Neues zu Varianten, Langzeitfolgen und Myokarditis

Aktuelle Forschungsergebnisse rund um SARS-CoV-2

26.09.2024, 12:15 Uhr

Beispielsweise Long-COVID-Symptome bei Kindern variieren. (Foto: U. J. Alexander / AdobeStock)

Beispielsweise Long-COVID-Symptome bei Kindern variieren. (Foto: U. J. Alexander / AdobeStock)


Lange Zeit hatte uns die Pandemie fest im Griff. Inzwischen ist die mediale Aufmerksamkeit für COVID-19 stark gesunken. Dennoch geht die Forschung zu Impfstoffen, Therapien, Nebenwirkungen, Post-COVID und anderen Aspekten weiter. Wir haben die wichtigsten Meldungen der vergangenen Wochen zusammengefasst.

Wie jedes Jahr heißt es auch aktuell wieder: Die Temperaturen sinken, das Risiko für Atemwegsinfektionen steigt. Dies gilt auch für SARS-CoV-2-Infektionen, wie die letzte Auswertung des Robert Koch-Instituts zeigt. Demnach waren sowohl die Sieben-Tage-Inzidenz für COVID-19 (6,6 laborbestätigte Fälle pro 100.000 Einwohner) als auch die Viruslast im Abwasser (128.000 Genkopien pro Liter Abwasser in der 36. Kalenderwoche) in den letzten vier Wochen gestiegen [1]. Wie bereits vor wenigen Wochen prophezeit, war vor allem die Omikron-Untervariante KP.3 für die gemeldeten Infektionen verantwortlich [2].

Intranasaler Impfstoff hemmt SARS-CoV-2-Ausbreitung bei Hamstern

Forscher haben in einer in der Fachzeitschrift „Science Advances“ publizierten Studie untersucht, inwiefern sich die Immunisierung mit einem intranasalen Vektorimpfstoff und die Immunisierung mit einem intramuskulären mRNA-Impfstoff auf die Übertragung von SARS-CoV-2 bei Goldhamstern auswirken. Es zeigte sich, dass der mukosal applzierte Vektorimpfstoff die infektiöse Viruslast um das 100-Fache sowie die Viruslast in den oberen und unteren Atemwegen um das 100.000-Fache herabsetzte. Unter der Immunisierung mit einem mRNA-Impfstoff war das nicht der Fall. Die reduzierte Viruslast wiederum bewirkte, dass weniger Viren auf ungeimpfte Hamster übertragen wurden. Die Forscher schlussfolgern, dass intranasale Impfstoffe die Verbreitung von SARS-CoV-2 besser unterbinden als intramuskulär angewandte [3].

Wie B-Gedächtniszellen auf neue Varianten reagieren

Einige Wissenschaftler äußerten Bedenken, dass es unter variantenbasierten COVID-19-Impfstoffen möglicherweise zu einer Immunprägung kommen könnte. Darunter versteht man einen Effekt, bei dem B-Zellen, die gegen ältere Virenstämme gerichtet sind, die Entstehung von gegen neuere Varianten gerichteten B-Zellen verhindern. Ob das wirklich der Fall ist, hat das Team um R. Kotaki untersucht. Die Forscher haben dazu die Spezifität und Neutralisationsaktivität von B-Gedächtniszellen nach wiederholter Omikron-Exposition untersucht. Alle Probanden waren zuvor mit mRNA-Impfstoffen auf Antigen-Basis vorheriger Varianten geimpft worden. Es zeigte sich, dass die bestehenden B-Gedächtniszellen ihre Spezifität auf die neu entstehenden Varianten umlenken konnten. Auch waren die Antikörper der umgelenkten B-Zellen in der Lage, die Omikron-Variante zu neutralisieren. Damit kann Entwarnung gegeben werden bezüglich einer möglichen Immunprägung. Zugleich wird die Weiterentwicklung von COVID-19-Impfstoffen gestärkt, die an zukünftige Virusvarianten angepasst sind [4].

