Interview mit ABDA-Abteilungsleiterin Uta Müller

ARMINs Erbe – was bleibt vom ABDA-Prestigeprojekt?

Berlin - 30.06.2022, 07:00 Uhr

Wirkstoffverordnung und Medikationsplan sind zwei wesentliche Elemente im Modellprojekt ARMIN. (c / Foto: ABDA)

Wirkstoffverordnung und Medikationsplan sind zwei wesentliche Elemente im Modellprojekt ARMIN. (c / Foto: ABDA)


Am heutigen Donnerstag endet die Arzneimittelinitiative Sachsen Thüringen – in diesem Modellprojekt managten Ärzte und Apotheker gemeinsam die Medikation ihrer Patienten mithilfe des elektronischen Medikationsplans. Die DAZ zog mit Uta Müller, Leiterin der Abteilung für wissenschaftliche Entwicklung bei der ABDA, ein erstes Fazit.

DAZ: Frau Müller, Sie haben das Modellprojekt ARMIN von Beginn an begleitet. Was genau waren Ihre Aufgaben?

Müller: Ich durfte das Projekt von Anfang an maßgeblich mit entwickeln und gestalten. Im Jahr 2009 begannen die Fachgespräche mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in denen es insbesondere darum ging, die Rolle von Arzt und Apotheker beim Medikationsmanagement zu definieren. Auch damals stand für uns bereits das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit im Fokus. Unsere Gespräche mündeten 2011 in das sogenannte ABDA-KBV-Modell, das zunächst nur ein Eckpunktepapier war, aber doch schon die drei Säulen enthielt, auf denen ARMIN fußt: die Wirkstoffverordnung, der Medikationskatalog und das Medikationsmanagement mit dem Commitment von KBV und ABDA, dass sich Arzt und Apotheker gemeinsam die Verantwortung für die AMTS teilen. Als es dann um die praktische Umsetzung ging, habe ich mit meinem Team zum Beispiel Projekt- und Arbeitsgruppen geleitet und unterstützt, Vertragsverhandlungen begleitet, und ein Konzept für die Schulungen der Apothekerinnen und Apotheker entwickelt. Auch das Erheben und Auswerten der Daten fiel in unseren Aufgabenbereich sowie die Zusammenarbeit mit den externen Evaluatoren, der Uni Heidelberg und dem Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua-Institut) in Göttingen.

Dr. Uta Müller (Foto: privat)

Zur Person

Dr. Uta Müller ist Apothekerin und PTA. Sie leitet seit 2012 die Abteilung für wissenschaftliche Entwicklung im Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA. Zuvor war sie acht Jahre lang Referentin für chronische Erkrankungen bei der ABDA, ihre Promotion erhielt sie im Jahr 2004 an der Humboldt-Universität Berlin im Bereich Arzneimittelepidemiologie / Sozialpharmazie. Zudem absolvierte sie Weiterbildungsstudiengänge in Gesundheitsökonomie und Public Health. Im Juni 2022 erhielt sie im Zusammenhang mit ARMIN die Trommsdorff-Medaille der Landesapothekerkammer Thüringen und des Thüringer Apothekerverbands für ihre besonderen Verdienste um die Thüringer Apothekerschaft. (Quelle: dapi.de)

Bleiben wir gleich beim Stichwort Evaluation: Auf die Ergebnisse aus ARMIN wartet die Apothekerschaft nun schon sehr lange. Wann ist mit einer Veröffentlichung zu rechnen?

Kleine Teilauswertungen sind bereits erschienen, die Hauptpublikation haben wir kürzlich bei einem Journal zur Veröffentlichung eingereicht. Derzeit wird sie geprüft, allerdings ist schwer zu sagen, wie lange dieser Prozess dauern wird. Die Corona-Pandemie fordert gerade überall viele Kapazitäten. Wenn unsere Publikation angenommen ist, werden wir in einer Pressekonferenz über die Ergebnisse informieren.

Geben Sie uns vorab einen kleinen Einblick?

Leider kann ich vor der Veröffentlichung nicht viel dazu sagen. Was ich aber verraten kann, ist, dass die Ergebnisse sogar besser sind als das, was wir uns erhofft haben. Sie überzeugen auf ganzer Linie und zeigen, dass die Patienten wirklich profitieren. Auch die involvierten Ärzte und Apotheker bewerten die strukturierte Zusammenarbeit überaus positiv. Bei den Ärzten kommt es sehr gut an, dass die Apotheken ihnen die Ergebnisse ihrer Startintervention, die im Wesentlichen der Medikationsanalyse entspricht, strukturiert, geprüft und aus pharmazeutischer Sicht bewertet zur Verfügung stellen.

Diese Wertschätzung kommt aktuell bei der Debatte um die pharmazeutischen Dienstleistungen, zu denen auch die Medikationsanalyse zählt, nicht so richtig rüber. Was ist Ihre Erfahrung aus ARMIN: Wie kann man die Ärzte davon überzeugen, dass eine solche Zusammenarbeit sinnvoll ist?

