Möglichkeiten und Zeit nicht genutzt

Ein Beruf schafft sich ab!

12.09.2016, 12:47 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. Christian Gerninghaus

Seit rund 770 Jahren besteht das Apotheken-Wesen in Deutschland. Die Bedeutung für das Gemeinwohl konnte offenbar nicht vermittelt werden. Nun ist der Schaden groß. (Foto: phanuwatnandee / Fotolia)

Seit rund 770 Jahren besteht das Apotheken-Wesen in Deutschland. Die Bedeutung für das Gemeinwohl konnte offenbar nicht vermittelt werden. Nun ist der Schaden groß. (Foto: phanuwatnandee / Fotolia)


Apotheken blicken auf eine rund 770 jährige Geschichte zurück. Eigentlich eine beachtliche Zeit, meint Christian Geringhaus - allerdings: Die Apotheken in Deutschland konnten dies nicht nutzen, ihre Bedeutung für das Gemeinwohl einer breiten Öffentlichkeit und der Politik zu vermitteln - wie das Beispiel Medikationsplan zeigt.

Zwischen 1231 und 1243 entstand unter Friedrich II ein Gesetz, das es Ärzten verbot, Apotheken zu besitzen oder an Apotheken beteiligt zu sein. Gleichzeitig wurden die Arzneimittelpreise festgeschrieben, um Preistreiberei zu verhindern. Heute wird das als Geburtsstunde der Apotheke gesehen. Apotheken blicken also auf eine rund 770 jährige Geschichte zurück. 770 Jahre, die die Apotheken in Deutschland nicht nutzen konnten, ihre Bedeutung für das Gemeinwohl einer breiten Öffentlichkeit und der Politik zu vermitteln. 770 Jahre, die nicht gereicht haben, klar zu machen: wir sind unverzichtbar!  

In den ersten Jahrhunderten ist es für den Berufsstand des Apothekers noch gut gelaufen: Apotheker waren durchaus angesehen und geachtet. Ob als Kenner von Arzneipflanzen und Hersteller von Salben, Tees und Pillen bis zum 19. Jahrhundert oder danach, mit Entwicklung der modernen Chemie, als Pioniere bei der Entdeckung und Entwicklung von Arzneistoffen, haben sich Apotheker als hervorragende Wissenschaftler dargestellt.

Haben Apotheker eine Perspektive?

Die Isolierung des Morphins durch Sertürner 1804 und die erste nebenproduktfreie  Synthese von o-Acetylsalicylsäure im Bayer-Stammwerk in Elberfeld im Jahre 1897 seien als Meilensteine genannt. Leider ist es in der Neuzeit  – als solche, aus pharmazeutischer Sicht, möchte ich die Zeit seit dem 2. Weltkrieg bezeichnen – nicht gelungen, an die alten Erfolge anzuknüpfen. Dabei wären die Rahmenbedingungen ideal gewesen: zu keiner Zeit haben sich Möglichkeiten und Notwendigkeiten  moderner Pharmakotherapie derart rasant entwickelt. Für die Apotheker hat sich diese Entwicklung in immer umfangreicheren Studieninhalten niedergeschlagen. Die aktuell  14632 Pharmaziestudenten (WS 2013/2014, Quelle: ABDA) haben sich auf einen der arbeitsintensivsten Studiengänge eingelassen und haben es mehr als verdient, zu wissen mit welcher Perspektive. Haben wir denn eine? Perspektive meine ich.

In ihrem Positionspapier Apotheke 2030 hat unsere Berufsvertretung das Medikationsmanagement als zukünftige Kernkompetenz und Heilsbringer für den gesamten Berufsstand formuliert. Und jetzt sehen wir regungslos zu, wie die Ärzteschaft uns überrollt. Ärzte wollen jetzt die Daten der Rechenzentren, um auf Basis dessen, was wir durch unsere Abrechnung erhoben haben, unseren Job zu machen.

