Kommt ein Paradigmenwechsel in der Kardiologie?
Daten, die einen Benefit für die Betablocker-Gabe nach einem Herzinfarkt, nämlich eine Abnahme der Mortalität, gezeigt haben, stammen aus den 1980er-Jahren und schlossen Patienten mit großen Infarkten und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion ein. Die Studien stammen allerdings aus einer Zeit, in der Biomarker-basierte Diagnosen, Statin-Therapien und Reperfusionsbehandlungen noch nicht zur Verfügung standen. In der Folge wird in mehreren Studien der Nutzen einer routinemäßigen Gabe eines Betablockers nach einem Herzinfarkt bezweifelt, was aber nicht in die Therapieempfehlungen gängiger Leitlinien einfloss. Nun befassten sich gleich zwei große Studien mit dem Thema Betablocker und Herzinfarkt. Beide werden in kardiologischen Fachkreisen und in der Tagespresse diskutiert. Die eine Fragestellung lautet, ob Betablocker nach einem Herzinfarkt überhaupt gegeben werden sollen (REDUCE-AMI-Studie), die andere, ob ein Abbruch einer Betablocker-Therapie nach einem Myokardinfarkt sicher ist (ABYSS-Studie; s. Tabelle).
| REDUCE-AMI | ABYSS | |
| Studientyp | offene, randomisierte, multizentrische Parallelgruppen-Studie | offene, randomisierte, multizentrische Nichtunterlegenheitsstudie |
| Probanden | 5020 Teilnehmer mit akutem Myokardinfarkt und normaler linksventrikulärer Ejektionsfraktion | 3698 Teilnehmer mit frühem Myokardinfarkt und normaler linksventrikulärer Ejektionsfraktion |
| Intervention | Betablocker (Metoprolol oder Bisoprolol) vs. kein Betablocker | Fortführung der Therapie mit einem Betablocker (u. a. Bisoprolol, Acebutolol, Atenolol) vs. Unterbrechung der Therapie |
| primärer Endpunkt | Tod aufgrund jeglicher Ursache oder ein erneuter Herzinfarkt | Kombination aus Tod, nicht-tödlichem Myokardinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall oder Hospitalisierung aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse |
| medianes Follow-up | 3,5 Jahre | 3 Jahre |
REDUCE-AMI: Sollen Betablocker überhaupt gegeben werden?
Auf den ersten Blick änderte die Einnahme von Betablockern wenig bis nichts an den Studienendpunkten. Tod oder erneuter Myokardinfarkt traten bei 199 Patienten (7,9%) unter der Betablocker-Therapie und bei 208 (8,3%) unter keiner Betablocker-Einnahme auf (Hazard Ratio [HR] = 0,94). Auch wurde die Inzidenz sekundärer Endpunkte durch die Betablocker-Gabe nicht wesentlich gesenkt (Tod jeglicher Ursache 3,9% vs. 4,1%; Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursache 1,5% vs. 1,3%; Myokardinfarkt 4,5% vs. 4,7%; Hospitalisierungen aufgrund von Vorhofflimmern 1,1% vs. 1,4% und Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz 0,8% vs. 0,9%). Auch hinsichtlich der Sicherheitsendpunkte ließen sich keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Aufgrund dieser Ergebnisse kommen die Studienautoren zum Schluss, dass nach einem Myokardinfarkt und normaler linksventrikulärer Ejektionsfraktion eine Betablocker-Therapie die Häufigkeit erneuter Myokardereignisse oder von Todesfällen nicht beeinflusst [1].
Subgruppen-Analyse weist auf erhöhtes Depressionsrisiko
In der REDUCE-AMI-Studie wurde auch das Auftreten von Ängsten und Depressionen erfasst. In einer präspezifizierten Subanalyse gingen die Daten von 806 Herzinfarktpatienten ein; die eine Hälfte hatte Betablocker eingenommen, die andere nicht. Zur Einschätzung depressiver Symptome und Angstsymptome wurde die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) eingesetzt; die Befragung erfolgte jeweils bei der Krankenhausaufnahme sowie sechs bis zehn beziehungsweise 12 bis 14 Monate nach dem Myokardinfarkt. Zu Beginn klagten 27% über Angstsymptome und 14% über Depressionen. Die Behandlung mit Betablockern hatte keinen Einfluss auf Angstsymptome, jedoch einen moderaten Effekt auf die Depressionssymptome bei der ersten Nachuntersuchung (plus 0,48 Punkte auf einer Skala mit maximal 21 Punkten) und ein Plus von 0,41 Punkten bei der zweiten Nachuntersuchung [2].
ABYSS: Therapieabbruch sicher?
Der Abbruch einer Langzeit-Therapie mit einem Betablocker bei Patienten nach einem Herzinfarkt und erhaltener Auswurffraktion ist im Vergleich zu einer Fortführung der Therapie nicht gänzlich risikofrei und mit keiner Verbesserung der Lebensqualität verbunden. Ein Ereignis des primären Endpunktes trat bei 23,8% der Patienten in der Abbruch-Gruppe und bei 21,1% in der Interventions-Gruppe ein. Das absolute Risiko unterschied sich um 2,8 Prozentpunkte (HR = 1,16), und die Nichtunterlegenheit konnte nicht nachgewiesen werden. Betrachtet man einzelne Komponenten des primären Endpunktes, so mussten mehr Patienten in der Abbruch-Gruppe aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses hospitalisiert werden (18,9% vs. 16,6%). Der Abbruch der Medikation war nach sechs Monaten mit einem Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz verbunden. Entgegen den Erwartungen verbesserte der Therapieabbruch die
Lebensqualität nicht [3].
Stoppen oder nie starten?
Beide Studien wurden auf Fachkongressen vorgestellt und diskutiert; die ABYSS beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) und die REDUCE-AMI-Studie bei der Jahrestagung des American College of Cardiology (ACC). Vereinfacht ausgedrückt, spricht sich die REDUCE-AMI-Studie für kein Einleiten einer Therapie mit Betablockern bei „gesunden Herzinfarktpatienten“ aus, die ABYSS-Studie spricht sich gegen eine Therapieunterbrechung aus. Die Ergebnisse beider Studien wurden auch unter Kardiologen diskutiert, um deren teilweise Widersprüchlichkeit zu erklären [4]. Von den Ergebnissen weiterer großer Studien (BETAMI-DANBLOCK, SMART-DECISION, REBOOT) erhofft man sich abschließende Erkenntnisse.
Literatur
[1] Yndigegn T et al. Beta-Blockers after Myocardial Infarction and Preserved Ejection Fraction. N Engl J Med 2024;390(15):1372-1381, doi: 10.1056/NEJMoa2401479
[2] Leissner P et al. Short- and long-term effects of beta-blockers on symptoms of anxiety and depression in patients with myocardial infarction and preserved left ventricular function: a pre-specified quality of life sub-study from the REDUCE-AMI trial. Eur Heart J Acute Cardiovasc Care 2024:zuae112, doi: 10.1093/ehjacc/zuae112
[3] Silvain J et al. ABYSS Investigators of the ACTION Study Group. Beta-Blocker Interruption or Continuation after Myocardial Infarction. N Engl J Med 202:391(14):1277-1286, doi: 10.1056/NEJMoa2404204
[4] What Now for Beta-Blockers Post-MI? Reconciling REDUCE-AMI and ABYSS. Kommentar von Michelle L. O‘Donoghue und Gilles Montalescot auf Medscape vom September 2024, https://www.medscape.com/viewarticle/what-now-beta-blockers-post-mi-reconciling-reduce-ami-and-2024a1000fz1 (Aufruf am 04.12.2024)