Grippesaison

Erhöhen Grippeviren die Ansteckungsgefahr mit SARS-CoV-2?

Stuttgart - 09.11.2022, 09:15 Uhr

(Foto: Goffkein / AdobeStock)

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Mitte Oktober bis Mitte Dezember ist die optimale Zeit für eine Grippeimpfung. Warum könnte sie gerade in der kommenden Grippesaison 2022/23 wichtig sein?

Die Grippeimpfaktivität ist in der letzten Influenzasaison 2021/22 erfreulicherweise gestiegen: Im letzten Winter ließen sich 47,3 Prozent der ab 60-Jährigen gegen Influenza impfen, in der Vorsaison 2020/21 lag die Impfquote bei Senioren hingegen bei nur 38,8 Prozent. Ähnlich sieht es bei der Impfung von Schwangeren und beim Schutz von Erwachsenen mit Grunderkrankungen aus – 2020/21 lagen die Impfquoten höher als noch 2019/20 (siehe Tabelle). Das berichtete das Robert Koch-Institut (RKI) im Epidemiologischen Bulletin 50|2021 und bezieht sich dabei auf Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung.

Bevölkerungsgruppe

Influenza-Impfrate gesamt

 

2019/2020

2020/2021

Standardimpfung –

Personen ≥ 60 Jahren

38,8 %

47,3 %

Indikationsimpfung –

Personen ≥ 18 Jahren mit Grunderkrankungen

32,3 %

39,3 %

Impfung von Schwangeren

16,6 %

23,2 %

Als Treiber, dass sich mehr Menschen im vergangenen Winter gegen Grippe geschützt haben, gilt die COVID-19-Pandemie und die Sorge vor Doppelinfektionen und schweren Verläufen. Ob auch die kommende Grippesaison 2022/23 – zumindest bei den Influenza-Impfquoten – von der Sorge vor Corona profitiert, wird das RKI erst 2023 auswerten können.

EU-Impfquoten weit verfehlt

So begrüßenswert dieser positive Impf-Trend ist – dennoch bleibt die Impfmotivation der Deutschen deutlich unter den Erwartungen der Europäischen Union, die eine Impfquote von 75 Prozent bei älteren Menschen ab 60 Jahren vorsieht, weit zurück.

Kaum Doppelinfektionen wegen Infektionsschutzmaßnahmen?

Auch wenn Doppelinfektionen mit SARS-CoV-2 und Influenza in den letzten beiden Jahren „sehr selten“ auftraten, wie Wissenschaftler:innen der Johns-Hopkins-Universität Ende 2021 im „Open Forum Infectious Diseases“ publizierten („Circulation of Non-SARS-CoV-2 Respiratory Pathogens and Coinfection with SARS-CoV-2 Amid the COVID-19 Pandemic“), könnte sich dieser Effekt mit auf Infektionsschutzmaßnahmen (Maske, Abstand, social Distancing) zurückführen lassen, die vielerorts mittlerweile aufgehoben oder zumindest gelockert sind. 
Folglich ist auch in diesem Jahr ein Grippeimpfschutz für die von der STIKO empfohlenen Risikogruppen wichtig und richtig – denn gegenseitig völlig kalt, lassen sich SARS-CoV-2 und Influenza nicht.

Erhöht Influenza die Gefahr einer Ansteckung mit SARS-CoV-2?

2021 zeigten Wissenschaftler:innen in „PeerJ Life & Environment“ („Estimating the impact of influenza on the epidemiological dynamics of SARS-CoV-2“), dass auf Bevölkerungsebene eine Influenza-Infektion mit einer durchschnittlich 1,8- bis 3,4-fach höheren Übertragung von SARS-CoV-2 assoziiert war. Mitverantwortlich dafür soll der Einfluss von Influenzaviren auf ACE2 sein – der Rezeptor, den SARS-CoV-2 benötigt, um menschliche Zellen zu infizieren. So gibt es experimentelle Hinweise, dass eine Influenza-Infektion die Expression von ACE2 hochreguliert. Die Wissenschaftler:innen schlussfolgerten damals, dass eine „Influenzavirusinfektion die Übertragung von SARS-CoV-2 verstärkt und die Ausbreitung während der COVID-19-Epidemie Anfang 2020 in Europa begünstigt haben könnte“. Eine „verstärkte Einführung von Influenza-Impfstoffen“ könne erforderlich sein, um zum einen die „Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund von Influenza-Infektionen zu verringern“ und um zum anderen die „Übertragung von SARS-CoV-2 und die COVID-19-Mortalität zu reduzieren“.

