Interpharm 2017 – Schwangere in der Apotheke

Therapieverzicht ist keine Lösung

Nutzen und Risiken einer Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft genau abwägen

sl | Bei der Behandlung von Schwangeren sind einige Besonderheiten zu beachten. Pharmakokinetische und pharmakodynamische Parameter können während der Schwangerschaft verändert sein, zudem wird nicht nur die Mutter therapiert, sondern auch das Ungeborene „mitbehandelt“. Prof. Dr. Martin Smollich, Dr. Stefanie Padberg und Prof. Dr. Gerd Neumann beleuchteten verschiedene Aspekte der Arzneimitteltherapie während der Schwangerschaft.

Nicht nur eine Arzneimitteltherapie während der Schwangerschaft ist mit Risiken für das ungeborene Kind verbunden, sondern auch bestimmte Erkrankungen. Beispielsweise können unkontrollierte Schmerzen den Schwangerschaftsverlauf negativ beeinflussen, Fieber oder auch Diabetes mellitus sind mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko verbunden, und Infektionen können zum einen zu vorzeitigen Wehen oder Blasensprung führen und zum anderen gehen manche Erreger auch auf den Fetus über und führen zu einer direkten Schädigung (z. B. Rötelnembryopathie). Unter diesen Gesichtspunkten solle man Frauen beruhigen und aufklären, damit sie keine Angst vor einer sicheren und notwendigen Therapie haben, betonte Dr. Stefanie Padberg vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin. Das Zentrum betreibt die Homepage www.embryotox.de und sammelt Daten für Beobachtungsstudien. Sowohl Fachpersonal als auch Laien können sich mit Fragen an das Zentrum wenden, und auf der Homepage werden viele Informationen frei zugänglich zur Verfügung gestellt. Da etwa die Hälfte der Schwangerschaften ungeplant entsteht, wird bei den Angaben auf der Website und auch bei der Beratung von Schwangeren differenziert: Haben die Frauen, ohne von der bestehenden Schwangerschaft zu wissen, das Medikament bereits eingenommen und müssen nun über mögliche Konsequenzen informiert werden? Oder geht es um die Frage einer Therapie während der geplanten Schwangerschaft?

Der richtige Weg für eine Therapie in der Schwangerschaft ist eine sorgfäl­tige Nutzen-Risiko-Abwägung, allerdings ist eine strenge Indikationsstellung nicht gleichbedeutend mit einem Therapieverzicht, so Prof. Dr. Martin Smollich, Rheine. Abgesehen von den möglichen negativen Auswirkungen der Erkrankung auf den Fetus wäre es auch unter ethischen Gesichtspunkten fragwürdig, einer Schwangeren eine adäquate Therapie zu verwehren. Zudem dürfe nicht nur der Sicherheitsaspekt eine Rolle spielen, entscheidend ist vor allem auch die Wirksamkeit, denn „Was nützt die sicherste Therapie, wenn sie unwirksam ist?“, fragte Smollich zurecht.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Stefanie Padberg (2. v. r.) und Prof. Dr. Martin Smollich (2. v. l.) waren sich einig, dass man für jede Schwangere eine adäquate Arzneimitteltherapie findet, ohne ihre und die Gesundheit des Kindes zu gefährden.

Entstehung von Fehlbildungen

Wurden Arzneimittel in den ersten vier Wochen der Schwangerschaft eingenommen, führt dies üblicherweise nicht zu Fehlbildungen, denn in dieser Zeit gilt das „Alles-oder-nichts-Prinzip“: Schäden können in der Regel vollständig repariert werden, oder es kommt zum Abgang des Embryos. Danach können in der sogenannten Embryonalzeit schwere morphologische Anomalien auftreten, ab der neunten Schwangerschaftswoche (Beginn der Fetalphase) stehen funktionelle Defekte, zum Beispiel Organreifungsstörungen, im Vordergrund. Insgesamt müsse man sich außerdem erst einmal vergegenwärtigen, wie hoch das Fehlbildungsrisiko überhaupt ist, so Padberg. Große Fehlbildungen kommen bei etwa 3% der Schwangerschaften vor und wiederum nur 2 bis 4% davon sind auf exogene Noxen (darunter die Arzneimittel) zurückzuführen. In Deutschland machen den Hauptanteil dieser Gruppe nicht die Arzneimittel aus, sondern der Alkohol (rund 4000 Kinder werden mit fetalen Alkohol­effekten geboren, 600 mit fetalem Alkoholsyndrom). Das bekannteste Teratogen ist sicher Thalidomid, aber auch andere wie Mycophenolatmofetil, Retinoide oder Valproinsäure fallen in diese Kategorie. Doch selbst wenn für einen Arzneistoff kein Fehlbildungs­risiko bekannt ist, bedeutet das nicht automatisch, dass dieser unbedenklich ist, meistens ist er nur unzureichend untersucht.