Kein erhöhtes Missbildungsrisiko nach Impfung oder Infektion in der Frühschwangerschaft

Dass Schwangere ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben, war relativ schnell nach Beginn der Pandemie klar. Unklar hingegen war, wie sich eine Infektion oder Immunisierung innerhalb der Schwangerschaft auf das Neugeborene auswirkt. In einer in der Fachzeitschrift „The BMJ“ publizierten Studie haben Wissenschaftler nun Entwarnung gegeben: Weder eine SARS-CoV-2-Infektion noch eine COVID-19-Immunisierung im ersten Trimester der Schwangerschaft erhöhten das Risiko für Geburtsfehler. Die skandinavischen Forscher hatten anhand nationaler Gesundheitsregister die Daten von 343.066 lebendgeborenen Säuglingen aus Schweden, Dänemark und Norwegen nach Missbildungen des Herzens, des Nerven- und Atmungssystems, der Augen, Ohren, des Gesichts und Nackens, orofazialen Spalten sowie genitalen Missbildungen ausgewertet. Im ersten Trimester waren 3% (10.229) der Neugeborenen einer SARS-CoV-2-Infektion ausgesetzt, 29.135 einer COVID-19-Impfung. Insgesamt wurden bei 5,2% der Säuglinge Missbildungen festgestellt, die laut der Autoren nicht im Zusammenhang mit der Infektion oder Impfung standen [5, 6].

Remdesivir bei Schwangeren – keine Dosisanpassung nötig

Schwangere haben ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Verläufe. Gleichzeitig gibt es kaum Daten, wie sich die Pharmakokinetik von Arzneistoffen in der Schwangerschaft ändert. Das Nukleosid-Analogon Remdesivir (Veklury®) inhibiert die RNA-Polymerase von SARS-CoV-2 und ist zugelassen zur COVID-19-Behandlung bei Erwachsenen und Jugendlichen (ab zwölf Jahren und mindestens 40 kg Körpergewicht), die an einer Pneumonie leiden und eine zusätzliche Sauerstoff­zufuhr benötigen. Nun wurden die Ergebnisse der ersten Pharmakokinetik-Studie von Remdesivir bei Schwangeren veröffentlicht. In die offene, nicht randomisierte Phase-IV-Studie wurden 50 schwangere und nicht-schwangere hospitalisierte COVID-19-Patientinnen inkludiert, die alle intravenös verabreichtes Remdesivir erhalten hatten. In den an Tag 3, 4 und 5 entnommenen Plasmaproben zeigte sich, dass die Konzentrationen an Remdesivir und seinen Hauptmetaboliten bei den Schwangeren ähnlich hoch waren wie in der Kontrollgruppe. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass keine Dosisanpassung von Remdesivir bei Schwangeren nötig sei. Auch konnten keine Sicherheitsbedenken bezüglich unerwünschter Schwangerschaftsabbrüche, mütterlicher Todesfälle oder Missbildungen gesehen werden. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat die Studienergebnisse zum Anlass genommen, einen ergänzenden Zulassungsantrag zu genehmigen. Auch die europäische Arzneimittelagentur EMA gab einer Zulassungserweiterung von Remdesivir für Schwangere grünes Licht [7].

Neue Variante XEC: schnelle Verbreitung durch mutiertes Spike-Protein

XEC ist die Bezeichnung der sich aktuell rasch ausbreitenden Variante von SARS-CoV-2. Ähnlich wie die bisherigen Varianten ruft auch XEC typische Erkältungssymptome, Fieber, Husten, Hals- und Gliederschmerzen und zum Teil Geruchs- und Appetitverlust hervor. Ursprünglich im Juni 2024 das erste Mal in Deutschland registriert, wurde XEC bis jetzt in 27 Ländern weltweit nachgewiesen [20]. So gab der Datenanalyst Mike Honey auf der Plattform „X“ bekannt, dass die Anzahl der durch XEC verursachten SARS-CoV-2-Infektionen hierzulande um 16 bis 17% gestiegen ist, in Holland um 11 bis 13%. Auch in Dänemark und dem Vereinigten Königreich sind vermehrt XEC-bedingte Krankheitsfälle registriert worden. Europaweit betrachtet verursacht XEC laut Prof. Francois Balloux, Direktor des UCL (University College London) Genetics Institute, mehr als 10% aller aktuellen COVID-19-Infektionen [21]. XEC ist eine Hybrid­variante, die sich aus den beiden Omikron-Untervarianten K.S.1.1 und KP.3.3. gebildet hat. Aufgrund ihres veränderten Spike-Proteins kann XEC besser an menschliche Zellen binden und verbreitet sich daher vermutlich auch schneller.