Oder schützt SARS-CoV-2 vor einer Infektion mit Influenza?

Andere Daten publizierte jüngst eine US-amerikanische Arbeitsgruppe im „Journal of Virology“ („The Host Response to Influenza A Virus Interferes with SARSCoV-2 Replication during Coinfection“) – allerdings aus Zellkultur- und Tierversuchen (Goldhamster): Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass Influenzaviren vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützten. Allerdings funktionierte der Schutz nur in eine Richtung, und eine SARS-CoV-2-Infektion bot keinen Infektionsschutz vor Influenza. Die DAZ berichtete darüber (DAZ 2022, Nr. 29, S. 32). Inwiefern sich diese Daten auf den Menschen übertragen lassen und welche klinische Relevanz sie haben, ist derzeit unklar.

Wer sollte sich gegen Grippe impfen lassen?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt die Grippeimpfung für:

  • alle Personen ab 60 Jahre
  • alle Schwangeren ab dem zweiten Trimenon, bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens ab dem ersten Trimenon
  • Personen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens (wie chronische Erkrankungen der Atmungsorgane, Herz- oder Kreislaufkrankheiten, Leber- oder Nierenkrankheiten, Diabetes oder andere Stoffwechselkrankheiten, neurologische Grundkrankheiten wie Multiple Sklerose mit durch Infektionen getriggerten Schüben, angeborene oder erworbene Immundefizienz oder HIV)
  • Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen
  • Personen, die als mögliche Infektionsquelle im selben Haushalt lebende oder von ihnen betreute Risikopersonen (siehe oben) gefährden können.

Geimpft werden sollten im Rahmen eines erhöhten beruflichen Risikos außerdem

  • Personen mit erhöhter Gefährdung (z. B. medizinisches Personal),
  • Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr,
  • Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risikopersonen fungieren können.

Ebenso sollten Personen mit direktem Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln eine Grippeschutzimpfung erhalten. Die Impfung schützt zwar nicht vor der Vogelgrippe, aber es werden damit problematische Doppelinfektionen vermieden.

Wann sollte man sich gegen Grippe impfen lassen?

Das Robert Koch-Institut empfiehlt eine jährliche Grippeschutzimpfung zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember. Bis der Körper einen Impfschutz aufbaut, dauert es zehn Tage bis zwei Wochen. Damit ist man zu Beginn der Grippewelle – die hierzulande in den letzten Jahren (vor COVID-19) meist um den Jahreswechsel startete – bestmöglich vor einer Infektion beziehungsweise schweren Erkrankung geschützt. Allerdings ist dieses Grippeimpf-Zeitfenster nicht in Stein gemeißelt. Auch eine spätere Grippeimpfung kann Sinn ergeben – schließlich wisse man nie, wie lange eine Grippewelle andauere, erklärte das RKI in einem früheren Gespräch mit der DAZ: „Selbst zu Beginn und im Verlauf der Grippewelle kann es noch sinnvoll sein, eine versäumte Impfung nach­zu­holen. Schließlich ist nie genau vorher­zu­sagen, wie lange eine Influenza­welle andauern wird. In einigen Saisons wurde zum Beispiel nach einer Influenza-A-Welle noch eine nachfolgende Influenza B-Welle beobachtet“.

Impfinformation in der Apotheke

In diesem Winter dürfen auch manche Apotheken gegen Grippe impfen – ihnen kommt folglich auch die wichtige Aufgabe zu, die Kund:innen über den optimalen Impfzeitpunkt aufzuklären sowie darüber, dass auch eine spätere Grippeschutzimpfung möglich und sinnvoll sein kann.

Corona und Influenza gleichzeitig impfen

Das Schön-Praktische ist: Gegen COVID-19 und Influenza kann man sich mittlerweile gleichzeitig impfen lassen. Empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO) mit Verfügbarwerden der ersten COVID-19-Impfstoffe noch einen 14-tägigen Abstand zwischen einer COVID-19- und anderen Impfungen mit einem Totimpfstoff (wie die meisten Grippeimpfstoffe, abgesehen von Fluenz Tetra für Kinder und Jugendliche), hat die STIKO diese Einschätzung im September 2021 geändert: „Zwischen beiden muss ab sofort kein Impfabstand mehr eingehalten werden. Unter der Voraussetzung, dass eine Indikation zur Impfung sowohl gegen Influenza als auch gegen COVID-19 besteht, ist eine simultane Verabreichung beider Impfstoffe möglich“, erklärte das RKI im Epidemiologischen Bulletin 39|2021.


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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