Adäquate Schmerztherapie in der Schwangerschaft

Unbehandelte Schmerzen in der Schwangerschaft können den Schwangerschaftsverlauf verschlechtern, da sie die Lebensqualität vermindern, die Rate an Schlafstörungen und Depressionen (auch der Wochenbettdepression nach der Geburt) erhöhen und zum vermehrten Auftreten von Schwangerschaftshypertonie führen. Zur Behandlung bevorzugt werden sollten nicht-medikamentöse bzw. physikalische Maßnahmen wie Homöopathika, Chiropraktik, Pfefferminzöl oder je nach Art der Schmerzen Kältekompressen oder Wärmeumschläge, und nur wenn diese nicht greifen, sollte eine pharmakologische Schmerztherapie durchgeführt werden.

Für leichte bis mittelstarke Schmerzen ist Paracetamol das Mittel der Wahl, außerdem möglich ist die Anwendung von Ibuprofen (Mittel der ersten Wahl unter den nicht-steroidalen Antirheumatika, NSAR), Diclofenac und Metamizol. Auf Acetylsalicylsäure sollte möglichst während der gesamten Schwangerschaft verzichtet werden, mit Ausnahme der Low-dose-Therapie (unter 150 mg pro Tag), die während der gesamten Schwangerschaft sicher bzw. sogar Standard bei drohender Präeklampsie ist. NSAR sind ab der 28. Schwangerschaftswoche kontraindiziert, vor allem wegen des mög­lichen vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus. COX-2-Hemmer sind sogar während der ganzen Schwangerschaft kontraindiziert, da hinsichtlich der Wirksamkeit keine Vorteile gegenüber anderen Analgetika belegt sind und gleichzeitig weniger Daten zur Sicherheit vorliegen.

Auch Paracetamol ist im letzten Jahr in Verruf geraten: Verschiedene Beobachtungsstudien haben in unterschiedlichen Patientenpopulationen einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Paracetamol während der Schwangerschaft und später gehäuft auftretenden Verhaltensauffälligkeiten beim Kind gezeigt, beispielsweise ADHS im Grundschulalter.

Zusätzlich zu den gegebenenfalls schädlichen Effekten während der Schwangerschaft können COX-Hemmer durch Senkung des Progesteron-Spiegels und daraus resultierender Unterdrückung des Eisprungs das Eintreten einer Schwangerschaft verhindern. Erfreulicherweise ist dieser Effekt reversibel. Besteht ein Kinderwunsch, sollte daher eine dauerhafte NSAR-Anwendung vermieden werden.

Bei stärkeren Schmerzen ist der Einsatz von Opioiden unter Umständen indiziert. Da bei keinem Opioidanalgetikum Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko vorliegen, ist es möglich, sie während der Schwangerschaft einzusetzen. Vor allem die kurzfristige Gabe und ein großer zeitlicher Abstand zur Geburt sind unproblematisch. Allerdings besteht bei langfristiger oder peripartaler Anwendung die Gefahr eines Entzugssyndroms, und das Kind sollte nach der Geburt auf einer neonatologischen Intensivstation überwacht werden. Umfangreiches Datenmaterial liegt für Morphin und Hydromorphon vor, daher sind diese zu bevorzugen, aber wahrscheinlich sind auch andere Wirkstoffe sicher und nicht teratogen. Zur Substitutionstherapie eignet sich Buprenorphin besser als Methadon, da weniger unerwünschte Wirkungen beim Baby zu erwarten sind.

Oft wird bei Planung einer Schwangerschaft noch eine vorherige Zahn­sanierung empfohlen, was jedoch überflüssig ist, da der Einsatz von Lokalanästhetika (sogar mit Adrenalin-Zusatz) während der gesamten Schwangerschaft sicher ist. Lediglich auf Präparate mit Metabisulfit als Zusatz sollte wegen des neurotoxischen Potenzials verzichtet werden.

Wie der Fall einer Patientin zeigte, sind die, wie von Laien oft fälschlicherweise vermutet, harmloseren OTC-Arzneimittel nicht zwangsläufig die beste Wahl. Antibiotika sind ein angstbesetztes Thema, und so verzichtete die Patientin aus Sorge um ihr Kind bei einer unkomplizierten Blasenentzündung auf die antiinfektive Therapie zugunsten der vermeintlich weniger schädlichen Acetylsalicylsäure und erlitt infolgedessen einen hohen Blutverlust unter der Geburt, und auch das Kind konnte nach Einblutungen ins Gehirn nur mit erheblichen neurologischen Defiziten gerettet werden.

