INTERPHARM HEIMVERSORGUNG KOMPAKT

Wie ab 2030 die Heimversorgung aussehen könnte

Stuttgart - 15.03.2024, 15:15 Uhr

Prof. Dr. Reinhard Herzog beschreibt, wie die künftige Begleitung der Patienten aussehen könnte. (Foto: DAZ / Moritz Hahn)

Prof. Dr. Reinhard Herzog beschreibt, wie die künftige Begleitung der Patienten aussehen könnte. (Foto: DAZ / Moritz Hahn)


Wird der größte Wertschöpfungsbeitrag der Apotheken auf längere Sicht immer noch darin liegen können, Schachteln von A nach B pharmazeutisch kommentiert zu bewegen? Wird es noch Sinn machen, teuer konfektionierte Fertigarzneimittel aufwendig in Einzeldosierungen umzupacken, oder zeichnen sich bessere Lösungen ab? Und wie könnte eine Honorierung in der Heimversorgung künftig aussehen? Prof. Dr. Reinhard Herzog hat Zukunftsszenarien entworfen.

Unsere Alten- und Pflegeheime beherbergen etwa 800.000 stationär untergebrachte Bewohnerinnen und Bewohner, die bei Pro-Kopf-Umsätzen von typischerweise 1200 bis 1500 Euro für gut eine Milliarde Euro Netto-Apothekenumsatz stehen, und damit für weniger als 2 Prozent des gesamten Apothekenmarktes.

Der ambulante Sektor ist groß

Weit größer ist der ambulante Sektor mit über 4 Millionen zu Hause versorgter Pflegebedürftiger einzuschätzen, er beträgt an die 5 Milliarden Euro. Gerade für diese Klientel stellt sich versorgungspolitisch zum einen die Herausforderung, möglichst lange in der heimischen Umgebung bleiben zu können, also den Alterungsprozess bestmöglich zu verzögern. Zum anderen ist eine möglichst komfortable und sichere, individuell angepasste Medikation ambulant von eher noch größerer Bedeutung als in den Heimen mit ihrer höheren Betreuungsdichte.

Technologisch sind Individualdosierungen bereits vorteilhafter darstellbar als die heutige Schlauch- und Kartenverblisterung von Fertigarzneimitteln. Während über die Möglichkeiten des 3-D-Drucks alle sprechen und es bereits Pilotprojekte gibt, sind Mikropellets weniger bekannt. Mit ihnen könnte aber das Ziel einer angenehm einzunehmenden, individuell dosierbaren Mischung verschiedener Wirkstoffe ebenfalls erreicht werden. Hinsichtlich wirkstoffspezifischer Freigabesteuerung sowie der Produktionsgeschwindigkeit patientenangepasst zusammengestellter Tagesdosen weisen die Pellets einige Vorteile auf. Alle diese neuen Verfahren haben jedoch noch etliche regulatorische Hürden zu überwinden, dennoch erscheint ihr praktischer Einsatz in der Apotheke absehbar.

Automatisierte Abläufe auf der Beratungsebene

Auf der Beratungsebene werden Themen wie Arzneimittelchecks zu Neben- und Wechselwirkungen bis hin zur umfassenden Therapieoptimierung zunehmend automatisiert ablaufen können. Dies ist technisch vor allem eine Frage der Verknüpfung möglichst vieler und detaillierter Patientendaten, deren Digitalisierung voranschreitet. Je leistungsfähiger und je stärker die Therapie beeinflussend, umso höher werden aber auch hier die regulatorischen Anforderungen an die entsprechende Software, was die Apotheken insoweit noch ein wenig länger „händisch“ im Spiel hält. 

Nochmals spannender wird die Rolle der Apotheken, wenn sie im Sinne eines „Lebenspfad-Modells“ und „Health Risk-Managements“ ihre Patienten möglichst frühzeitig in Abstimmung mit den Ärzten und anderen Gesundheitsberufen intensiv begleiten, um deren Altern möglichst weit herauszuschieben oder zumindest das Abgleiten in höhere, viel teurere Pflegestufen zu verzögern – Longevity als Modebegriff. Hierin liegt ein enormes volkswirtschaftliches Potenzial. Damit sollten sich die Honorarmodelle wandeln. Im Zusammenwirken mit oben ausgeführten neuen Technologien der Individualdosierung bieten sich beispielsweise Tages-Versorgungspauschalen in verschiedenen Abstufungen je nach Fallschwere an. Die reinen Wirkstoff- und Material­kosten sind demgegenüber meist nachrangig.

Enorme Möglichkeiten mithilfe der künstlichen Intelligenz

Angesichts der Vielzahl der zu erwartenden Entwicklungen (s. Abb.) stehen Umbrüche an, von den enormen Möglichkeiten der IT mitsamt voranschreitender künstlicher Intelligenz bis hin zur langfristig schwindenden Bedeutung der heutigen, klassischen Arzneischachteln im Zuge neuer, kurativer und kausal ansetzender Therapieverfahren. Die Versorgung 2030 und in den Jahren danach bietet jedenfalls enorme Chancen – wenn man sie erkennt und zu nutzen weiß. Da diese Entwicklungen prozesshaft über längere Zeit verlaufen, werden sich noch etliche Zeitfenster auftun. Aber es zeichnen sich auch Verliererwege ab, wenn man nicht mit den Innovationen Schritt hält.

Zeitstrahl möglicher Entwicklungen in der Versorgungslandschaft (R. Herzog)

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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