [5].
Ungeachtet der Empfehlung steigt in Deutschland einem Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge die Anzahl an HIV-Patienten mit langwirksamer HIV-Therapie an. Vorteile dieser Behandlungsform sehen die Autoren vor allem für HIV-Patienten, die antiretrovirale Oralia schlecht vertragen oder nicht mit ihrem beruflichen oder privaten Alltag vereinen können und darüber hinaus eine ungewollte Offenlegung ihrer Infektion befürchten.
Mögliche Nachteile liegen laut RKI in der notwendigen vorausschauenden Terminplanung, eingeschränkter Flexibilität, drohender Resistenzentwicklung bei ersatzlosem Therapieabbruch, höheren Zuzahlungen und dem Erfordernis von medizinischem Personal [4]. Letzteres kann jedoch insbesondere für Patienten mit gleichzeitig bestehender psychischer Erkrankung oder Suchtproblematik die Möglichkeit einer besseren Betreuung ­bieten [2].

Literatur

[1] Spinelli MA, Heise MJ, Gistand N et al. HIV viral suppression with use of long-acting antiretroviral therapy in people with and without initial viremia. JAMA. 2025:e250109.
[2] Gandhi M, Hickey M, Imbert E et al. Demonstration project of long-acting antiretroviral therapy in a diverse population of people with HIV. Ann Intern Med. 2023;176(7):969-974.
[3] Prescribing information Cabenuva. ViiV Healthcare, revised: 9/2024.
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2024/212888s015lbl.pdf
[4] Schmidt D et al. Wie steht es um die Long Acting-Therapie in Deutschland? – Zahlen zu Verordnungen von Cabotegravir in Deutschland. Epidemiologisches Bulletin. 2023;25.
[5] Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion, AWMF 055-001, Version 9. Stand 9/2020.