Zyto-Versorgung

Die Sache mit der Haltbarkeit

27.09.2016, 15:10 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. Franz Stadler

(Foto: VZA)

(Foto: VZA)


Immer wieder werden Versuche unternommen, Haltbarkeiten von gebrauchsfertigen Zytostatikainfusionen den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Das fängt bei den pharmazeutischen Unternehmern an und hört bei den Krankenkassen auf. Hinzu kommt, dass es unterschiedliche Arten von Begründungen gibt, die wissenschaftlicher, wirtschaftlicher oder juristischer Natur sein können. Letztlich kommt es für den Patienten aber auf die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der verabreichten Infusionslösungen an, meint Dr. Franz Stadler.

Der Schutz der Gesundheit der Patienten hat höchste Priorität. Die hohen Anforderungen an die Sorgfalt im Umgang mit Arzneimitteln, die das Arzneimittelgesetz an die Pharmaindustrie, aber auch an die Ärzte und Apotheker stellt, sind dafür Beleg genug. Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit sind deshalb vor dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch den pharmazeutischen Unternehmer bei der Zulassung nachzuweisen (außer bei Homöopatika, die keinen Nachweis von Wirksamkeit benötigen). Möglichen, zum Zeitpunkt der Zulassung unbekannten und/oder erst bei breiter Anwendung auftretenden Schäden wird durch § 94 AMG (Deckungsvorsorge) Rechnung getragen, die dem pharmazeutischen Unternehmer in die Haftung nimmt. Diese Haftung erstreckt sich auch auf die Angaben der Fachinformation, die der pharmazeutische Unternehmer verpflichtet ist, u.a. Ärzten und Apothekern zur Verfügung zu stellen (§ 11a AMG). In diesem Paragraphen wird klar geregelt, dass eine Fachinformation neben Angaben zur Gebrauchsfertigmachung (Art der Anwendung) auch Angaben zur Dauer der Haltbarkeit und, soweit erforderlich, zusätzlich Angaben zur Dauer der Haltbarkeit einer gebrauchsfertigen Zubereitung des Arzneimittels enthalten muss und dass diese Angaben durch den Inhaber der Zulassung auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu halten sind. Außerdem wird das pharmazeutische Unternehmen verpflichtet, Änderungen der Fachinformation den Fachkreisen in geeigneter Form zugänglich zu machen.

Vor diesem Hintergrund stellen sich nun folgende Fragen:

  1. Warum sollte das pharmazeutische Unternehmen durch Haltbarkeiten, die, in welcher Qualität auch immer, durch Dritte ermittelt werden oder wurden, aus seiner Haftung für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels entlassen werden?

  2. Warum sorgt niemand für eine Übernahme neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Fachinformation (sollte es diese denn geben)?

  3. Warum werden pharmazeutische Unternehmer nicht per Gesetz vor der Zulassung dazu verpflichtet, über einen definierten Zeitraum (z.B. 4 Wochen), Haltbarkeitsuntersuchungen für die gebrauchsfertige Lösung vorzulegen?

Das Wirtschaftlichkeitsgebot der Krankenkassen kann nicht dazu führen, dass Fertigarzneimittel, die für ihre Anwendung gebrauchsfertig gemacht werden müssen (!), aus der Produkthaftung des pharmazeutischen Unternehmers fallen, nur weil Fachinformationen möglicherweise veraltete Angaben enthalten. Ebenso verhält es sich mit unklaren Angaben. Auch hier ist der pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, entsprechende Klarstellungen vorzunehmen. Er definiert die Art der Herstellung, die Bedingungen, die bei der Herstellung, der Lagerung und dem Transport der gebrauchsfertigen Lösung zu herrschen haben. Daraus ergibt sich dann seine Angabe der Haltbarkeit, die von Dritten nicht unkontrolliert, je nach Bedarf und letztlich aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus abgeändert werden darf. Die herstellende Apotheke hat die Pflicht, sich genau an diese Vorgaben zu halten und so Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit der Infusionen sicherzustellen. Es kann nicht ihre Aufgabe sein, wissenschaftliche Ausarbeitungen der Sekundärliteratur anzufertigen oder gar eigene Haltbarkeitsdaten zu erheben, die zudem Nachweise der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit kaum umfassen können.

Diese Argumentation steht im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung (u.a. BGH-Urteil vom 04.09.2012, Az.: 1 StR 534/11, Würzburger Sozialgerichtsurteil vom 14.04.2016, Az.: S 17 KR 260/14), wird von den meisten Krankenkassen inzwischen anerkannt (nachzulesen in den Antworten auf gestellte Bieterfragen bei den jüngsten Ausschreibungen; Ausnahme: die AOKen) und erfüllt den Sinn des Arzneimittelgesetzes. Selbst Frau Prof. Krämer hat in der Süddeutschen Zeitung vom 13.07.2016 zwar gesagt, dass Haltbarkeiten länger auszureizen oft möglich sei, aber ihre eigenen Listen als nicht legal und nicht im Sinne des Patienten bezeichnet. Der Patient hat keine Ahnung von diesen Vorgängen, obwohl er über Haltbarkeiten, die über die Angaben des Pharmazeutischen Unternehmers in den Fachinformationen hinausgehen, aufgeklärt werden müsste und sogar seine Zustimmung zu deren Einsatz verweigern dürfte (siehe BGH-Urteil vom 17.04.2007, Az.: VI ZR 108/06). Und nicht zuletzt hat der Patient ein klares Recht darauf, auch bei Zytostatikainfusionen durch das Arzneimittelgesetz geschützt zu sein. 

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.