Spätestens an dieser Stelle sollte ein Aufschrei durch die Republik hallen. Stattdessen: Stille! Die Ärzte haben es erkannt, war aber auch nicht schwer. Medikationsmanagement geht nur mit Daten. Daten, die wir haben, aber glauben nicht haben zu dürfen. Weil uns seit Jahren von unseren Verbänden vermittelt wird: Medikationsdaten sind besondere personenbezogene Daten, für deren Erhebung, Speicherung und Verarbeitung es unabdingbar einer Einverständniserklärung  bedarf. Ohne Einverständniserklärung kein Medikationsmanagement? Brauchen Ärzte eigentlich auch eine Einverständniserklärung ihrer Patienten?

Daten besser nutzen!

Den Umgang mit Daten regelt das Bundesdatenschutzgesetz. Dieses Gesetz basiert auf einem Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt. Das Gesetz selbst nennt Ausnahmen vom strikten Verbot der Datenverarbeitung. Darunter fallen nach §28, Abs. 7 insbesondere diejenigen Berufe aus dem Gesundheitswesen, die der Schweigepflicht nach § 203 StGB unterliegen und die Daten für eigene Geschäftszwecke nutzen, also auch wir Apotheker.

Wo könnten wir heute schon stehen, wenn wir in der Vergangenheit unsere Daten genutzt hätten? Wo könnten wir heute schon stehen, wenn wir für jeden Kunden seine Medikationshistorie bei jedem neuen Einkauf, bei jedem neuen Rezept, zu Grunde legen könnten.  Wir brauchen kein ARMIN oder ATHINA. Wir brauchen Medikationsmanagement bei jedem einzelnen Vorgang. Wir brauchen eine Sammelstelle für alle Medikationsauffälligkeiten, die wir der Politik als Beleg für die Qualität und Unverzichtbarkeit unserer täglichen Arbeit darlegen. Wir brauchen ein Miteinander aller Beteiligten im Gesundheitswesen, aber wir werden nur ernst genommen, wenn wir selbstbewusst auftreten. Dieses Selbstbewusstsein fehlt uns! Dabei  laufen  bei uns alle Daten zusammen. Die Verordnungen der Hausärzte, genau wie die Rezepte der Fachärzte, besondere Therapierichtungen und Selbstmedikation.  

Wir müssen uns klar machen, welche Möglichkeiten in diesen Daten stecken.  Die Ärzte haben das erkannt und wollen diese Daten von den Rechenzentren, übrigens unverschlüsselt und kostenlos. Und wir sagen nichts dazu?  Wer sich immer nur bückt, muss sich nicht wundern, wenn er in den H….. getreten wird. Wir schaffen uns gerade selbst ab!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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6 Kommentare