Ich kann den Kollegen vor Ort nur empfehlen, das Gespräch mit den Ärzten zu suchen und die Kommunikation abzustimmen. Dafür haben wir bei ARMIN einen Standard entwickelt, der sehr gut funktioniert, der aber auf einem System basiert, das den Kollegen außerhalb des Modells nicht zur Verfügung steht. Es gilt also nun individuell zu klären, welche Information der Arzt wie aufbereitet in welcher Frequenz über welche Kanäle wünscht. Mehrmals am Tag anzurufen oder ungefragt seitenweise Ausdrucke zu einer Interaktion aus der ABDA-Datenbank rüberzufaxen, wäre natürlich kontraproduktiv. Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass es für die Kommunikation von vornherein eine klare Struktur gibt, aber das gibt das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz leider nicht her. Darin ist nur die Apothekenseite geregelt.

Also sind die pharmazeutischen Dienstleistungen nur ein erster Schritt auf dem Weg zum Medikationsmanagement à la ARMIN?

Natürlich ist es unser Ziel, ein strukturiertes Medikationsmanagement zusammen mit den Ärzten aufzubauen, da müssen wir mittelfristig unbedingt hin. So umfassend wie in ARMIN wird es in der Fläche aber wohl nicht gehen, dafür ist das Prozedere zu aufwendig. Und nicht jeder Patient braucht es tatsächlich – für manche wird auch eine erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation, wie die neue Dienstleistung korrekterweise heißt, ausreichend sein. Wichtig ist aber, dass auch auf dieser Stufe bereits ein strukturiertes Zusammenarbeiten nötig ist. Ideal wäre es, wenn man in einem zweistufigen Prozess auf beiden Ebenen ein gemeinsames Vorgehen hinbekommen würde. Eine Medikationsanalyse durchzuführen, ist häufig sinnlos, wenn der Arzt nicht über die für ihn relevanten Ergebnisse auf geeignete Weise informiert wird.

Meilensteine der Arzneimittelinitiative Sachsen Thüringen

2009: erste Gespräche zwischen ABDA und KBV

2011: die Partner legen die Eckpunkte zum sogenannten ABDA-KBV-Modell vor

2014: die ersten Ärzte und Apotheker erklären ihre Teilnahme, es starten die Module Wirkstoffverordnung und Medikationskatalog

2016: die ersten Patienten schreiben sich ein, Start des Medikationsmanagement

2022: Ende des Projekts – insgesamt haben sich etwa 7.000 Patienten und jeweils rund 300 bis 350 Ärzte und Apotheker beteiligt

Wie haben Sie in ARMIN den Informationsaustausch zwischen Apotheke und Praxis organisiert?

Der Austausch lief über den elektronischen Medikationsplan. Als wir mit ARMIN gestartet sind, gab es allerdings noch keine Telematik-Infrastruktur, also mussten wir uns die technische Umgebung komplett selbst aufbauen. Das war extrem aufwendig. Hier haben wir der AOK PLUS sehr viel zu verdanken, die dies federführend umgesetzt hat. Zudem waren wir auf die Mithilfe der Praxis- und Apothekensoftware-Hersteller angewiesen. Die AVS-Hersteller haben das wirklich sehr gut hinbekommen, bei den PVS-Herstellern gab es einige Schwierigkeiten, ähnlich, wie wir es derzeit beim E-Rezept erleben. Diese technischen Aspekte zählen zu den Hauptgründen, weshalb das Projekt so viel Zeit in Anspruch genommen hat. Wir haben einen extra Server ins sichere Netz der KVen integriert, das war damals das Sicherste, was möglich war. Über diesen Server konnten Apotheken und Praxen Medikationspläne miteinander austauschen. Wenn die Apotheke zum Beispiel ein arzneimittelbezogenes Problem identifiziert hatte, konnte sie dem Medikationsplan einen Kommentar hinzufügen – allerdings haben wir die Zeichenzahl bewusst begrenzt, um die Kollegen anzuhalten, sich kurzzufassen. Für sehr komplexe Fälle war das natürlich nicht geeignet, da mussten Arzt und Apotheker auch mal miteinander telefonieren. Die Apotheke hatte dabei pro Patienten nur einen Ansprechpartner, meist war das der Hausarzt. Dieser koordinierende Arzt hat dann wiederum die anderen Verordner informiert.

Wäre eine Form des Austausches wie in ARMIN heute über die TI möglich?