Experten gehen davon aus, dass XEC in den nun anstehenden Wintermonaten das Infektionsgeschehen beherrschen wird. Bisher war in Deutschland KP.3.1.1 die vorherrschende Variante, die laut Angaben des Robert Koch-Instituts in der Kalenderwoche 34 (19. August bis 25. August 2024) 72% aller Infektionen ausgemacht hatte [22]. „XEC stellt im Vergleich zur derzeit im Umlauf befindlichen SARS-CoV-2-Vielfalt eine relativ geringfügige Evolution dar und ist keine hochgradig abgeleitete neue Variante, wie die mit griechischen Buchstaben versehenen Varianten (Alpha – Omicron)“, so Francois Belloux. Wie andere Experten geht er davon aus, dass die auf dem Markt erhältlichen Impfstoffe weiterhin Schutz vor schweren Infektionen bieten, auch mit der neuen Virusvariante XEC.

Impfbedingte Myokarditis und Perikarditis im Fokus

Wenige Wochen nach dem Start der Impfkampagne gegen COVID-19 gaben die Zulassungsbehörden weltweit bekannt, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko für Myokarditis (Herzmuskelentzündung) und Perikarditis (Herzbeutelentzündung) erhöhen. Der zugrunde liegende Mechanismus war allerdings unklar. Allessandra Buoninfante und ihr Team haben versucht zusammenzufassen, was bisher bekannt ist. Daten aus Isreal zeigen, dass gegen COVID-19-geimpfte Personen ein 3,24-fach höheres Risiko für Myokarditis hatten als Ungeimpfte. Eine SARS-CoV-2-Infektion hingegen erhöhte das Myokarditis-Risiko um den Faktor 18,28 im Vergleich zu Nichtinfizierten. Zudem zeigte sich, dass die Sterblichkeitsrate bei Personen mit Myokarditis nach einer mRNA-Impfung im Vergleich zu Personen mit einer durch eine Virusinfektion bedingten Myokarditis deutlich niedriger war. Das höchste Myokarditis-Risiko besteht bei Männern im Alter von 12 bis 30 Jahren innerhalb von einem bis vierzehn Tage nach der zweiten Dosis der ersten mRNA-Impfserie. Während bei Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren nur sehr wenige Myokarditiden nach der mRNA-COVID-19-Impfung auftraten, war das bei Kindern im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren nie der Fall. Auch Erwachsene über 30 Jahren und ältere Menschen waren nach der COVID-19-Impfung weniger häufig von Myokarditis betroffen.

Auch könnte sich das Dosierungsintervall auf das Risiko auswirken. Ein längerer Abstand von acht Wochen war im Vergleich zu einem Abstand von drei bis vier Wochen zwischen den beiden ersten mRNA-Impfstoffdosen mit einem geringeren Risiko für Myokarditis und Perikarditis verbunden. So wurde in Kanada die höchste Inzidenz bei männlichen Jugendlichen nach der zweiten Dosis (15,7 pro 100.000) gemeldet, am höchsten war die Melderate bei denjenigen mit einem kurzen Intervall von weniger als 30 Tagen (21,3 pro 100.000). Die möglichen Mechanismen für impfbedingte Myokarditis und Perikarditis haben die Autoren in einer Grafik zusammengefasst (s. Abb.) [8].