Apotheke in der Öffentlichkeit

von Dr Markus Junker am 12.12.2016 um 22:35 Uhr

Seit jeher haben Apotheken ein hohes Maß an Ansehen und genießen das Vertrauen der Bevölkerung. Seit einiger Zeit gibt es aber Versuche, dies Vertrauen zu untergraben und öffentlich den Beruf als verkrustet hinzustellen. Besonders von der Partei, die neben ein funktionierendes System der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ein weiteres Parallelsystem etablieren möchte. Sehr ökologisch, wirklich.
Dabei sind die Apotheken auch vor QMS und AMTS gut gewesen, und sie verbessern den Service ständig.
Bei ständigen Gesundheitsreformen; in den letzten zwanzig Jahren dürften es mindestens zehn gewesen sein. Dies wurde stets minimal in der Öffentlichkeit kommuniziert, meist hiess es "die Apotheker müssen auch endlich einmal ihren Beitrag leisten". Irgendwann ist allerdings der Hahn soweit zugedreht, daß es reihenweise Apotheken gibt, die nicht mehr übergeben werden können, oder die geschlossen werden weil sie keinen Gewinn mehr abwerfen. So sind still und leise viele hunderte Apotheken geschlossen worden, die der Arzneimittelversorgung jetzt fehlen. Deutschland hat eine mittlere, keine hohe Apothekendichte. Auch das ist Fakt. Noch klappt die Arzneimittelversorgung. Wenn das so weitergeht, nicht mehr. Die Versandapotheken sind jedenfalls nicht vor Ort und machen alles für die Arzneimittelversorgung was notwendig ist, sondern picken sich die Rosinen heraus. Das reicht aber nicht in der Fläche. Der Bedarf ist nicht nur die Zusendung von Packungen, sondern die Beratung und das Kümmern um Probleme vor Ort. Apotheken nehmen auch eine große soziale Funktion wahr, ohne dafür Honorar zu sehen. Wenn der Umsatz aber wegbricht, weil Versender mit Kampfpreisen locken, so wird es diese soziale Funktion nicht mehr geben können. Das ist ein direkter Zusammenhang, der seit einiger Zeit schon zu Apothekenschließungen führt. Es gibt nämlich keine Verpflichtung, wirtschaftliches Harakiri zu begehen.
Der EuGH argumentiert, die Versender hätten ja nicht die Beratung vor Ort, die Belieferung mit BTM und die Herstellung von Rezepturen als Wettbewerbsvorteile. Und deshalb brauchten sie die RX-Boni. Das ist lachhaft, weil genau die vorgenannten Wettbewerbsvorteile die kostenintensivsten Dienstleistungen in der Apotheke sind, die nicht honoriert werden und sich querfinanzieren müssen durch Umsatz an anderer Stelle. Wenn dieser aber mehr und mehr wegbricht, gibt's auch keinen Service mehr. Das kann keiner wollen. Der Service der Versandapotheken hält sich nämlich sehr in Grenzen, wenn man mal ehrlich ist. Er Trägt dem Arzneimittel als Ware besonderer Art keinerlei Rechnung. Im Gegenteil, sein dem RX-Versand sind Fälschungen Tür und Tor geöffnet. Die geschlossenen, fälschungssicheren Vertriebswege zu öffnen war ein Fehler.
Der Arzneimittelsicherheit wurde in der Vergangenheit zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt, genau wie der ausreichenden Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Hauptsache billig, billig reicht nicht. Qualität kostet Geld, wir sollten als Gesellschaft deshalb wissen, welche Wahl wir haben. Und Arzneimittel sind in Deutschland eben nicht zu teuer, inzwischen muss man ja aufpassen, daß die Hersteller sie nicht lieber ins Ausland verkaufen, wo es bessere Margen gibt. Deswegen sind so manche Pillen, Impfstoffe etc. knapp.

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Medi-Plan nur gegen Honorar

von Dr. Christian Gerninghaus am 17.09.2016 um 16:56 Uhr

Mein Punkt ist eigentlich ein anderer: ich bin der Auffassung, Apotheker dürfen auch ohne Einverständniserklärung von Kunden Medikationsdaten haben. Diese Daten zu haben und so zu nutzen, dass wir nicht nutzlos erscheinen sondern unser Sachverstand als wertvoll erkannt wird, ist pharmazeutische Berufspflicht. Die uns aber die Verbände mit ihrer eigenwilligen Gesetzesauslegung aberkennen. Wir selbst sehen uns als Heilberufler und Kaufleute zur gleichen Zeit, ich für meine Person mit Schwerpunkt auf dem Heilberuf. Unsere Verbände reduzieren uns aber mit ihrer Sichtweise auf den Kaufmann allein. Wie will man mit dieser Einstellung einen Blumentopf gewinnen?

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AW: Das BDSG ist nicht das Problem...

von Andreas P. Schenkel am 22.09.2016 um 11:59 Uhr

... sondern die, Sie haben Recht, "eigenwillige Gesetzesauslegung", die durch den Wortlaut des BDSG und durch die geübte Praxis vieler anderer datenverarbeitender Stellen in unserem Lande nicht zu erklären ist.
Um mal nur exemplarisch eng am Wortlaut des Gesetzes zu operieren: Einer der vielen "Geschäftszwecke" (§28 Abs. 1 BDSG) einer Apotheke ist die Arzneimitteltherapiesicherheit der Patienten. Diese gewährleisten Apotheken u.a. durch die Speicherung der Medikation, solange der Patient auch ein Kunde ist.
Diese Speicherung mit den Kerndaten Namen, Geburtsdatum, ggf. Wohnadresse (wegen Lieferung) geht klar auch ohne schriftliche Einwilligungserklärung, wenn die Telefonnummer im örtlichen Telefonbuch steht, auch diese. Ansonsten füllt der Pat. die Telefonnummer in den Kundenkarten-Antrag aus oder lässt es eben bleiben.

