Mineralstoffe und Algen für die Augen

Münchener Apotheker entwickelt Nahrungsergänzungsmittel

Stuttgart - 06.12.2021, 07:00 Uhr

Apotheker Berthold Pohl hat Fucovision auf Anregung einen Augenarztes von der TU München entwickelt. (Foto: Rainer Munzert)

Apotheker Berthold Pohl hat Fucovision auf Anregung einen Augenarztes von der TU München entwickelt. (Foto: Rainer Munzert)


Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine der Hauptursachen für Erblindung bei über 50-Jährigen in Industriestaaten. Ein erhebliches Potenzial bei der Behandlung wird bestimmten Inhaltsstoffen aus Braunalgen zugeschrieben, den Fucoidanen. Apotheker Berthold Pohl aus München hat sich gemeinsam mit einem Augenarzt von der TU München Gedanken gemacht, wie man dieses Potenzial nutzen und Patienten zugänglich machen kann. Das Ergebnis ist das Nahrungsergänzungsmittel Fucovision.

Apotheker Berthold Pohl, Inhaber der Max-Weber-Platz-Apotheke im Herzen von München, ist ein eher umtriebiger Kollege. Schon mehrfach hat er mit selbst entwickelten Rezepturen und ähnlichem auf sich aufmerksam gemacht. So hat er sich Gedanken über eine alternative Prüfvorschrift für Cannabisextrakt gemacht, weil die bestehende in seinen Augen nicht wirklich funktioniert und aufgrund der teuren Referenzsubstanzen unter Umständen für den niedergelassenen Apotheker ein Verlustgeschäft darstellt. Außerdem hat er vor einiger Zeit eine Camouflage-Kapsel entwickelt, um bitter schmeckende Wirkstoffe zu maskieren – sie hat einen Mantel aus Schokolade, der mit unterschiedlichen Arzneistoffen beladen werden kann. Zuletzt hat er mit der „Hamburger Lösung“, Kosmetikum zur Anwendung in der Mundhöhle nach HNO-ärztlicher Rezeptur, ein Produkt bis zur Marktreife gebracht. Pohl vermarktet es über sein eigenes Unternehmen Lighthouse Pharma.

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Sein neuestes Produkt ist ein Nahrungsergänzungsmittel für die Augen. Es ist entstanden auf Anregung von Professor Chris Lohmann, Chefarzt der Augenklinik im Klinikum Rechts der Isar in München, der völlig unerwartet im September verstorben ist. „Er war Stammkunde bei mir in der Apotheke“, erzählt Pohl im Gespräch mit der DAZ – seine Apotheke liegt unweit des Klinikums. „Er wusste, dass wir viel Rezeptur machen und da auch Neues ausprobieren. Deswegen kam er mit seiner Idee auf mich zu,“ so der Apotheker weiter.

Antioxidative Eigenschaften und VEGF-hemmende Wirkung

Lohmann, ein international angesehener Netzhaut-Chirurg, legte in Forschung und Therapie auch einen Schwerpunkt bei der altersbedingten Makuladegeneration. Besonders spannend fand er Erkenntnisse aus der Forschung an maritimen Algen: Sie enthalten Fucoidane, die zum einen antioxidative Eigenschaften aufweisen, zum anderen VEGF-hemmende Wirkung haben und dabei im Gegensatz zu anderen VEGF-Hemmstoffen, die in der Therapie der AMD einen festen Platz haben, oral verfügbar sind (siehe Kasten).

Was sind Fucoidane?

Fucoidane sind als Strukturpolysaccharide in den Zellwänden und der Interzellularsubstanz von Braun- und Rotalgen enthalten. Strukturell handelt sich dabei um sulfatierte Polysaccharide basierend auf dem Zucker Fucose. Die molekulare Struktur des jeweiligen Fucoidans variiert in Abhängigkeit der (Braun)-Algenspezies.