Abb.: Mögliche Mechanismen, die für die Entstehung einer Myokarditis/Perikarditis nach mRNA-Impfung verantwortlich sein könnten: A) Die in den COVID-19-Impfstoffen eingebrachte Spike-Sequenz dient als Antigen, das spezifische Immunreaktionen auslöst, von denen einige direkt zur Entzündung des Endothels und des Herzgewebes beitragen könnten. B) Bei den mRNA-Impfstoffen wird die Spike-mRNA-Sequenz zur Verabreichung in Lipid-Nanopartikel (LNP) eingekapselt. Die Lipid-Nanopartikel können die Ausschüttung einer Vielzahl von Zytokinen und Chemokinen auslösen, die eine proinflammatorische Reaktion mit Auswirkungen auf das Myo-/Perikardgewebe hervorrufen können. C) Die Impfmyokarditis tritt vor allem bei jungen Männern auf, was auf eine Rolle der Sexualhormone schließen lässt. Während Östradiol eine T-Helferzellen(Th)-2-Antwort und entzündungshemmende Zytokine aktiviert, löst Testosteron proinflammatorische Th1-Antworten aus. D) Da die Myokarditis durch Autoimmunreaktionen ausgelöst werden kann, könnte eine molekulare Mimikry zwischen Spike-Protein und Antigenen, die in Bezug auf Proteinsequenz und -struktur mit Myokarditis assoziiert sind, durch Auslösung einer Kreuzreaktivität zu Myoperikarditis führen. E) Genetische Faktoren wie spezifische HLA-Gene, könnten zum Risiko beitragen, nach einer mRNA-Impfung eine Myokarditis zu entwickeln, wie dies bei der mit Virusinfektionen assoziierten Myokarditis der Fall ist (nach [8]).

Paxlovid enttäuscht als Postexpositionsprophylaxe

Das oral eingenommene Kombinationsarzneimittel Paxlovid® enthält die beiden Wirkstoffe Nirmatrelvir und Ritonavir. Während Nirmatrelvir als Proteasehemmer die Replikation von SARS-CoV-2 unterbindet, hemmt der aus der HIV-Therapie bekannte Wirkstoff Ritonavir den CYP3A4-vermittelten Abbau von Nirmatrelvir. Ursprünglich zugelassen zur COVID-19-Behandlung bei Erwachsenen, die keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen und ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren COVID-19-Verlauf zu entwickeln, wurde Paxlovid® in einer Phase-II/III-Studie nun auch als Postexpositionsprophylaxe untersucht. Alle 2736 Probanden hatten innerhalb von 96 Stunden vor der Randomisierung Kontakt zu einer an COVID-19 erkrankten Person und waren asymptomatisch und negativ auf SARS-CoV-2 getestet. 1:1:1 randomisiert erhielten die Teilnehmer entweder alle zwölf Stunden 300 mg Nirmatrelvir und 100 mg Ritonavir über fünf Tage, zehn Tage oder Placebo. Primärer Endpunkt war eine durch PCR-Test bestätigte symptomatische SARS-CoV-2-Infektion innerhalb von vierzehn Tagen. In der Gruppe, die fünf Tage lang Paxlovid® eingenommen hatte, erreichten 2,6% diesen Endpunkt, in der Zehn-Tage-Gruppe 2,4% und in der Placebo-Gruppe 3,9%. Die Forscher schlussfolgern, dass Paxlovid® als Postexpositionsprophylaxe das Risiko für symptomatische SARS-CoV-2-Infektionen nicht signifikant senken kann [9, 10].

Wie Dexamethason das Leben von COVID-19-Erkrankten rettet

Dexamethason gehört zu den wichtigsten Arzneimitteln für schwer an COVID-19 erkrankte Personen. Das Ansprechen der Therapie variiert jedoch stark. Warum manche Patienten mehr profitieren als andere, haben Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Charité Berlin untersucht. Demnach ist die lebensrettende Wirkung wohl auf die Einwirkung des Dexamethasons auf Monozyten zurückzuführen. Bereits im ersten Pandemiejahr hatten Forscher in Untersuchungen zur Immunantwort bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten festgestellt, dass die Monozyten eine veränderte, krankhafte „Signatur“ aufwiesen (= molekularer Fingerabdruck, der die Eigenschaften dieser Immunzellen widerspiegelt). Aktuell konnte nun gezeigt werden, dass Dexamethason diese Veränderungen rück­gängig macht, wenn die Patienten auf die Therapie ansprachen [11].

Natürliche Gerinnungshemmer als Therapie?