Aus meiner Sicht: Erst wenn der Apotheker vorhat, einen Newsletter an Patienten, Patientengruppen o.ä. zu versenden, erst dann ist eine schriftliche Einwilligungserklärung nötig. Oder ähnliche Maßnahmen, die weitere Daten erzeugen könnten.

Und klar: jeder Patient/Kunde/Klient/etc. hat das Recht, die Daten einzusehen, der Speicherung zu widersprechen etc. (außer Gesetze verhindern dies z.B. § 11 Transfusionsgesetz ...)

Medikationsplan nur gegen Honorar

von Andreas P. Schenkel am 17.09.2016 um 13:15 Uhr

Bravo, eine sehr gelungene Analyse der derzeitigen Situation unserer Nutzungslosigkeit (nicht Nutzlosigkeit!) unserer potentiell nützlichen Daten. Und richtig, Kollege Gerninghaus, der Medikationsplan aus der Apotheke soll nur gegen Honorar erstellt werden. Der Patient hat keinen gesetzlichen Anspruch (aus SGB 5) auf einen Medikationsplan aus der Apotheke.
Nach § 31a Abs.3 Satz 2 SGB 5
("Auf Wunsch des Versicherten hat die Apotheke bei Abgabe eines Arzneimittels eine insoweit erforderliche Aktualisierung des Medikationsplans vorzunehmen.")
kann der Patient vom Apotheker eine Aktualisierung wünschen.

Wünsche kosten Geld. Dies sollten alle Kollegen zum Anlass nehmen, ihre Gebührentabelle dementsprechend zu ergänzen oder erstmalig eine Gebührentabelle zu erstellen und auszuhängen. Zu erinnern ist außerdem an viele Berufsordnungen der Landesapothekerkammern, die eine kostenlose Erbringung pharmazeutischer Leistungen untersagen. Auch spricht das SGB 5 nicht davon, dass diese Aktualisierung gratis sein muss.

Wenn der Patient wünscht, dann aber bei der Entlohnung bockt, so händigen wir ihm einen Ausdruck aller bezogenen Arzneimittel aus, damit der Arzt die nötigen Aktualisierungen vornimmt. Anders geht es nicht mehr, wir können nicht länger den billigen Jakob für alle spielen!

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nur wer?

von Christiane Patzelt am 13.09.2016 um 10:45 Uhr

Werter Kollege, super Artikel, nur wer kann uns aus der Misere führen? Wer hat den Biss, wer hat die Lautstärke?

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AW: nur wer?

von Dr. Christian Gerninghaus am 17.09.2016 um 11:42 Uhr

Wir selbst, jeden Tag in der Offizin. Da wir offenbar durch unsere Vertretung nicht vertreten werden - oder wie ist es zu erklären, dass niemand unsere Einwände hört oder gar ernst nimmt - müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Wir müssen unseren Kunden das Gefühl der "Pharmazeutischen Aufgehobenheit" täglich vermitteln. Wir müssen unsere Daten nutzen. Unsere Kunden müssen erleben, dass wir die Arzneimittelfachleute sind. Wir alle haben doch täglich Fälle von fehlerhaften Verordnungen, die durch unsere Aufmerksamkeit geheilt werden. Das darf nicht mehr im Stillen passieren, sondern muss dem Kunden offen kommuniziert werden. Wenn ab Oktober der Anspruch auf den Medikationsplan besteht, sollten wir verweigern, ohne Honorar daran mitzuwirken. Ich glaube, dann wird ganz schnell klar, wer das kann und wer nicht!

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