Braunalgen finden seit langem Verwendung in der ostasiatischen Küche. Als Quellen von insbesondere mineralischen Mikronährstoffen werden sie als Nahrungsergänzungsmittel genutzt. Weitere bekannte Verwendungen von Braunalgen sowie der darin vorkommenden Fucoidane sind für die Verbesserung der Darmgesundheit sowie die Verwendung in Haarwuchspräparaten oder Wundauflagen. Für manche Fucoidane sind antioxidative, neuroprotektive, immunmodulierende und Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF)-inhibierende Eigenschaften bekannt.

 An der Entwicklung entsprechender Arzneimittel zur Behandlung der AMD wird auch schon geforscht. Allerdings geht es in der Arzneimittelforschung selten so schnell wie bei den Corona-Impfstoffen und bis derartige Arzneimittel zur Zulassung kommen, wird noch einige Zeit dauern. Die Idee: Ein NEM um die Fucoidane den Patient:innen zugänglich machen. Lohmann hat die Entwicklung angeregt und beratend begleitet.

Formel aus AREDS-Mikronährstoffen und Algen

Die Hürden sind bei NEM bekanntermaßen vergleichsweise niedrig. Allerdings braucht es einen zugelassenen Health Claim und den gibt es für die Fucoidane nicht. Es wäre eine aufwendige Zulassung als Novel Food notwendig. Die Lösung: Um die beschriebenen positiven Eigenschaften dieser Algen bereits jetzt Patienten zugutekommen zu lassen, hat Apotheker Berthold Pohl eine Formel aus den sogenannten AREDS-Mikronährstoffen und den beiden Algen Laminaria hyperborea und Saccharina latissima entwickelt.

AREDS steht für Age-­Related-Eye-Disease-Study. Es handelt sich bei den Mikronähstoffen um eine Kombination aus Vitamin C, Vitamin E, Zink, Kupfer, Lutein und Zeaxanthin sowie Docosahexaensäure und Eicosapentaensäure, die in der besagten ARED-Studie untersucht wurde. Für diese Kombination gibt es einen zugelassenen Health Claim und Studiendaten, die zeigen, dass sie die Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens der AMD und die Wahrscheinlichkeit eines Sehverlustes signifikant senken kann.

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Ein weiterer Vorteil der AREDS sei neben der Nutzung des Health Claims, dass das Produkt relativ einfach zur ergänzenden bilanzierten Diät weiterentwickelt, werden könne, erklärt Pohl weiter. Bei den regulatorischen Fragen habe er sich Unterstützung von Sachverständigen und Juristen geholt. „Damit das alles wasserdicht ist.“ Auch das Thema Iod wurde bei der Entwicklung berücksichtigt: Es sollen Pohl zufolge nur Algen in hoher Reinheit mit klar definiertem Iodgehalt eingesetzt werden, damit die zulässige Tagesmenge bei dauerhafter Einnahme nicht überschritten wird und es zu keinen unerwünschten Wirkungen diesbezüglich kommen kann. Außerdem ist den Gesamt-Iodgehalt auf der Packung angegeben.

Berthold Pohl, Inhaber der Max-Weber-Platz-Apotheke (Foto: Schelbert)

Positives Feedback von Augenärzten

Vermarktet werden soll das ganze unter dem Namen „Fucovision“. Das Präparat ist bereits in der Max-Weber-Platz-Apotheke und einigen anderen Münchner Apotheken erhältlich. Der Großhandel Sanacorp wird noch diese Woche bevorratet. Getrübt werde die Freude darüber nur davon, dass Initiator Lohmann das Ergebnis seiner Idee nicht mehr in den Händen halten kann, so der Apotheker.

Von anderen Augenärzten, mit denen er über sein Projekt gesprochen hat, habe er aber durchweg positives Feedback erhalten, berichtet Pohl. Lohmann plante, dieses Präparat den AMD-Patienten als Teil seines Behandlungskonzepts in der Augenklinik im Klinikum Rechts der Isar zu empfehlen. Pohl ist nun auf der Suche nach Partnern aus der Pharmaindustrie, um dieses Produkt großflächig und international vermarkten zu können. Die Kapazitäten seiner Firma, die er mit seiner Frau neben der Max-Weber-Platz-Apotheke in München betreibt, reichen dazu nicht aus.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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