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Arbeitsrecht
Diese Möglichkeiten bietet das Tarifrecht bei wirtschaftlicher Schieflage
Zahlreiche Apotheken befinden sich in einer wirtschaftlich prekären Situation. An ihrem Personal wollen sie sicher nicht sparen – zuweilen müssen sie leider doch ausloten, was möglich ist. Die Kürzung von Sonderzahlungen ist immer noch besser als eine Kündigung. Was ist hierbei nach dem neuen Bundesrahmentarifvertrag zu beachten?
Die wirtschaftliche Situation von vielen Apotheken ist und bleibt auf absehbare Zeit voraussichtlich leider weiterhin angespannt. Viele Inhaberinnen und Inhaber müssen aktuell teils schwierige personelle und betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen, um den Apothekenbetrieb aufrechterhalten zu können. Neben der kompletten Schließung der Apotheke stehen nun auch arbeitsrechtliche Kündigungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen immer mehr im Fokus.
Der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter (BRTV) gibt Arbeitgebern in betriebswirtschaftlich schwierigen Zeiten ein Instrument an die Hand, um finanzielle Engpässe (etwas) abzufedern. Dreh- und Angelpunkt hierbei sind die Regelungen zur tariflichen Sonderzahlung nach § 18 BRTV. Im Zuge der vor Kurzem abgeschlossenen Tarifverhandlungen, haben sich auch hier Änderungen ergeben, die berücksichtigt werden sollten.
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Wer hat Anspruch auf Sonderzahlung?
Zunächst ist aber zu klären, welche Mitarbeiter überhaupt Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung haben und in welcher Höhe dieser besteht. Voraussetzung ist also, ob der BRTV überhaupt für das konkrete Arbeitsverhältnis anwendbar ist. Dies kann z. B. durch Vorliegen einer zwingenden Tarifbindung nach § 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) oder durch individuelle Vereinbarung der Anwendbarkeit des BRTV auf den Arbeitsvertrag erreicht werden. Letztere ist die Variante, die in der Praxis am häufigsten bei Apotheken anzutreffen ist.
Nach § 18 Abs. 1 BRTV entsteht der Anspruch erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten. Endet ein frisch begonnenes Arbeitsverhältnis vor Ablauf dieses Zeitraums, haben betroffene Arbeitnehmer folglich noch keinen Zahlungsanspruch – auch keinen anteiligen – erworben. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Erreichen der Wartezeit ist hierbei unerheblich. Dieser Grundsatz ist insbesondere also auch bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung in der Probezeit anwendbar.
Nach Erfüllen der Wartezeit bestimmt sich die Höhe des Anspruchs anhand der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses im jeweiligen Kalenderjahr. Der Anspruch liegt folglich nur dann in voller Höhe vor, wenn das Arbeitsverhältnis im Jahr der Auszahlung zwölf Monate besteht. Bei einer geringeren Betriebszugehörigkeitsdauer erhält der Mitarbeiter für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des vollen Betrages.
Besteht das Arbeitsverhältnis weniger als sechs Monate im Kalenderjahr, kann auch bei Mitarbeitern, die die Wartezeit bereits erfüllt haben, ausnahmsweise der Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung entfallen. Dies gilt einerseits dann, wenn der Mitarbeiter aus nur von ihm zu vertretenden Gründen das Arbeitsverhältnis gekündigt hat. Damit soll vor allem der Fall einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers umfasst werden. Andererseits entfällt der Anspruch auch dann, wenn die Kündigung durch den Arbeitgeber aus verhaltensbedingten Gründen erfolgt ist.
Maßgeblich ist tarifliches Gehalt
In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass zwar übertarifliche Gehälter in der Branche weit verbreitet sind, der Anspruch aus § 18 BRTV jedoch lediglich die Zahlung eines Tarifgehalts vorschreibt. Dies erkennt man deutlich daran, dass der BRTV von einem „tariflichen Monatsgehalt“ spricht und nicht von einem „Bruttomonatsgehalt“. Dieser Umstand ist bei vielen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unbekannt. Eine über längere Zeit trotzdem erfolgte vorbehaltlose Auszahlung in übertariflicher Höhe durch den Arbeitgeber, kann aber gegebenenefalls im Rahmen der sogenannten betrieblichen Übung in originäre arbeitsvertragliche Ansprüche der Mitarbeiter münden.
Ein weiterer häufig unbekannter Umstand ist, dass einseitig vom Apothekeninhaber festgelegte oder vereinbarte Regelungen bereits gezahlter oder noch zu zahlender Sondervergütungen, insbesondere Weihnachts- und Urlaubsgeld, Gratifikationen, Jahresabschlussvergütungen, Jahresprämien, Ergebnisbeteiligungen und dergleichen, auf die tarifliche Sonderzahlung angerechnet werden können.
