Arzneimittel und Therapie

Diabetes mellitus Typ 1

Überlegenheit kurzwirksamer Insulinanaloga nicht belegt

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat den Abschlussbericht zur Nutzenbewertung der kurzwirksamen Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 veröffentlicht: Es sieht keine Belege für eine Überlegenheit kurzwirksamer Insulinanaloga gegenüber Humaninsulin bei der Behandlung von erwachsenen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1. Die Aussagekraft und das Design bisher verfügbarer Studien sind unzureichend.

Diese Studien lassen keine Rückschlüsse auf patientenrelevante Therapieziele wie die Verminderung von Folgekomplikationen oder die Gesamtsterblichkeit zu, so das Fazit des IQWiG. Bei Kindern und Jugendlichen ist der Nutzen mangels Daten unklar.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWIG beauftragt, zum einen den Nutzen der kurzwirksamen Insulinanaloga im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin zu bewerten und zum anderen die verschiedenen Insulinanaloga gegeneinander abzuwägen. Geprüft hat das IQWiG alle drei in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe: Insulin Aspart (Novorapid®), Insulin Lispro (Humalog® , Liprolog®) und Insulin Glulisin (Apidra®) Das Ergebnis dieser Nutzenbewertung wird vom IQWiG an den G-BA weitergeleitet und dient als Grundlage für Entscheidungen zur Erstattungsfähigkeit dieser Arzneimittel.

Die Bewertung wurde auf Grundlage randomisierter kontrollierter Studien durchgeführt. Hierzu wurde eine systematische Literaturrecherche über den Zeitraum bis August 2006 in den wichtigsten Datenbanken durchgeführt, die Literaturverzeichnisse relevanter Sekundärpublikationen und öffentlich zugängliche Zulassungsunterlagen durchsucht sowie die Hersteller von Insulin Aspart, Insulin Lispro und Insulin Glulisin bezüglich veröffentlichter oder unveröffentlichter Studien angefragt. Eingeschlossen wurden Studien mit einer Laufzeit von mindestens 24 Wochen, in denen eines der drei kurzwirksamen Insulinanaloga untersucht wurde, entweder im Vergleich zu einer Behandlung mit kurzwirksamem Humaninsulin (Normalinsulin) oder einem anderen der drei Insulinanaloga. Es wurden nur Studien mit dieser Mindestlaufzeit einbezogen, weil sie ausreichend Zeit lassen, um Patienten auf die neuen Medikamente einzustellen und erst dann die Wirkung unter stabiler Anwendung eingeschätzt werden kann. Ausgewertet werden konnten insgesamt neun veröffentlichte Vergleichsstudien. Acht dieser Studien verglichen entweder Insulin Aspart oder Insulin Lispro mit Humaninsulin; eine entsprechende Studie zu Glulisin gibt es nicht. Die einzige Studie, die zwei Analog-Substanzen gegenüberstellt, befasst sich mit Glulisin und Lispro.

Keine Langzeitstudien zur Insulinpumpentherapie

Zur Insulinpumpentherapie mit Insulinanaloga gibt es keine Studie mit einer Laufzeit von mindestens 24 Wochen, weshalb unklar bleibt, ob und welchen Vorteil die Patienten von dieser Form der Anwendung haben können. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche, denn auch für sie sind bislang nur Kurzzeitstudien vollständig verfügbar. Die Firma Novo Nordisk hat zwei abgeschlossene Langzeitstudien mit Kindern und Jugendlichen finanziert. Beide sind aber bis heute nur zum Teil veröffentlicht. Novo Nordisk war – im Unterschied zu den Herstellern Sanofi und Lilly – nicht bereit, die benötigen Informationen zur Verfügung zu stellen, so das IQWiG in seinem Bericht. Bei den Aussagen der neun in die Bewertung einbezogenen Studien bemängelt das IQWiG, dass keine der Studien verblindet war, Patient und Arzt wussten, welche Insulinart jeweils injiziert wurde. Ohne Verblindung bestehe die Gefahr, dass sich Patienten im Wissen um den Typ ihres Insulins jeweils unterschiedlich verhalten und so die Ergebnisse der Studie verzerrt werden können.