Neben heftigen Entzündungsreaktionen gehen schwere COVID-19-Verläufe häufig mit lebensbedrohlichen thrombotischen Ereignissen einher. Da klassische Antikoagulanzien wie Heparin oft nicht den gewünschten Effekt zeigten, haben sich Wissenschaftler auf die Suche nach alternativen Therapiemöglichkeiten gemacht. In den Fokus haben sie dabei die natürlichen Gerinnungshemmer Antithrombin III (AT III), α1-Antitrypsin (α1-AT) und α2-Makroglobulin (α2-M) genommen. Alle drei Plasmaprotease-Hemmer unterbinden die Aktivität von eiweißabbauenden Enzymen. Es ist bekannt, dass sowohl Antithrombin III und/oder α1-Antitrypsin die Aktivität der transmembranen Serinprotease 2 (TMPRSS2) hemmen, die SARS-CoV-2 hilft, in die Zelle einzudringen. Ebenso weiß man, dass schwere COVID-19-Verläufe mit einem Mangel sowohl an Antithrombin III als auch an α1-Antitrypsin einhergehen. Für α2-Makro­globulin gibt es ebenfalls Hinweise, dass es bei COVID-19-Erkrankten in reduzierter Menge vorliegt. Während die beiden Plasmaprotease-Hemmer Antithrombin III und α1-Antitrypsin bereits als plasmagewonnenes Konzentrat erhältlich sind, ist α2-Makroglobulin noch nicht therapeutisch verfügbar. Die Erkenntnisse sollen neue Ansatzpunkte für künftige Forschung ergeben, auch in Bezug auf die Behandlung einer Sepsis als schwerste Form einer Infektion [12].

Impfung schützt vor psychischen Folgen

In einer Kohortenstudie wurde untersucht, inwiefern Depressionen, schwere psychische Erkrankungen, allgemeine Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Essstörungen, Sucht, Selbstverletzungen und Selbstmord und eine COVID-19-Erkrankung zusammenhängen. Bei der Auswertung wurden sowohl der Impfstatus als auch eine mögliche Hospitalisierung aufgrund der COVID-19-Erkrankung einbezogen. Es zeigte sich, dass vor allem in den ersten vier Wochen nach einer COVID-19-Erkrankung psychische Störungen diagnostiziert wurden. Generell war das Risiko für Ungeimpfte höher. So beliefen sich in der ungeimpften Kohorte die adjustierten Hazard Ratios [aHR] für Depressionen und schwere psychische Erkrankungen auf Werte von 1,79 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,68 bis 1,90) und 1,45 (95%-KI: 1,27 bis 1,65), mit Immunisierung hingegen auf aHR = 1,16 (95%-KI: 1,12 bis 1,20) und aHR = 0,91 (95%-KI: 0,85 bis 0,98). Ebenso wirkte sich eine schwerere SARS-CoV-2-Infektion mit einhergehendem Krankenhausaufenthalt negativ auf die mentale Gesundheit aus: So war auch hier die Inzidenz für Depressionen und andere psychische Erkrankungen erhöht und hielt zudem bis zu einem Jahr nach der Infektion an. Die Forscher schlussfolgern, dass eine Impfung die negativen Auswirkungen von COVID-19 auf die psychische Gesundheit mildern kann [13].

Zum Weiterlesen: Impfschwerpunkt

Mit dem Herbst startet auch die Impfsaison. Die Apotheken können Standardimpfungen gegen Influenza und COVID-19 durchführen. Wer soll geimpft werden, können beide Impfungen gemeinsam verabreicht werden, und warum gibt es in den USA andere Impfstoffe als in Deutschland? Die Antworten auf alle Fragen rund um das Thema Impfen finden Sie in unserem Schwerpunkt Impfen in DAZ 2024, Nr. 37, ab S. 44.

Die Ursache hinter MIS-C

Das Multisystem-Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C) ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation einer COVID-19-Erkrankung und tritt bei etwa einem von 2000 erkrankten Kindern auf. Bislang war unklar, warum diese Kinder während der Infektion zunächst keine bis wenige Sym­ptome aufweisen, nach einigen Wochen jedoch unter einem Organversagen leiden. Nun konnten Wissenschaftler aus San Francisco den Mechanismus aufklären. Dafür hatten sie Blutproben von 244 an COVID-19 erkrankten Kindern ausgewertet, 199 von ihnen erlitten ein Multisystem-Entzündungssyndrom. Es zeigte sich, dass das Immunsystem der betroffenen Kinder Antikörper gegen das N-Protein von SARS-CoV-2 gebildet hatte. Gleichzeitig richten sich diese Antikörper auch gegen das körpereigene Protein SNX8, das in Herzen, Lungen, Nieren, Gehirn, Augen, Haut und Magen-Darm-Trakt lokalisiert ist, und so das Organversagen bei den erkrankten Kindern auslöst [15].