Auszahlungszeitpunkt
Nach § 18 Abs. 6 BRTV bleibt es dem Arbeitgeber vorbehalten, den Auszahlungszeitpunkt festzulegen. Außerdem entscheidet auch der Arbeitgeber darüber, ob die Auszahlung in Teilbeträgen getätigt wird. Die Auszahlung muss jedoch spätestens mit dem Novembergehalt erfolgen. Sollte sich herausstellen, dass ein ausscheidender Mitarbeiter zu viel Sonderzahlung erhalten hat, als ihm eigentlich zustünde, ist er zur Rückzahlung der Differenz verpflichtet.
Kürzungsmöglichkeiten der Sonderzahlungen
Der BRTV sieht mehrere Tatbestände vor, die eine Kürzung der Sonderzahlung erlauben. Zu unterscheiden sind grob gesagt Kürzungsmöglichkeiten bei bestimmten Abwesenheiten (z.B. Krankheit, Elternzeit) (a) und bei schlechten betriebswirtschaftlichen Prognosen (b).
a) § 18 Abs. 5 BRTV regelt, dass für jeden vollen Monat genommene Elternzeit gemäß §§ 15, 16 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), sich die tarifliche Sonderzahlung um 1/12 verringert. Eine Kürzung erfolgt weiterhin zeitanteilig für die Dauer eines unbezahlten Urlaubs und für krankheitsbedingte Fehlzeiten, für die nach § 9 BRTV keine Entgeltfortzahlung mehr zu leisten ist.
b) Der neue BRTV, der am 1. August 2024 in Kraft getreten ist, hat mehrere Veränderungen bei Kürzungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen eingeführt. Insgesamt sollen die neuen Regeln zu mehr Klarheit bei der Handhabung im Alltag führen im Vergleich zur Vorgängerregelung. Nun ist nicht mehr ausreichend, dass der Apothekeninhaber eine Kürzung der Sonderzahlung aus wirtschaftlichen Gründen für notwendig erachtet. Vielmehr muss das voraussichtliche Betriebsergebnis am 30. September im Vergleich zum Vorjahr um mindestens 10 Prozent reduziert sein. Erst dann kann die Sonderzahlung um bis zu 50 Prozent gekürzt werden. Dieser Umstand ist bei Mitteilung der Kürzung durch den Steuerberater schriftlich zu bestätigen. Wichtig ist außerdem, zu beachten, dass § 18 BRTV nun auch eine nachträgliche ungekürzte Zahlung vorsieht, sofern das tatsächliche Betriebsergebnis des Geschäftsjahres sich wider Erwarten doch nicht um mindestens 10 Prozent unter dem Vorjahresergebnis befindet. Mitarbeiter können eine schriftliche Bestätigung des Steuerberaters über das Unterschreiten des tatsächlichen Betriebsergebnisses um mindestens 10 Prozent verlangen.
Die Sonderzahlung ist weiterhin auch dann nachträglich ungekürzt auszuzahlen, wenn der Arbeitgeber binnen einer Frist von sechs Monaten nach der gekürzten Zahlung eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht und ist mit Ausspruch der Kündigung zur Zahlung fällig. Die Sechs-Monats-Frist beginnt mit dem Monat, in dem die Zahlung oder – bei Teilzahlungen – der letzte Teil der Zahlung bewirkt wurde. Diese Regelung ist letztlich die Kehrseite der Vorgabe aus § 18 Abs. 4 BRTV, wonach ein Kürzungsrecht bei betriebsbedingter Kündigung nicht vorliegt. Es bleibt in diesem Fall nach dem pro-rata-temporis-Grundsatz bei der Auszahlung entsprechend der Beschäftigungsmonate (s.o.).
Frist bis Ende Oktober
Für die erfolgreiche Inanspruchnahme der Kürzungsmöglichkeit aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist zwingend die Fristvorgabe einzuhalten. Die Kürzung muss nach § 18 Abs. 10 BRTV bis zum 31. Oktober des Kalenderjahres schriftlich angekündigt werden, um wirksam zu sein.
Fazit
Die Kürzung der Sonderzahlung aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist aus Mitarbeitersicht sicherlich keine populäre Maßnahme, auf die Arbeitgeber leichtfertig zurückgreifen. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage vieler Apotheken kann das Ergreifen dieser Möglichkeit jedoch gegebenfalls härtere Maßnahmen, wie betriebsbedingte Kündigungen oder eine komplette Schließung des Betriebs, verhindern. Da die Änderungen des Bundesrahmentarfivertrags noch relativ frisch sind, wird sich die Praxistauglichkeit der neuen Vorgaben erst noch zeigen müssen. Abschließend sollte darauf geachtet werden, dass § 18 BRTV eine einseitige Maßnahme durch den Arbeitgeber regelt. Unabhängig hiervon ist natürlich auch grundsätzlich eine Kürzung über 50 Prozent bis hin zum kompletten Entfallen der Sonderzahlung rechtlich möglich, wenn dies einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer vereinbart wird und keine beidseitige Tarifbindung vorliegt.
1 Kommentar
Niedergang
von Thomas Kerlag am 24.09.2024 um 19:43 Uhr
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