Antiinfektive Therapie

Antibiotika der Wahl sind Penicilline und Cephalosporine der älteren Generationen, bei Nichtansprechen und Allergien oder Unverträglichkeiten kann man in Deutschland auf Makrolide ausweichen. Skandinavische Registerstudien äußern jedoch den Verdacht auf Herzfehlbildungen unter Makroliden, daher dürfen in diesen Ländern Makrolide während der Schwangerschaft nicht verordnet werden. Als weitere Reservemittel kommt eigentlich alles infrage, so Padberg, es gebe für sie kein Antibiotikum, das während der Schwangerschaft komplett kontraindiziert ist, es gebe nur relative Kontraindikationen, zudem erfolge der Einsatz von Antibiotika in der Schwangerschaft sowieso fast immer off label. Natürlich sollten bestimmte Wirkstoffe während der Schwangerschaft möglichst vermieden werden, aber bei lebensbedrohlichen Infektionen überwiegt der Nutzen einer Antibiotikatherapie ganz klar das mögliche Risiko für das Ungeborene, und eine Behandlung selbst mit in der Schwangerschaft unerprobten Wirkstoffen ist in solchen Fällen gerechtfertigt. Das heißt, der Einsatz ist kritisch zu prüfen, aber wenn es keine Alternative gibt, sollte man einer Patientin die Therapie nicht aufgrund der Schwangerschaft vorenthalten. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem systemisch angewandte Aminoglykoside aufgrund der Oto- und Nephrotoxizität – die lokale Anwendung in beispielsweise Augentropfen ist unproblematisch – oder Tetracycline, die Zahnverfärbungen hervorrufen können.

Am Beispiel des Harnwegsinfekts erläuterte Padberg, dass es auch Krankheitsbilder gibt, bei denen gerade in der Schwangerschaft therapiert werden muss: Bei einer unkomplizierten Cystitis kann bei Nichtschwangeren durchaus manchmal auf die antibiotische Behandlung verzichtet werden, bei Schwangeren besteht bei Nicht­behandlung die Gefahr von vorzeitigen Wehen und Blasensprung. Die Leitlinie Harnwegsinfektionen wird derzeit überarbeitet, aber im vorliegenden Konsultationsentwurf werden für die Schwangerschaft Penicilline, Cephalosporine oder Fosfomycin zur Einmalgabe empfohlen. Allerdings ist der Evidenzgrad für Fosfomycin schwach (V: Expertenkonsens), und weitere Nachforschungen ergaben, dass zwar einige Studien zur Wirksamkeit in der Schwangerschaft zu finden sind, die Datenlage zur Sicherheit aber begrenzt ist. Tierexperimentelle Untersuchungen ergaben zwar keine Hinweise auf embryotoxisches Potenzial, allerdings gab es keine Studie am Menschen, die das Auftreten von Fehlbildungen unter Fosfomycin untersuchte. Das heißt, selbst eine Empfehlung in einer Leitlinie ist kein Garant dafür, dass die Unbedenklichkeit sicher nachgewiesen wurde.

Die mangelhafte Datenlage ist auch einer der Gründe, warum Padberg – nicht nur hinsichtlich der Harnwegsinfektionen, sondern allgemein – vor Phytopharmaka warnt. Dazu kommt, dass in entsprechenden Produkten oft Alkohol enthalten ist und Frauen möglicherweise eine wirksame Therapie verhindern, indem sie eine Antibiose (eigenmächtig) durch vermeintlich besser verträgliche pflanzliche Präparate ersetzen.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Prof. Dr. Gerd Neumann

Neben bakteriellen Infektionen können auch Pilz- und Viruserkrankungen in der Schwangerschaft auftreten und eventuell behandlungsbedürftig sein. Systemmykosen müssen grundsätzlich therapiert werden, Haut- und Nagelmykosen sollten möglichst nicht systemisch, sondern lokal behandelt werden. Bei Vaginalmykosen ist Nystatin das Mittel der Wahl, eine mögliche Alternative für bakterielle Vaginosen ist die Anwendung von Octenidin-haltigen Vaginalsprays, die einige Vorteile bieten: Eine flächendeckende Verteilung ist möglich, es werden keine Resistenzen ausgebildet, systemische Nebenwirkungen fehlen, und es gibt keinerlei Hinweise auf karzinogene, teratogene, mutagene oder embryotoxische Effekte, wie Prof. Dr. Gerd Neumann, Rostock, erläuterte.

Was tun bei Diabetes, Epilepsie und Co?

Bei manchen Krankheitsbildern ist auch während der Schwangerschaft eine Therapie unumgänglich – so bei Diabetes mellitus: Mittel der ersten Wahl war und ist nach wie vor Insulin bzw. bei bereits bestehender guter Einstellung kann auch eine Therapie mit Insulinanaloga fortgeführt werden. Auch bei Epilepsie kann oft nicht auf eine Behandlung verzichtet werden. Wenn möglich, sollte eine Monotherapie angestrebt werden, ausklammern sollte man dabei wegen des teratogenen Potenzials Valproinsäure und Carbamazepin. Als Coanalgetika sollten Antiepileptika in der Schwangerschaft besser gar nicht zum Einsatz kommen. Eine beruhigende Botschaft hatte Neumann im Gepäck: Für fast alle Behandlungsindikationen lassen sich Arzneimittel finden, deren Einsatz in der Schwangerschaft vertretbar ist. |

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier

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