Hybridimmunität als Schutz vor Post-COVID?

Inwiefern die Hybridimmunität durch SARS-CoV-2-Infektion und Impfung das Risiko für Post-COVID beeinflusst, war Fragestellung einer kürzlich veröffentlichten Studie. Ausgewertet wurden die Daten der NAKO-Gesundheitsstudie in Bezug auf selbst gemeldete Post-COVID-Symptome. Von den 109.707 Teilnehmern gaben 60% an, mindestens eine SARS-CoV-2-Infektion durchlebt zu haben; 16% davon mussten medizinisch betreut werden. Mehr als 80% der Teilnehmer hatten drei oder mehr COVID-19-Impfungen erhalten. Vier bis zwölf Monate nach der Diagnose berichteten 35% der Teilnehmer, an mindestens einem Post-COVID-Symptom zu leiden, 23% berichteten über neun oder mehr Post-COVID-Symptome. Personen, die nach ihrer ersten Infektion kein Post-Covid entwickelt hatten, wiesen nach ihrer zweiten Infektion ein um 50% reduziertes Risiko auf. Gleichzeitig stellten die Wissenschaftler fest, dass auch die infektionsauslösende Variante von SARS-CoV-2 eine wichtige Rolle dabei spielt, ob später Post-COVID-Symptome auftreten oder nicht. So traten etwa bei 47% nach einer Erstinfektion mit dem Wildtyp-­Virus langanhaltende Symptome auf. Innerhalb der verschiedenen Varianten hatte die Anzahl der vorangegangenen Impfungen keinen Einfluss – mit einer Ausnahme, der Omikron-Variante. Dort bot eine vierte Impfung im Vergleich zu drei Impfungen einen höheren Schutz vor Post-­COVID im Falle einer Durchbruchinfektion [16].

COVID-19 begünstigt Typ-1-Diabetes

Im Rahmen einer Beobachtungsstudie wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen COVID-19-Infektionen und dem Fortschreiten von präsymptomatischem zu klinischem Typ-1-Diabetes bei Kindern untersucht. Dazu wurden zwischen Februar 2015 und Oktober 2023 die Daten von 509 Kinder im Alter zwischen einem und 16 Jahren in Deutschland ausgewertet, die bereits Anzeichen für Typ-1-Diabetes (positive Insel-Autoantikörper) zeigten. Vor der Pandemie, also vor dem 1. März 2020, entwickelten 57 Kinder klinischen Typ-1-Diabetes, während der Pandemie (ab dem 1. März 2020) waren es 113 Fälle. Die Inzidenz eines klinischen Typ-1-Diabetes stieg von 6,4 Fälle pro 100 Personenjahre vor der Pandemie auf 12,1 Fälle pro 100 Personenjahre während der Pandemie. Insgesamt war das Risiko für einen klinischen Typ-1-Diabetes bei Kindern, die eine COVID-19-Erkrankung durchlebt hatten, signifikant höher (14,0 pro 100 Personenjahre im Vergleich zu 8,6 pro 100 Personenjahre bei nicht infizierten Kindern). Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass COVID-19 das Fortschreiten von präsymptomatischem Typ-1-Diabetes beschleunigt. Weitere Forschungen sind erforderlich, um zu klären, ob dies auch bei Erwachsenen der Fall ist [14].