Grundsätzlich ja. Auch das KV-Safe-Net ist ja in der TI aufgegangen und der ARMIN-Server lief zum Ende des Projekts hin darüber. Aber um in der TI für alle diese Möglichkeit zu schaffen, müssten erst noch entsprechende bundesweite technische Standards festgelegt werden und die Praxis- und Apothekensoftware-Hersteller müssten ihre Produkte daran anpassen. Wir haben in ARMIN Formate genutzt, die es den Teilnehmenden ermöglicht haben, die Medikationspläne direkt in ihren Praxis- und Apothekensystemen zu nutzen, etwa für einen Wechselwirkungscheck, und zu bearbeiten.

Sie haben sich bei ARMIN auch mit dem Thema Honorar beschäftigt. Zuletzt bekamen die Apotheken für die Startintervention etwa 115 Euro, je Medikationsanalyse wird es laut Schiedsspruch 90 Euro geben. Ist das Ihrer Erfahrung nach für den entstehenden Aufwand genug?

Es ist ein Kompromiss. Das war leider das Maximum dessen, was wir erreichen konnten. Die ARMIN-Vergütung ist schon eher realistisch, wenn man ehrlich ist.

Halten Sie es für gerechtfertigt, dass die Ärzte sich über das Honorar der Apotheken für die Dienstleistungen, speziell die Medikationsanalyse, beklagen?

Nein, absolut nicht. Wir hatten für die Dienstleistungen ursprünglich mit dem ärztlichen Honorar kalkuliert, die errechnete Vergütung wurde aber im Laufe des Schiedsverfahrens deutlich reduziert. Diese Kürzung hat sich die Schiedsstelle hergeleitet, indem sie das Gehalt eines Krankenhausapothekers mit dem eines Oberarztes verglich. Es ist also definitiv nicht so, dass die Vergütung der Apotheken über jener der Ärzte liegen würde, im Gegenteil, sie liegt ein ganzes Stück darunter. Auch der Vergleich mit einzelnen EBM-Ziffern ist inhaltlich falsch, weil die Praxen viele Pauschalen und Grundhonorierungen erhalten, die man dann einrechnen müsste. Das ist aber praktisch nicht machbar, da sich diese Pauschalen sehr komplex zusammensetzen. Auch die Schiedsstelle hat Abstand davon genommen, das auf die Apothekenhonorierung zu übertragen.

Wie wurden Ärzte und Apotheker bei ARMIN bezahlt?

Bei ARMIN haben Ärzte und Apotheker das gleiche Geld bekommen, allerdings mussten die Ärzte dafür weniger Zeit aufwenden als die Apotheker. Umgerechnet auf die Minute haben folglich auch bei uns die Ärzte deutlich besser verdient als die Apotheker.

In ARMIN ist für die Vergütung der Ärzte und Apotheker eine Dynamisierung eingebaut. Wonach richtet sich diese und warum hat die Schiedsstelle bei ihrer Entscheidung zu den pharmazeutischen Dienstleistungen darauf verzichtet?

Die Dynamisierung bei ARMIN richtet sich nach der Grundlohnsumme, weil das Medikationsmanagement sehr personalaufwendig ist und uns diese Richtgröße daher plausibel erschien. Zudem berücksichtigt sie ein Stück weit auch die Inflation, die damals allerdings kaum eine Rolle gespielt hat. Solch einen Mechanismus hätten wir bei den Dienstleistungen auch gern gehabt, die Schiedsstelle hat dies aber abgelehnt. Obwohl es während der vergangenen Jahre so gut wie keine Inflation gab, führte die Dynamisierung dennoch durch die Veränderungen bei den Löhnen zu vielen kleinen Anpassungen der Vergütung nach oben. Gestartet sind wir im Jahr 2016 mit einer Vergütung von 97,30 Euro, inzwischen gibt es knapp 115 Euro für die Startintervention. Es wäre wichtig gewesen, wir hätten bei den Dienstleistungen einen ähnlichen Mechanismus durchbringen können, gerade mit Blick auf das aktuelle Inflationsgeschehen, aber das war schlichtweg nicht verhandelbar.

Mit ARMIN ist jetzt Schluss – wie geht es weiter? Was passiert mit den Ergebnissen, wenn sie veröffentlicht sind? Hat die ABDA schon einen Plan in der Schublade, wie man das Projekt Medikationsmanagement vorantreiben wird?

Die ABDA hält unbedingt an dem Ziel fest, das Medikationsmanagement bundesweit auszurollen. Es ist im Grunde alles nach Plan gelaufen: Wir haben das ABDA-KBV-Modell entworfen, die Politik war interessiert und hat uns aufgefordert, es umzusetzen. Das haben wir getan und wir haben gezeigt, was das Medikationsmanagement den Patienten wirklich bringt. Jetzt geben die beteiligten Länder mit dem Ende des Projekts die Verantwortung zurück an den Bund und wir müssen nun schauen, wo wir Unterstützung bekommen. Klar ist: Ohne die Ärzte geht es nicht – aber wir werden sicher auch auf politischer Ebene für unsere Anliegen werben.

Frau Müller, vielen Dank für das Gespräch.


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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