Aussagen zu wichtigen Therapiezielen nicht möglich

Obwohl Patienten bereits seit zehn Jahren mit Analoginsulinen behandelt werden, sei es nach wie vor völlig unklar, wie sich die Insulinarten auf Folgekomplikationen des Typ-1-Diabetes, auf die Sterblichkeit und auf die Notwendigkeit von Klinikaufenthalten auswirken, so das IQWiG. Was die Blutzuckersenkung gemessen am HbA1c -Wert betrifft, hatten mit Insulin Aspart behandelte Patienten in einigen Studien zwar im Durchschnitt niedrigere Werte. Diese statistischen Unterschiede waren aber so gering, dass sie gesundheitlich keine Auswirkungen erwarten lassen, so das IQWiG. Nächtliche Unterzuckerungen zu vermeiden, könnte mit Insulin Lispro besser gelingen als mit Insulin Glulisin. Die einzige Studie, die Insulinanaloga untereinander vergleicht, liefere hier erste Hinweise, allerdings keine zuverlässigen Belege.

In einigen Studien beurteilten mit Analoginsulinen behandelte Patienten ihre Lebensqualität besser und waren mit der Behandlung zufriedener als Patienten, die sich Humaninsulin spritzten. Als Beleg für einen Zusatznutzen wertet das IQWiG diesen Befund indes nicht. Es sei kein fairer Vergleich gewesen: In der Humaninsulin-Gruppe waren die Probanden angewiesen, einen festen Spritz-Abstand vor den Mahlzeiten einzuhalten, nicht aber in der Analoga-Gruppe. Deshalb ist unklar, ob die größere Zufriedenheit durch die Substanzklasse selbst oder durch die vorgegebenen unterschiedlichen Anwendungsvorschriften bedingt ist.

Kritik von Patientenverbänden und Herstellern

Fachgesellschaften und Organisationen wie der Deutsche Diabetiker Bund, die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie e.V., die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie sowie die Hersteller der kurzwirksamen Insulinanaloga üben harsche Kritik am IQWiG-Bericht und kommen zu einer grundsätzlich anderen Bewertung. Sie beklagen methodische Fehler bei der Bewertung der vorhandenen Studien und werfen dem IQWiG vor, sich nur auf Studien zu stützen, die nach selbst festgelegten Kriterien ausgewählt wurden. Sollte es auf Basis des Berichts dazu kommen, dass moderne Insuline aus der Verordnungsfähigkeit für gesetzlich Versicherte mit Diabetes mellitus Typ 1 herausgenommen werden, hätte das vor allem für Kinder und Jugendliche mit dieser chronischen Erkrankung einschneidende Konsequenzen im täglichen Umgang mit ihrer Krankheit, so der Deutsche Diabetiker Bund. Denn vor allem Kinder und Jugendliche profitieren von den Vorteilen der kurzwirksamen Insulinanaloga. Die Kritiker weisen vor allem darauf hin, dass diese Vorteile in den meisten anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union anerkannt sind, die Nutzenbewertung des IQWiG stehe im Widerspruch zu Evidenz-basierten internationalen Leitlinien und Bewertungen.

Quelle

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1. Abschlussbericht A05-02. Köln: IQWiG; (2007).

Stellungnahmen zum Abschlussbericht A05-02: Kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1.

ck
Typ-1-Diabetiker und kurzwirksame Insulinanaloga
Patienten mit Diabetes Typ 1 können mit Fortschreiten der Erkrankung überhaupt kein eigenes Insulin mehr herstellen. Sie sind auf tägliche Injektionen angewiesen, das heißt alle Patienten mit Diabetes Typ 1 werden früher oder später mit Insulin behandelt. Dabei werden im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie meist kurzwirksame Insuline, die je nach Bedarf zu den Mahlzeiten eingenommen werden, mit Verzögerungsinsulin (Basalinsulin) kombiniert. Diese Diabetestherapie verfolgt zwei Ziele. Zum einen soll sie die für Diabetes typischen Alltagsbeschwerden durch zu hohe oder zu niedrige Blutzuckerspiegel vermeiden und ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Zum anderen soll langfristigen Begleitkomplikationen vorgebeugt werden, durch die Patienten mit Diabetes gefährdet sind. Dazu gehören zum Beispiel Herzinfarkte und Schlaganfälle, Erblindungen, Nierenversagen und Fußamputationen. Kurzwirksame Insulinanaloga sollen im Vergleich zu Humaninsulin sowohl das Risiko von Komplikationen verringern als auch die Lebensqualität verbessern, da auf einen Spritz-Ess-Abstand verzichtet werden kann, wohingegen Humaninsulin eine halbe Stunde oder länger vor einer Mahlzeit injiziert werden sollte.
Insulinanaloga – welche Dimension hat die Diskussion?
Med Monatsschr Pharm 2006;29(6):198-9.
Kosten-Nutzen-Bewertung Können kurzwirksame Insulinanaloga im Vergleich zu Humaninsulin die Lebensqualität verbessern und das Risiko von Komplikationen verringern? Oder – wie es das IQWiG einschätzt – verteuern sie nur die Diabetestherapie?
Foto: Hoechst

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