Long-COVID-Symptome bei Kindern variieren

Während es viele Studien zu Long-COVID bei Erwachsenen gibt, ist die Datenlage für Kinder und Jugendliche eher dünn. In einer im „JAMA“ veröffentlichten Untersuchung haben sich Wissenschaftler an die Aufgabe gemacht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei an Long-COVID erkrankten Kindern auszumachen. Insgesamt wurden bei der multizentrischen Kohortenstudie die Daten von 898 Schulkindern im Alter von sechs bis elf Jahren (751 davon mit vorausgegangener SARS-CoV-2-Infektion) und 4469 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren (3109 mit SARS-CoV-2-Infektion) ausgewertet. Zwischen der ersten Infektion und der Symptom-Befragung lagen median 506 (Schüler) und 556 Tage (Jugendliche). In beiden Kohorten traten nach einer SARS-CoV-2-Infektion 14 Symptome gehäuft auf. Diese umfassten allgemeine Schwäche, Erschöpfungszustände auch nach leichter körperlicher Anstrengung, Kopfschmerzen, Körper-, Muskel- und Gelenkschmerzen, Benommenheit oder Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Übelkeit und Erbrechen. Aber auch Unterschiede zeigten sich, einige Symptome variierten altersabhängig: Während bei Schulkindern vor allem neurokognitive, Schmerz- und gastrointestinale Symptome auftraten, standen bei den Jugendlichen Veränderungen oder Verlust von Geruchs- oder Geschmackssinn, Schmerzen sowie Müdigkeit/Unwohlsein im Fokus. Die Wissenschaftler erhoffen sich durch ihre Ergebnisse ein besseres Verständnis dafür, wie unterschiedliche Altersgruppen von Long-COVID betroffen sind, was sich dann wiederum auf die Therapieforschung auswirkt [17, 18].

ME/CFS-Prävalenz nach COVID-19 nicht höher als nach anderen Infektionen

Nach akuten Infektionen (z. B. mit Polio- oder Epstein-Barr-Viren) können chronische Symptome wie funktionelle Beeinträchtigungen in Verbindung mit Fatigue, Belastungsintoleranz und kognitiven Problemen auftreten. Die chronische myalgische Enzephalomyelitis/das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine Form eines solchen postakuten Infektionssyndroms. Ein amerikanisches Forscherteam hat vor Kurzem die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von ME/CFS nach positiv oder negativ bestätigtem COVID-19-Test verglichen. Alle 4378 Probanden (68,1% davon weiblich) hatten Symptome einer SARS-CoV-2-Infektion verspürt. Nach der Testung mittels Antigen- oder molekularem Test wurden die Teilnehmer in die beiden Gruppen COVID-19-positiv und COVID-19-negativ unterteilt. Personen über 65 Jahre wurden aus der Studie ausgeschlossen, um eine mögliche altersbedingte Verzerrung, die für potenzielle ME/CFS-Symptome ursächlich sein könnte, zu minimieren. In regelmäßigen Abständen nach ihren Symptomen befragt, erfüllten nach drei Monaten 3,4% der COVID-19-positiven Gruppe und 3,7% der COVID-19-negativen Gruppe die ME/CFS-Kriterien. Nach zwölf Monaten erfüllten 2,8% der Personen in der COVID-19-positiven Gruppe und 4,5% der COVID-19-negativen Gruppe die Definition von ME/CFS. In beiden Gruppen war nicht erholsamer Schlaf das am häufigsten berichtete ME/CFS-Symptom (Spanne: 20,2% bis 26,3%), gefolgt von Unwohlsein nach Anstrengung (Spanne: 16,9% bis 22,4%) und orthostatischer Intoleranz (Spanne: 9,0% bis 13,1%). Generell fiel die Prävalenz von ME/CFS mit weniger als 4,5% im Vergleich zu anderen Infektionen relativ niedrig aus. So betrug die ME/CFS-Prävalenz in einer Vier-Jahres-Follow-up-Studie mit 223 Patienten, die ein schweres akutes respiratorisches Syndrom erlitten hatten, 27% und 13% in einer Sechs-Monats-Follow-up-Studie mit 301 Jugendlichen, bei denen eine akute Epstein-Barr-Virusinfektion diagnostiziert worden war. Die Forscher schlussfolgern, dass COVID-19 nicht häufiger als andere akute Infektionen ein ME/CFS zur Folge hat. Gleichzeitig verweisen sie darauf, dass unabhängig von den Gründen oder den genauen Prozentsätzen Millionen Menschen von ME/CFS betroffen sind und dringend eine Behandlung benötigen [19]. 

Literatur

 [1] Infektionsradar. Akute Atemwegs­erkrankungen in Deutschland. Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit, gesund.bund.de, https://infektionsradar.gesund.bund.de/de/covid, Abruf am 11. September 2024

 [2] Dashboard des Robert Koch-Instituts zu SARS-CoV-2-Varianten, https://public.data.rki.de/t/public/views/IGS_Dashboard/DashboardVariants?%3Aembed=y&%3AisGuestRedirectFromVizportal=y, Abruf am 11. September 2024

 [3] Darling TA et al. Mucosal immunization with ChAd-SARS-CoV-2-S prevents sequential transmission of SARS-CoV-2 to unvaccinated hamsters. Science Advances 2024, DOI: 10.1126/sciadv.adp1290

 [4] Kotaki R et al. Repeated Omicron exposures redirect SARS-CoV-2–specific memory B cell evolution toward the latest variants. Science Translational Medicine 2024, DOI: 10.1126/scitranslmed.adp9927

 [5] BMJ-Group. No increased risk of birth defects after covid-19 infection or vaccination in early pregnancy. Eurekalert 17. Juli 2024, www.eurekalert.org/news-releases/1051414

 [6] Magnus MC et al. Covid-19 infection and vaccination during first trimester and risk of congenital anomalies: Nordic registry based study. BMJ 2024:386, doi: https://doi.org/10.1136/bmj-2024-079364

 [7] New study looks at drug exposures of COVID-19 therapy for pregnant people. Eurekalert 13. August 2024, www.eurekalert.org/news-releases/1054488

 [8] Buoninfante A et al. Myocarditis associated with COVID-19 vaccination. npj Vaccines 2024;9:122, https://doi.org/10.1038/s41541-024-00893-1]

 [9] Hammond J et al. Oral Nirmatrelvir–Ritonavir as Postexposure Prophylaxis for COVID-19. NEJM 2024, doi: 10.1056/NEJMoa2309002

[10] Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®), Arzneiverordnung in der Praxis 2022;1, Informationen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

[11] Neitzert M. Lebensrettende Wirkung von Dexamethason bei COVID-19 entschlüsselt. Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) vom 3. Juli 2024

[12] Forschung am Paul-Ehrlich-Institut: Erkenntnisse zu natürlichen Gerinnungshemmern bei COVID-19. Pressemitteilung des Paul Ehrlich Instituts Nr. 09/24

[13] Walker V et al. COVID-19 and Mental Illnesses in Vaccinated and Unvaccinated People. JAMA Psychiatry 2024, doi:10.1001/jamapsychiatry.2024.2339

[14] Friedl N et al. Progression From Presymptomatic to Clinical Type 1 Diabetes After COVID-19 Infection. JAMA 2024;332(6):501-502, doi:10.1001/jama.2024.11174

[15] Scientists get to the bottom of COVID‘s worst pediatric complication. Eurekalert 7. August 2024, www.eurekalert.org/news-releases/1053639

[16] Mikolajcyk M et al. Likelihood of Post-COVID Condition in people with hybrid immunity; data from the German National Cohort (NAKO). Journal of Infection 2024;89(2):106206

[17] Gross R et al. Characterizing Long COVID in Children and Adolescents JAMA 2024, doi:10.1001/jama.2024.12747

[18] Long Covid: Symptome bei Kindern variieren je nach Alter. Mitteldeutscher Rundfunk vom 7. Mai 2024

[19] Unger ER et al. Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome After SARS-CoV-2 Infection. JAMA Netw Open 2024;7(7):e2423555, doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.23555

[20] Neue Corona-Variante im Anmarsch – was über XEC bekannt ist. Berliner Morgenpost vom 19. September 2024

[21] Balloux F. Expert comment on XEC COVID-19 variant. Science Media Centre London, 18. September 2024, www.sciencemediacentre.org/expert-comment-on-xec-covid-19-variant/

[22] SARS-CoV-2-Varianten in Deutschland. Surveillance des Robert Koch-Instituts, Abruf am 20. September 2024, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Berichte-VOC-tab.html

[23] STIKO: Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2024;2-19


Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


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